Unter der Lupe
Die „Wohnkultur"
Während anfänglich über die Bauausstellung in den
Tageszeitungen recht wenig geschrieben wurde, was über
den Rahmen reiner Presseberichte hinausging und als
Bewertung oder Kritik angesprochen werden konnte,
haben sich nun doch in Fachzeitungen, in Zeitschriften und
auch in der Tagespresse recht viele Leute kritisch zu Wort
gemeldet. Und es zeigt sich dabei, daß die Diskussion in
allererster Linie um die Halle II geht. Man kann freilich
nicht verlangen, daß die Berliner ein starkes Beurteilungs-
vermögen für die Qualität einer Ausstellung als Ganzes
haben, denn sie kennen ja keine guten Ausstellungen.
Und deshalb ist die Diskussion über den Wert dieser Aus-
stellung leider ausgeblieben. Aber hier bei der Halle II,
deren Thema ein höchst aktuelles und auch ein volkstüm-
liches ist, begeistern sich die Gemüter oder ereifern sich
in der Negierung dieser „nüchternen Sachlichkeit". Jeden-
falls stimmt es nicht, was ein die Wiederkehr der Franse
und des Plüschs prophezeiender Schreiber in der DAZ ge-
sagt hat, daß die Besucher mit „apathischen Gesichtern"
in die Räume gestarrt hätten. Die apathischen Gesichter
hat man eher in der kläglichen Konkurrenz-Ausstellung
des Verlags Mosse sehen können. In der Halle II sind alle
Leute zum mindesten stark interessiert gewesen. Viele,
viele haben entrüstet diese Wohnungen abgewiesen und
haben geschimpft. Aber etwas anderes mußte jeder ob-
jektive Beobachter feststellen, nämlich, daß man auf der
ganzen Bauausstellung nirgends soviel interessierte junge
Menschen angetroffen hat wie in der Halle II. Mit leuch-
tenden Augen sind sie dort herumgelaufen, haben sich
alles angesehen und waren nicht nur interessiert, sondern
haben sich vor allen Dingen gefreut, weil sie fühlten, daß
das, was hier gezeigt wird, von einem neuen Geist Kunde
gibt, der auch ihr Geist und ihre Welt ist. Diese jungen
Menschen und das Gefühl, mit dem sie durch diese Halle
gegangen sind, sind der beste und stärkste Beweis des
Wertes dieser Schau. Diese Anerkennung und Bejahung
aus dem Instinkt heraus ist wichtiger noch als alle noch
so anerkennenden Kritiken aus der Fachwelt.
Sehr merkwürdig berührt wurde man durch eine Ver-
öffentlichung über die Bauausstellung in der ausgezeich-
neten Zeitschrift „Wohnungswirtschaft", dem Organ der
DEWOG, aus der ein völliges Nichtverstehen und Nicht-
empfinden des Geistes der Halle II hervorgeht. Die Ab-
lehnung wird teilweise motiviert durch das Zitat aus einem
Programm, das noch von dem vorhergehenden künst-
lerischen Leiter dieser Abteilung stammt, der bekanntlich
zugunsten von Mies van der Rohe zurücktrat. Aber das
ist nicht so wichtig. Viel ernster zu nehmen ist ein Auf-
satz in der gleichen Nummer der gleichen Zeitschrift von
Georg Kaufmann unter dem Titel „Wohnkultur und
Arbeiterklasse". Dieser Artikel zeichnet sich besonders
durch wirksame bildliche Gegenbeispiele aus. Aller-
dings, da wo er nun zeigt, wie die Arbeiterwohnung aus-
sehen soll und was, wie er behauptet, auch in der Halle II
hätte zu sehen sein müssen, kann man ihm nicht bei-
pflichten. Wir bilden gerade diese zwei Zimmer als Aus-
schnitt aus der „Wohnungswirtschaft" ab.
