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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0489

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komplex, den der Wiener Kunsthistoriker Strzygowski
zuerst gesehen hat und der in den letzten Jahren durch
die Forschungen und Ausgrabungen der Russen erst in
seinem ganzen Umfang sichtbar geworden ist: von der
Frage der Beziehung Europas zu Asien und umgekehrt.
Es ist noch gar nicht abzusehen, welche Erkenntnisse
ersten Ranges aus der Erforschung dieser Zusammen-
hänge einmal gewonnen werden.

Um so erfreulicher ist es, daß nun allmählich eine
andere nicht weniger wichtige Frage ernsthaft in Angriff
genommen wird: die Frage nach den Beziehungen der
Künste untereinander und zu den übrigen Geistes-
gebieten. Die Frage ist keineswegs neu: die philo-
sophische Ästhetik bemüht sich seit langem darum, aber
ohne rechten Erfolg — weil die meisten dieser Ästhe-
tiker zu wenig von der Kunst oder den Künsten wissen.
Und aus dem gleichen Grunde mußte auch der wahrhaft
monumentale Versuch Oswald Spenglers scheitern: so
geistreich und blendend dessen Konstruktionen sind, so
wenig halten sie Stich — einfach, weil Spengler von
künstlerischen Fragen zu wenig versteht, und ohne
dieses Verständnis kommt man nun einmal nicht zum Ziel.
Immerhin bleibt Spengler das nicht geringe Verdienst,
zuerst den Versuch eines umfassenden Zusammensehens
der Künste unternommen zu haben. Wahrscheinlich
mußte hier wie so manchmal ein Dilettant, der sich der
Schwierigkeit der Probleme gar nicht so recht bewußt
war, den ersten Schritt tun.

Nun aber haben wir in dem Buche von Dagobert
Frey, der, aus der Schule des um die geisteswissen-
schaftliche Fundierung der Kunstgeschichte hochverdienten
Max Dworak hervorgegangen, vor einem Jahre an die
Breslauer Universität berufen wurde, zum erstenmal als
Ergebnis gründlichster Studien und tiefsten Verstehens
eine zusammenfassende Betrachtung der verschiedenen
Künste — Malerei, Plastik, Baukunst, Dichtung und
Musik —, die nicht etwa im äußerlichen Vergleich von
Einzelheiten stecken bleibt, sondern von jeder Einzel-
betrachtung aus immer wieder ins Zentrum des Problems
vorstößt und so zum Schluß die tiefe Einheitlichkeit der
Gestaltungstendenz einer Epoche in größter Eindring-
lichkeit erkennen läßt und die zum Schluß sogar, um
durch eine Betrachtung des schärfsten Gegensatzes den
Tatbestand noch klarer und eindringlicher zu machen,
eine Analyse des ostasiatischen „Kunstwollens" wagt, die,
soviel ich sehen kann, alle bisher bekannt gewordenen
Analysen durch ihre Treffsicherheit und Vertiefung über-
trifft.

Es ist unmöglich, hier von dem außerordentlichen
Reichtum des Buches mehr als eine Andeutung der Grund-
gedanken zu geben — wie es auch nicht angeht, an dieser
Stelle etwa in einzelnem abweichende Ansichten zur
Geltung zu bringen. Ausgangspunkt ist für Frey die Raum-
vorstellung der Renaissance, die er gleich im ersten
Kapitel möglichst tief im allgemeinen Weltbild der
Renaissance zu fundieren sucht, um dann im zweiten
Kapitel dieser „simultanen" Raumanschauung die „sukzes-
sive" der Gotik gegenüberzustellen und auch diese
wiederum allgemein geistesgeschichtlich zu begründen.
Von da geht die Untersuchung weiter zum Raumproblem
des 16. Jahrhunderts, bei dessen Betrachtung über den
neu auftauchenden Beziehungen zum Mittelalter nicht
wie sonst so oft die in der Unverlierbarkeit der einmal
gewonnenen Grundlagen beruhende Verwandtschaft mit
der Renaissance vergessen wird. Es folgt ein Kapitel
über „das Zeitproblem in der bildenden Kunst", das die

