Standardform im Besteck
Bildbericht des Museums für das vorbildliche Serienprodukt
Günther Wagner-Stiftung der Pelikan-Werke Hannover
JUSTUS BIER
VORBEMERKUNG
In Heft 3 dieses Jahrganges S. 117 hat Wilhelm Lötz
über das „Museum für das vorbildliche Serienprodukt"
berichtet, das aus Mitteln der Günther-Wagner-Stiftung
der Pelikan-Werke Hannover in der Kestner-Gesellschaft
Hannover von dem Unterzeichneten errichtet werden
konnte. Das Museum, als Magazinmuseum mit einem
ständigen Ausstellungsraum für wechselnde Ausstellungen
im Hause der Kestner-Gesellschaft aufgebaut, ist im De-
zember 1930 mit einer Ausstellung „Reine Form im Haus-
gerät" zuerst hervorgetreten und hat anschließend aus-
wärtigen Ausstellungen in Stuttgart (Ausstellung
„Glas und Porzellan" der Württembergischen Arbeits-
gemeinschaft des Deutschen Werkbundes), Olden-
burg (Ausstellung „Die billige gute Wohnung" der Ver-
einigung für Junge Kunst), Bremen (Ausstellung „Reine
Form im Hausgerät" der Bremer Werkbundgruppe),
Hamburg (Ausstellung „Das Besteck" des Hamburger
Kunstvereins) seine Bestände zur Verfügung gestellt.
Von der zuletzt genannten Hamburger Ausstellung
„Das Besteck", die einen Überblick über Standardformen,
wie sie sich zum Teil schon über hundert Jahre auf dem
Markt behauptet haben, zu geben versuchte, sei im fol-
genden ein Bildbericht gegeben. Er macht keinen An-
spruch auf Vollständigkeit, sondern will lediglich durch
einige Gegenüberstellungen auf die wichtigsten Fragen
hinweisen und das Unterscheidungsvermögen für das
Wesentliche dieser Formen schärfen, die ohne Ornamen-
tierung und dekorative Veränderung der funktionell be-
stimmten Formen aus der Bejahung der reinen Zweck-
form und der Exaktheit maschineller Herstellung ihre
Schönheit gewinnen.
Die Sammlung der Bestecke ist durch den Verfasser
erfolgt, mit Ausnahme der Erzeugnisse von Haastert und
Büll, Wingen jr., Weyersberg und Deffner, die den Be-
ständen der Monzaer Ausstellung entstammen, für die
Prof. Woenne eine Auswahl Solinger Erzeugnisse zu-
sammengebracht hatte. Die Bestände dieser von Hilbers-
eimer geleiteten Monzaer Ausstellung sind geschlossen
an das „Museum für das vorbildliche Serienprodukt"
übergegangen.
„Um den Stil unserer Zeit finden zu können, muß man
ein moderner Mensch sein. Aber Menschen, die jene
Dinge, die bereits im Stile unserer Zeit sind, zu ändern
suchen oder andere Formen an ihre Stelle setzen
möchten — ich verweise nur auf Eßbestecke —, zeigen
damit, daß sie den Stil unserer Zeit nicht erkennen. Sie
werden vergeblich danach suchen."
Adolf Loos 1908.
(Aus Adolf Loos. Trofzdem, Innsbruck 1931, S. 80.)
HANDWERKLICHE ARBEIT ALS LUXUSPRODUKT ODER ALS VORBEREITUNG MASCHINELLER ARBEIT
Handwerksarbeit früherer Zeiten war, was Maschinen-
arbeit heute ist: Produktion für die Massenversorgung.
Das Luxusprodukt unterschied sich nicht durch die Art der
Arbeit, sondern durch wertvolleres Material und reiche
Ornamentierung vom Massenprodukt. Handgeschlagene
Bestecke, auch die schlichtesten, sind heute, was die reichst
ornamentierten Bestecke früherer Zeiten waren: Luxus-
produkt für den Gebrauch Weniger.
Da auch das reichste Ornament maschineller Verviel-
fältigung zugänglich ist und damit seinen hervorhebenden
Wert für das Luxusprodukt verloren hat, kann das heutige
Luxusprodukt auf reiche Ornamentierung mehr oder
weniger verzichten. Dagegen gibt die handwerkliche Her-
stellung gegenüber der maschinell hergestellten Massen-
ware noch immer die Möglichkeit deutlicher Absonderung.
Da aber „zwischen einem Kunstwerk, das eigens und
mit besonderer Sorgfalt für eine bestimmte Person aus-
geführt wurde, und einem Gegenstand, der aus einer
Presse stammt, zu unterscheiden", dem heutigen Käufer
von Luxuswaren meistens schwerer fallen dürfte, als
Balzacs Madame Gaston, konnte die Hervorhebung des
handwerklichen Charakters durch auffällig zur Schau ge-
tragenen Hammerschlag aufkommen. In früheren Zeiten
war dieser noch deutlich kenntliche Hammerschlag Kenn-
zeichen gröberer Arbeit, während Luxusarbeit, an die ein
größeres Maß von Arbeitszeit gewendet wurde, sich
durch größte Exaktheit der Form kennzeichnete, eine
Exaktheit, wie sie durch die Maschine heute auch der
billigsten Massenware zugänglich ist.