Hier handelt es sich tatsächlich um etwas Grundsätz-
liches. Man verstehe uns nicht falsch, es handelt sich nicht
darum, diese zwei Zimmer abzulehnen. Nein, jeder
Mensch, der in eine Arbeiterwohnung käme und sehen
würde, daß ein Arbeiter seine Wohnung und seine alten
Möbel so umgebaut hätte, wäre ehrlich erstaunt und
würde wirklich erfreut sein. Aber auch der kühnste
Optimist kann nicht bestreiten, daß es sich dabei um einen
Einzelfall handelt, dem aus der ganzen deutschen Ar-
beiterschaft kaum ein halbes Dutzend noch zugesellt wer-
den könnten. Der Glaube an das Umbauen alter Möbel
zu neuen ist jedenfalls trügerischer als die Hoffnung, daß
es uns bald gelingen wird, die Möbel, die die Arbeiter-
schaft braucht, anständig und einfach zu gestalten. Aber
trotzdem könnte man sich durchaus denken, daß einmal
eine Gewerkschaft eine kleine Wanderausstellung zu-
sammenstellt, etwa in der Art wie die Beispiele in der er-
wähnten „Wohnungswirtschaft". In kleinem Maßstab als
Anhang einer Ausstellung von Möbel und Wohngerät ist
das bei der Wanderausstellung „Wie wohnen" des Rhein-
Mainischen Verbandes für Volksbildung mit ein oder zwei
Beispielen durchgeführt worden. Die direkte Auswirkung
wird keine sehr große sein. Es wird wenig Arbeiter geben,
die nach Hause gehen und die überflüssigen Aufsätze
abnehmen. Wichtiger aber ist es, daß sie bei einer solchen
Ausstellung sehen, worauf es beim Möbel ankommt und
worauf es nicht ankommt.
Hätte man auf den bisherigen Ausstellungen, die
Wohnung und Wohngerät gezeigt haben, immer nur
solche verstümmelten Möbel vorgeführt, so wären wir
wirklich um keinen Schritt weitergekommen. Dadurch, daß
man an einem alten Möbel Aufsätze und Schnörkel weg-
ließ, ist es noch lange kein modernes Möbel geworden.
Seine Brauchbarkeit hat durchaus nicht zugenommen.
Und wenn man ganz ehrlich ist, so muß man zugeben,
daß, wenn man ein altes Zimmer so „modernisiert", man
nur einem modischen Bedürfnis folgt. Das Zimmer soll
modern aussehen, obwohl es nicht modern ist. Bruno
Taut hat vor einigen Jahren, kurz nachdem wir in der
„Form" einige Fassaden aus Berlin veröffentlicht haben,
bei denen der Stuck abgeschlagen wurde und die glatt
geputzt wurden, in einer Tageszeitung darauf hinge-
wiesen, daß man damit einem alten Hausorganismus nur
ein neues Mäntelchen umhängt. In diesem Fall mit den
Möbeln geschieht nichts anderes. Allerdings Taut hat nicht
ganz recht, denn die Fassade eines Hauses, besonders
eines Geschäftshauses, gehört zur Straße, ist ein Teil der
Straße und des Lebens, das sich auf der Straße abspielt.
Sie wurde in den meisten Fällen geglättet, um der Reklame
einen ruhigeren, besseren Hintergrund zu geben. Die
Frage der Umgestaltung des alten Möbels aber wird am
treffendsten charakterisiert durch den Titel eines Buches,
das auch die Frage der Wohnungs- und Möbelumgestal-
tung behandelt, nämlich „Der alten Wohnung ein neues
Gesicht". Hier liegt der Kernfehler. Nicht um ein neues
Gesicht handelt es sich, sondern um einen neuen Sinn, um
eine neue Haltung zum Leben. Wir haben schon darauf
hingewiesen, daß gegen die abgebildeten Zimmer aus
der „Wohnungswirtschaft" nichts einzuwenden ist, aber
was sollen solche verstümmelten Zimmer auf der Bauaus-
stellung in der Halle II? Eine Ausstellung von so großem
Rahmen und der Bedeutung wie die Bauausstellung kann
doch kein Lehrbuch der Wohnungsumgestaltung enthalten,
denn darauf wäre es doch hinausgelaufen, wenn man
solche Zimmer gezeigt hätte. Übrigens gibt es wirklich
schon ein Lehrbuch der Wohnungseinrichtung. Der Ver-
fasser hat aus kurzen Ratschlägen, wie sie etwa in
318
Die „Wohnkultur"
Während anfänglich über die Bauausstellung in den
Tageszeitungen recht wenig geschrieben wurde, was über
den Rahmen reiner Presseberichte hinausging und als
Bewertung oder Kritik angesprochen werden konnte,
haben sich nun doch in Fachzeitungen, in Zeitschriften und
auch in der Tagespresse recht viele Leute kritisch zu Wort
gemeldet. Und es zeigt sich dabei, daß die Diskussion in
allererster Linie um die Halle II geht. Man kann freilich
nicht verlangen, daß die Berliner ein starkes Beurteilungs-
vermögen für die Qualität einer Ausstellung als Ganzes
haben, denn sie kennen ja keine guten Ausstellungen.
