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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Unter der Lupe
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0205

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UNTER DER LUPE

HANDWERK UND NEUE BAUGESINNUNG

Der Reichsverband des Deutschen Handwerks
hat an die verschiedenen Reichsministerien und an
die Länderregierungen eine Eingabe gerichtet, um
die Aufmerksamkeit der Behörden auf die Notlage
vor allem derjenigen Handwerkszweige zu richten,
die durch die moderne Kunstrichtung stark benach-
teiligt werden. Es wird in dieser Eingabe auf das
Bildhauergewerbe sowohl für Holz als auch für
Stein hingewiesen, auf das Drechslergewerbe, auf
das Stuck- und das Steinmetzgewerbe. Die Behör-
den, so verlangt die Eingabe, sollen die nachgeord-
neten Dienststellen darauf hinweisen, daß bei der
Vergebung von Bauaufträgen die erwähnten Hand-
werksgruppen zur Mitarbeit herangezogen werden.
Unter anderem heißt es in der Eingabe: ..Wir glau-
ben auch andererseits Anzeichen für eine Änderung
der gegenwärtigen Kunstrichtung feststellen zu kön-
nen, eine Bewegung, die zumal auf der letzten Ta-
gung des Deutschen Werkbundes stark zum Aus-
druck kam." Es sind in der letzten Zeit von ver-
schiedenen Fachgewerben des Handwerks solche
Eingaben gemacht worden und die Behörden haben
daraufhin versichert, daß sie ihr Möglichstes tun
werden.

Wir glauben, daß es notwendig ist. sich mit dieser
Eingabe auseinanderzusetzen, nicht mit ihren Einzel-
heiten, aber mit der Tatsache und mit ihren tieferen
Ursachen. Es ist ja eine Hauptaufgabe dieser Ab-
teilung unserer Zeitschrift, sich gerade mit den
Fragen des Handwerks und mit den Fragen der Ein-
beziehung der freien Kunst auseinanderzusetzen.
Aber hier ist größte Offenheit und Deutlichkeit not-
wendig, gerade weil es Fragen sind, die zu einer
Klärung drängen, und weil es Fragen sind, in denen
immer aneinander vorbeigeredet wird. Dabei kon-
struiert man sich leicht einen Gegner, der den be-
rühmten bösen Willen hat. Es wird immer auf seifen
des Handwerks von der schmuckfeindlichen Rich-
tung gesprochen und nicht selten wird diese „Rich-
tung" mit dem Werkbund identifiziert. Und leider
kommt es auch hier und da vor, daß man diese
Dinge mit politischen Richtungen verquickt. Ein
wenig mehr Verständnis für die Gegenseite hüben
wie drüben wäre nötig.

Wenn man von einer schmuckfeindlichen Gruppe
spricht, so ist das schon grundfalsch. Man kann
höchstens sagen, daß die modernen Architekten ein
positives Ziel verfolgen, das ein grundsätzlich ande-
res ist als die Anschauung, daß erst der Schmuck
alles schön macht. Jede Form soll ihren Wert und
ihre Daseinsberechtigung haben. Auch der Schmuck
hat seinen Wert und seine Daseinsberechtigung,
aber nicht überall da. wo man ihn bisher angewen-
det hat. Ebenso falsch ist es. wenn man immer von
den berühmten glatten Wänden ohne Bilder spricht.
Es wird keinen modernen Architekten geben, der
grundsätzlich gegen das Bild eingestellt ist. Aber

das Bild und seine Art der Anbringung ist nicht mehr
eine Angelegenheit des Architekten, weil das Bild
heute glücklicherweise nicht als reiner Zimmer-
schmuck aufgefaßt wird, sondern als eine Schöpfung,
zu der der Besitzer eine wirkliche Beziehung hat. Ein
weiterer Fehler: Handwerk und Schmuck sind nicht
dasselbe und haben gar nichts miteinander zu tun.
Tatsache ist nur. daß die Hauptbetätigung einzelner
handwerklicher Gebiete sich bisher in der Herstel-
lung von Schmuck und Zierat erschöpfte, und daß
leider auch ein ganz verschwindend geringer Teil
des Handwerks sich mit der Herstellung von Dingen
befaßte, die man nur äußerlich aber sicherlich nicht
ihrem Wert nach als Kunst bezeichnet hat. Ein
Fehler auf der anderen Seite, der weniger von den
wirklichen Erneuerern der modernen Gestaltung als
von einigen Mitläufern gemacht wird, ist der Glaube,
innerhalb unseres Wirtschaftssystems das Hand-
werk ganz zugunsten der Industrie ausschließen zu
können. Über all diese Fragen ist in der „Form"
schon öfter gesprochen worden und es ist in die-
sem Zusammenhang nur notwendig, daß man die
Tatsachen noch einmal zusammenstellt. In der näch-
sten Nummer wird ein Führer des Handwerks in
einem längeren Aufsatz ganz eindeutig und sach-
lich zu der Frage Stellung nehmen, ob die moderne
Gestaltung das Handwerk ausschließt oder ob sie
nicht vielmehr erhöhte Ansprüche an sein Schaffen
stellt.

Der schwerwiegendste Fehler aber, der all diesen
Eingaben zugrunde liegt, darf hier nicht verschwie-
gen werden. Wenn man nämlich diese Eingaben
liest, so muß man glauben, daß die moderne Be-
wegung nicht etwa etwas logisch und naturnotwen-
dig Gewordenes und Werdendes ist. sondern ein
Einfall von einigen Leuten, der ausgerechnet nur
deshalb ihren Köpfen entsprungen ist, um den
Schmuck und das Handwerk auszurotten. Über Art
und Wert geschichtlichen und kulturhistorischen Ge-
schens kann man nicht streiten, denn wer glaubt,
daß das Automobil erfunden worden ist. damit die
Pferde vom Erdboden verschwinden, der hat nie
etwas von den bewegenden Kräften der Entwick-
lung gespürt. Muß denn nicht das Eine zu denken
geben, daß über den Portalen moderner Häuser
keine Steinfiguren und Steinornamente mehr stehen,
nicht weil die Architekten das so wollen, sondern
weil kein Mensch mehr eine Beziehung dazu hat
und diese Dinge infolgedessen nicht mehr haben
will. Ganz kühne Leute, die vielleicht nicht wissen,
daß die moderne Gestaltung nicht eine Mode, son-
dern eine Bewegung ist. die auf der ganzen Kultur-
welt alle ernsten Menschen erfaßt, sehen vielleicht
in der modernen Architektur eine Creation der Mode.
Es sei zugegeben, daß vieles an der modernen Bau-
kunst, vor allem die Übertreibungen ins rein Formale,
modischen Charakters ist, aber ihr Wesen und ihr
Sinn sind zeitgebunden und naturnotwendig.

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