Von den beiden hier gezeigten Bestecken sucht das
Besteck von Jensen nicht nur durch seinen handwerk-
lichen Charakter, sondern auch durch die individua-
listische Eigenwilligkeit nicht verleugnende Form sich so
stark als möglich von Maschinenarbeit zu unterscheiden,
während das Besteck von Thomee trotz rein handwerk-
licher Herstellung formmäßig die Präzision maschineller
Arbeit besitzt. Während es widrig wäre, das Jensensche
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Bildbericht des Museums für das vorbildliche Serienprodukt
Günther Wagner-Stiftung der Pelikan-Werke Hannover
JUSTUS BIER
VORBEMERKUNG
In Heft 3 dieses Jahrganges S. 117 hat Wilhelm Lötz
über das „Museum für das vorbildliche Serienprodukt"
berichtet, das aus Mitteln der Günther-Wagner-Stiftung
der Pelikan-Werke Hannover in der Kestner-Gesellschaft
Hannover von dem Unterzeichneten errichtet werden
konnte. Das Museum, als Magazinmuseum mit einem
ständigen Ausstellungsraum für wechselnde Ausstellungen
im Hause der Kestner-Gesellschaft aufgebaut, ist im De-
zember 1930 mit einer Ausstellung „Reine Form im Haus-
gerät" zuerst hervorgetreten und hat anschließend aus-
wärtigen Ausstellungen in Stuttgart (Ausstellung
„Glas und Porzellan" der Württembergischen Arbeits-
gemeinschaft des Deutschen Werkbundes), Olden-
burg (Ausstellung „Die billige gute Wohnung" der Ver-
einigung für Junge Kunst), Bremen (Ausstellung „Reine
Form im Hausgerät" der Bremer Werkbundgruppe),
Hamburg (Ausstellung „Das Besteck" des Hamburger
Kunstvereins) seine Bestände zur Verfügung gestellt.
Von der zuletzt genannten Hamburger Ausstellung
„Das Besteck", die einen Überblick über Standardformen,
wie sie sich zum Teil schon über hundert Jahre auf dem
Markt behauptet haben, zu geben versuchte, sei im fol-
genden ein Bildbericht gegeben. Er macht keinen An-
spruch auf Vollständigkeit, sondern will lediglich durch
einige Gegenüberstellungen auf die wichtigsten Fragen
hinweisen und das Unterscheidungsvermögen für das
Wesentliche dieser Formen schärfen, die ohne Ornamen-
tierung und dekorative Veränderung der funktionell be-
stimmten Formen aus der Bejahung der reinen Zweck-
form und der Exaktheit maschineller Herstellung ihre
Schönheit gewinnen.
Die Sammlung der Bestecke ist durch den Verfasser
erfolgt, mit Ausnahme der Erzeugnisse von Haastert und
Büll, Wingen jr., Weyersberg und Deffner, die den Be-
ständen der Monzaer Ausstellung entstammen, für die
Prof. Woenne eine Auswahl Solinger Erzeugnisse zu-
sammengebracht hatte. Die Bestände dieser von Hilbers-
eimer geleiteten Monzaer Ausstellung sind geschlossen
an das „Museum für das vorbildliche Serienprodukt"
übergegangen.
„Um den Stil unserer Zeit finden zu können, muß man
ein moderner Mensch sein. Aber Menschen, die jene
Dinge, die bereits im Stile unserer Zeit sind, zu ändern
suchen oder andere Formen an ihre Stelle setzen
möchten — ich verweise nur auf Eßbestecke —, zeigen
damit, daß sie den Stil unserer Zeit nicht erkennen. Sie
werden vergeblich danach suchen."
Adolf Loos 1908.
(Aus Adolf Loos. Trofzdem, Innsbruck 1931, S. 80.)
HANDWERKLICHE ARBEIT ALS LUXUSPRODUKT ODER ALS VORBEREITUNG MASCHINELLER ARBEIT
Handwerksarbeit früherer Zeiten war, was Maschinen-
arbeit heute ist: Produktion für die Massenversorgung.
Das Luxusprodukt unterschied sich nicht durch die Art der
Arbeit, sondern durch wertvolleres Material und reiche
Ornamentierung vom Massenprodukt. Handgeschlagene
Bestecke, auch die schlichtesten, sind heute, was die reichst
ornamentierten Bestecke früherer Zeiten waren: Luxus-
produkt für den Gebrauch Weniger.
Da auch das reichste Ornament maschineller Verviel-
fältigung zugänglich ist und damit seinen hervorhebenden
Wert für das Luxusprodukt verloren hat, kann das heutige
Luxusprodukt auf reiche Ornamentierung mehr oder
weniger verzichten. Dagegen gibt die handwerkliche Her-
stellung gegenüber der maschinell hergestellten Massen-
ware noch immer die Möglichkeit deutlicher Absonderung.
Da aber „zwischen einem Kunstwerk, das eigens und
mit besonderer Sorgfalt für eine bestimmte Person aus-
geführt wurde, und einem Gegenstand, der aus einer
Presse stammt, zu unterscheiden", dem heutigen Käufer
von Luxuswaren meistens schwerer fallen dürfte, als
Balzacs Madame Gaston, konnte die Hervorhebung des
handwerklichen Charakters durch auffällig zur Schau ge-
tragenen Hammerschlag aufkommen. In früheren Zeiten
war dieser noch deutlich kenntliche Hammerschlag Kenn-
zeichen gröberer Arbeit, während Luxusarbeit, an die ein
größeres Maß von Arbeitszeit gewendet wurde, sich
durch größte Exaktheit der Form kennzeichnete, eine
Exaktheit, wie sie durch die Maschine heute auch der
billigsten Massenware zugänglich ist.
Von den beiden hier gezeigten Bestecken sucht das
Besteck von Jensen nicht nur durch seinen handwerk-
lichen Charakter, sondern auch durch die individua-
listische Eigenwilligkeit nicht verleugnende Form sich so
stark als möglich von Maschinenarbeit zu unterscheiden,
während das Besteck von Thomee trotz rein handwerk-
licher Herstellung formmäßig die Präzision maschineller
Arbeit besitzt. Während es widrig wäre, das Jensensche
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