Und deshalb ist die Diskussion über den Wert dieser Aus-
stellung leider ausgeblieben. Aber hier bei der Halle II,
deren Thema ein höchst aktuelles und auch ein volkstüm-
liches ist, begeistern sich die Gemüter oder ereifern sich
in der Negierung dieser „nüchternen Sachlichkeit". Jeden-
falls stimmt es nicht, was ein die Wiederkehr der Franse
und des Plüschs prophezeiender Schreiber in der DAZ ge-
sagt hat, daß die Besucher mit „apathischen Gesichtern"
in die Räume gestarrt hätten. Die apathischen Gesichter
hat man eher in der kläglichen Konkurrenz-Ausstellung
des Verlags Mosse sehen können. In der Halle II sind alle
Leute zum mindesten stark interessiert gewesen. Viele,
viele haben entrüstet diese Wohnungen abgewiesen und
haben geschimpft. Aber etwas anderes mußte jeder ob-
jektive Beobachter feststellen, nämlich, daß man auf der
ganzen Bauausstellung nirgends soviel interessierte junge
Menschen angetroffen hat wie in der Halle II. Mit leuch-
tenden Augen sind sie dort herumgelaufen, haben sich
alles angesehen und waren nicht nur interessiert, sondern
haben sich vor allen Dingen gefreut, weil sie fühlten, daß
das, was hier gezeigt wird, von einem neuen Geist Kunde
gibt, der auch ihr Geist und ihre Welt ist. Diese jungen
Menschen und das Gefühl, mit dem sie durch diese Halle
gegangen sind, sind der beste und stärkste Beweis des
Wertes dieser Schau. Diese Anerkennung und Bejahung
aus dem Instinkt heraus ist wichtiger noch als alle noch
so anerkennenden Kritiken aus der Fachwelt.
Sehr merkwürdig berührt wurde man durch eine Ver-
öffentlichung über die Bauausstellung in der ausgezeich-
neten Zeitschrift „Wohnungswirtschaft", dem Organ der
DEWOG, aus der ein völliges Nichtverstehen und Nicht-
empfinden des Geistes der Halle II hervorgeht. Die Ab-
lehnung wird teilweise motiviert durch das Zitat aus einem
Programm, das noch von dem vorhergehenden künst-
lerischen Leiter dieser Abteilung stammt, der bekanntlich
zugunsten von Mies van der Rohe zurücktrat. Aber das
ist nicht so wichtig. Viel ernster zu nehmen ist ein Auf-
satz in der gleichen Nummer der gleichen Zeitschrift von
Georg Kaufmann unter dem Titel „Wohnkultur und
Arbeiterklasse". Dieser Artikel zeichnet sich besonders
durch wirksame bildliche Gegenbeispiele aus. Aller-
dings, da wo er nun zeigt, wie die Arbeiterwohnung aus-
sehen soll und was, wie er behauptet, auch in der Halle II
hätte zu sehen sein müssen, kann man ihm nicht bei-
pflichten. Wir bilden gerade diese zwei Zimmer als Aus-
schnitt aus der „Wohnungswirtschaft" ab.