höchst wichtige Frage nach der Beziehung der Bewegung
und damit des Zeitverlaufs zum ruhenden Bilde von
einem sehr weiten, große Zeiträume umfassenden Stand-
punkte aus betrachtet und zugleich das Grundproblem
des Buches weiter vertieft — wie es überhaupt Frey
meisterhaft verstanden hat, jede der zahllosen Einzel-
untersuchungen in den Dienst der Grundidee des Buches
zu stellen und dadurch die Idee echt organisch immer
reicher wachsen zu lassen. — Von dem nun erreichten
und sorgfältig gesicherten Standpunkt aus werden im
fünften und sechsten Kapitel auch die übrigen Künste,
Dichtung und Musik, betrachtet und in das Weltbild ein-
gefügt. Die hier sehr naheliegende Gefahr der äußer-
lichen Analogien, wie sie in den meisten ästhetischen
Untersuchungen dieser Art üblich sind, hält sich Frey so
gut wie ganz fern: es gelingt ihm in der Tat fast immer,
die Untersuchung so tief zu treiben, daß die gemein-
samen Wurzeln sichtbar werden, aus denen die ver-
schiedenen Künste emporwachsen. Vielleicht enthält das
Kapitel über die Dichtkunst am meisten Fragwürdiges,
was wohl in der sehr komplexen Natur dieser Kunst be-
gründet ist, die einer exakten ästhetischen Analyse viel
schwerer als die übrigen Künste zugänglich ist. Von
größter Wichtigkeit und von einer erstaunlich soliden
fachlichen Fundierung sind die Untersuchungen über die
Musik, die sonst ja nur sehr selten im Zusammenhang
mit den anderen Künsten betrachtet wird, ohne die aber
niemals ein abgerundetes Bild der hier zu betrachtenden
Epoche zu gewinnen ist. — Das siebente, letzte Kapitel,
„Quantitative und qualitative Vorstellung", greift so weit
aus, daß man zuerst den Zusammenhang mit dem Haupt-
thema vermißt: es untersucht die Zeitvorstellung des
primitiven Menschen und stellt dieser „mythischen" Zeit
in einer sehr wichtigen Unterscheidung die „historische"
und des weiteren die „physikalische" gegenüber, welch
letztere als allein (mit Hilfe räumlich-quantitativer Größen)
exakt meßbare die eigentliche Errungenschaft der
Renaissance ist. Indem er nun nachweist, daß sehr bald
schon der Widerstand gegen diese rein quantitative Auf-
fassung der Welt erwacht, der dann in Goethe seinen
stärksten und konsequentesten Ausdruck findet, vertieft
sich noch einmal das Bild der Epoche, auf die zum
Schluß durch die Betrachtung der ganz anders gearteten,
rein mit „qualitativen" Vorstellungen arbeitenden chine-
sischen Kultur wiederum ein neues Licht fällt. — Erst auf
den letzten Seiten kommt Frey — leider allzu kurz —
auf die Gegenwart zu sprechen, und hier hat man zum
erstenmal den Eindruck, daß die Betrachtung nicht ge-
nügend in die Tiefe gehe. Die Abkehr von den An-
schauungen der vorhergehenden Epoche wird wohl in
ihrer grundsätzlichen Bedeutung erkannt, aber was
dann über die einzelnen Erscheinungen der Gegenwart
gesagt wird, das ist doch zu vorsichtig und bleibt allzu-
sehr an der Oberfläche. Frey hat sich hier — in der für
die meisten Kunsthistoriker charakteristischen Zurück-
haltung — manche Schlußfolgerungen entgehen lassen,
die die Grundthese seines Buches noch sehr wesentlich
hätte stützen können. Dies ist zu bedauern, aber der
Bedeutung dieses außerordentlichen Buches, das man als
wahrhaft epochemachend für die Kunstwissenschaft be-
zeichnen darf, tut es keinen Abbruch.

Das zweite der hier zu besprechenden Bücher kann es
an Weite der Problemstellung mit dem eben beprochenen
nicht aufnehmen. Trotzdem liegt auch hier eine Frage
von höchster Wichtigkeit vor; denn was H. Bechtel —
der übrigens auch dem Lehrkörper der Breslauer Uni-

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