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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Meißner, Else: Die Neuregelung des Sachverständigenwesens im Kunst- und Geschmacksmusterschutz
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0321

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Die Neuregelung des Sachverständigenwesens
im Kunst- und Geschmacksmusterschutz

Referat auf der Mitgliederversammlung des Deutschen Werkbundes am 27. Juni 1931
ELSE MEISSNER

Die Wandlungen in der künstlerischen Entwicklung
können auch gewisse Wandlungen in den Rechten des
Künstlers mit sich bringen. Es ist beispielsweise in der
letzten Zeit das Problem aufgetaucht, inwieweit die heu-
tigen einfachen Formen noch Gegenstand des Kunst-
schutzes sein können, ja man ist so weit gegangen, im
Hinblick auf die Grenzschwierigkeiten zwischen typischem
und individuellem Kunstschaffen eine Änderung des Kunst-
schutzgesetzes zu verlangen (vgl. „Die Form", 1931,
Heft 2 und 5). Nun lassen sich solche Dinge nicht gesetz-
lich festlegen, dazu ist die Entwicklung zu sehr im Fluß;
wohl aber zeigt sich hier die Bedeutung der Recht-
sprechung. So wertvoll und notwendig die öffent-
liche Diskussion solcher grundsätzlicher Fragen ist: die
Entscheidung über den rechtlichen Schutz des Künstlers
fällt vor Gericht. Und es muß Sorge getragen werden,
daß dort das Rechtsbewußtsein unserer Zeit in bezug
auf künstlerische Fragen einen adäquaten Ausdruck findet.

Der Ausgang von Urheberrechtsstreitigkeiten hängt nun
in den meisten Fällen sehr wesentlich vom Sachver-
ständigengutachten ab; denn der Richter wird selten aus
eigener Anschauung die Schutzwürdigkeit der um-
strittenen Sache beurteilen können. Dann beginnt der
Wettlauf der Parteien um den ihnen geneigten Sachver-
ständigen, und es ist nur zu bekannt., daß es neben her-
vorragend objektiven und sachkundigen Gutachtern auch
andere gibt, die weniger objektiv und weniger sachkundig
sind. Es kommt — wohl nicht ganz selten — vor, daß in-
folge solcher Fehlgutachten Urheberrechtsprozesse ganz
anders ausgehen, als sie bei objektiver Betrachtung aus-
gehen müßten, und das Vertrauen in den rechtlichen
Schutz wird durch solche Fälle schwer erschüttert.

Gewissermaßen als höhere Instanz gegenüber den
Fehlgutachten von Einzelsachverständigen ist nun schon
in den Gesetzen die kollegiale Begutachtung durch Gut-
achterausschüsse vorgesehen — für das Kunstschutzgesetz
durch die sog. Sachverständigenkammern, für das Ge-
schmacksmustergesetz die sog. Gewerblichen Sachver-
ständigenvereine —, die von den Justizverwaltungen der
einzelnen Länder zu ernennen sind und auf Antrag der
Parteien oder aus eigener Initiative vom Gericht an-
gerufen werden können. Diese Ausschüsse wären die
gegebenen Stellen, um die zeitgemäße Beurteilung von
Urheberrechtsfragen zu gewährleisten.

Die Sächsische Landesstelle für Kunstgewerbe, die aus
ihrer praktischen Arbeit heraus Anlaß hatte, sich mit
Urheberrechtsfragen zu befassen, hat eine Rundfrage
über die Zusammensetzung dieser Ausschüsse in den ver-
schiedenen deutschen Ländern angestellt. Dabei hat sich
herausgestellt, daß die Zusammensetzung ganz ver-
schiedenartig ist, und zwar sowohl nach der Zahl, wie
nach der Berufszugehörigkeit, dem Alter und der Eignung
der Mitglieder. Offensichtlich sitzen in den Ausschüssen

zum großen Teil noch dieselben Mitglieder wie im Jahre
1907 bei Erlaß des Kunstschutzgesetzes. Es ist vor-
gekommen, daß einem Mitglied seine Zugehörigkeit zu
dem Ausschuß gar nicht mehr bewußt war. Die In-
anspruchnahme ist teilweise sehr gering. Von einem
Gewerblichen Sachverständigenverein wurde mitgeteilt,
daß seit 1915 kein Fall mehr zur Begutachtung vorgelegt
worden sei. Von dem Vorsitzenden einer Sachver-
ständigenkammer wurde irrtümlich die Meinung vertreten,
daß sie nur für Malerei, Plastik und Baukunst zuständig
sei; auf Rückfrage erwiderte er, daß seit Jahren kein
Fall der angewandten Kunst mehr vorgekommen sei.

Die Justizverwaltungen der Länder, die für die Er-
nennung der Ausschüsse zuständig sind, sind nicht in der
Lage — oder glauben es nicht zu sein —, solche Miß-
stände abzustellen, weil bisher die Mitglieder auf Lebens-
zeit ernannt werden. Die Sächsische Landesstelle für
Kunstgewerbe stellt deshalb an den Deutschen Werkbund
den Antrag, bei der Reichsregierung dahin vorstellig zu
werden, daß die Bestimmungen für die Sachverständigen-
kammern und die Gewerblichen Sachverständigenvereine
geändert werden. Hierfür ist der Reichskanzler zuständig.

In erster Linie halten wir es für notwendig, daß die
Mitglieder nicht auf Lebenszeit ernannt werden, sondern
auf begrenzte Zeit, z. B. 5 Jahre, aber wiederwählbar
sind. Es ist nicht angängig, daß in den Ausschüssen Mit-
glieder sitzen, die gar nicht mehr als zuständig für das
Fach, das sie vertreten sollen, angesprochen werden
können, weil sie längst in den Ruhestand getreten sind
oder einen anderen Beruf ergriffen haben. Auch kommt
es vor, daß Künstler, die vor zehn Jahren in vorderster
Reihe standen, sich der Entwicklung nicht mehr anpassen
konnten und Neuschöpfungen gänzlich negativ gegen-
überstehen. Setzt sich ein Ausschuß überwiegend aus
solchen Mitgliedern zusammen, so kann er nicht mehr
seiner wichtigsten Aufgabe genügen, nämlich die Recht-
sprechung in eine Bahn zu lenken, die dem künstlerischen
Empfinden der Zeit entspricht. Außerdem fehlt ihm natur-
gemäß das Vertrauen gerade der produktiven Künstler
und Unternehmungen, die der Nachahmung am meisten
ausgesetzt sind, und geringe Inanspruchnahme ist die
Folge. Deshalb muß ein Wechsel der Mitglieder er-
möglicht werden; durch die Wiederwählbarkeit müssen
andererseits bewährte Persönlichkeiten den Ausschüssen
auch länger erhalten werden können.

Ferner ist es ein Nachteil, daß die meisten Sachver-
ständigenkammern überwiegend aus Vertretern der bil-
denden Künste, der Malerei, Plastik und daneben der
Baukunst, zusammengesetzt sind, daß aber die an-
gewandte Kunst daneben ganz zurücktritt, während zu-
gestandenermaßen die Mehrzahl der Kunstschutzstreitig-
keiten die angewandte Kunst betreffen. Deshalb geht
unser Vorschlag dahin, daß in den Sachverständigen-

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