Hier handelt es sich tatsächlich um etwas Grundsätz-
liches. Man verstehe uns nicht falsch, es handelt sich nicht
darum, diese zwei Zimmer abzulehnen. Nein, jeder
Mensch, der in eine Arbeiterwohnung käme und sehen
würde, daß ein Arbeiter seine Wohnung und seine alten
Möbel so umgebaut hätte, wäre ehrlich erstaunt und
würde wirklich erfreut sein. Aber auch der kühnste
Optimist kann nicht bestreiten, daß es sich dabei um einen
Einzelfall handelt, dem aus der ganzen deutschen Ar-
beiterschaft kaum ein halbes Dutzend noch zugesellt wer-
den könnten. Der Glaube an das Umbauen alter Möbel
zu neuen ist jedenfalls trügerischer als die Hoffnung, daß
es uns bald gelingen wird, die Möbel, die die Arbeiter-
schaft braucht, anständig und einfach zu gestalten. Aber
trotzdem könnte man sich durchaus denken, daß einmal
eine Gewerkschaft eine kleine Wanderausstellung zu-
sammenstellt, etwa in der Art wie die Beispiele in der er-
wähnten „Wohnungswirtschaft". In kleinem Maßstab als
Anhang einer Ausstellung von Möbel und Wohngerät ist
das bei der Wanderausstellung „Wie wohnen" des Rhein-
Mainischen Verbandes für Volksbildung mit ein oder zwei
Beispielen durchgeführt worden. Die direkte Auswirkung
wird keine sehr große sein. Es wird wenig Arbeiter geben,
die nach Hause gehen und die überflüssigen Aufsätze
abnehmen. Wichtiger aber ist es, daß sie bei einer solchen
Ausstellung sehen, worauf es beim Möbel ankommt und
worauf es nicht ankommt.
Hätte man auf den bisherigen Ausstellungen, die
Wohnung und Wohngerät gezeigt haben, immer nur
solche verstümmelten Möbel vorgeführt, so wären wir
wirklich um keinen Schritt weitergekommen. Dadurch, daß
man an einem alten Möbel Aufsätze und Schnörkel weg-
ließ, ist es noch lange kein modernes Möbel geworden.
Seine Brauchbarkeit hat durchaus nicht zugenommen.
Und wenn man ganz ehrlich ist, so muß man zugeben,
daß, wenn man ein altes Zimmer so „modernisiert", man
nur einem modischen Bedürfnis folgt. Das Zimmer soll
modern aussehen, obwohl es nicht modern ist. Bruno
Taut hat vor einigen Jahren, kurz nachdem wir in der
„Form" einige Fassaden aus Berlin veröffentlicht haben,
bei denen der Stuck abgeschlagen wurde und die glatt
geputzt wurden, in einer Tageszeitung darauf hinge-
wiesen, daß man damit einem alten Hausorganismus nur
ein neues Mäntelchen umhängt. In diesem Fall mit den
Möbeln geschieht nichts anderes. Allerdings Taut hat nicht
ganz recht, denn die Fassade eines Hauses, besonders
eines Geschäftshauses, gehört zur Straße, ist ein Teil der
Straße und des Lebens, das sich auf der Straße abspielt.
Sie wurde in den meisten Fällen geglättet, um der Reklame
einen ruhigeren, besseren Hintergrund zu geben. Die
Frage der Umgestaltung des alten Möbels aber wird am
treffendsten charakterisiert durch den Titel eines Buches,
das auch die Frage der Wohnungs- und Möbelumgestal-
tung behandelt, nämlich „Der alten Wohnung ein neues
Gesicht". Hier liegt der Kernfehler. Nicht um ein neues
Gesicht handelt es sich, sondern um einen neuen Sinn, um
eine neue Haltung zum Leben. Wir haben schon darauf
hingewiesen, daß gegen die abgebildeten Zimmer aus
der „Wohnungswirtschaft" nichts einzuwenden ist, aber
was sollen solche verstümmelten Zimmer auf der Bauaus-
stellung in der Halle II? Eine Ausstellung von so großem
Rahmen und der Bedeutung wie die Bauausstellung kann
doch kein Lehrbuch der Wohnungsumgestaltung enthalten,
denn darauf wäre es doch hinausgelaufen, wenn man
solche Zimmer gezeigt hätte. Übrigens gibt es wirklich
schon ein Lehrbuch der Wohnungseinrichtung. Der Ver-
fasser hat aus kurzen Ratschlägen, wie sie etwa in
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