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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Lotz, Wilhelm: Gebrauchsgerät als Ware
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0460

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merzieller Leistungsfähigkeit stellt ein einwand-
freies modernes Service her. Dann kommt eine
große leistungsfähige Firma und will auch ein
solches einwandfreies modernes Service her-
stellen und vertreiben. Sie begeht nicht den Weg,
daß sie einen Künstler beauftragt und von ihm
ein ganz neugestaltetes Service fordert, son-
dern sie ist der Überzeugung, daß jenes andere
Service der kleinen Firma absolut gut ist. Sie
muß das Musterschutzgesetz umgehen und bringt
ein paar Abänderungen, die zwar die gute
Funktion nicht schädigen, die aber das Aussehen
beeinträchtigen. Das Service sieht also nicht
mehr natürlich und modern aus. Dieser Firma
gelingt es — das alles sei eine Annahme —
dieses Service wirklich in die Breite hineinzu-
tragen. Das wäre eine wirkliche kommerzielle
Leistung nicht nur von der Wirtschaft, sondern von
der Gesellschaft her gesehen. Man würde dieser
Firma natürlich vorwerfen, daß sie absichtlich den
Musterschutz umgangen hat. Man würde ihr
vorwerfen, daß sie keinen Gestalter beauftragt
hat, aber die Qualität der wirtschaftlichen Lei-
stung wird dadurch nicht herabgesetzt. Man
könnte vieles einwenden, etwa, daß der Stan-
dard, wie Justus Bier das behauptet, vielen Mög-
lichkeiten der Gestaltung freien Raum läßt. Man
könnte auch sagen, daß nichts verwerflicher ist
als eine Übernahme, die verschlechtert statt ver-
bessert. Das Problem liegt natürlich tiefer. Und
wir kommen dabei in Berührung mit den Fragen
der Konkurrenzwirtschaft, der Kunst- und Muster-
schutzgesetzgebung, alles Fragen, die bei der
Erörterung der Probleme des Standards berück-
sichtigt werden müssen, weil sie wirtschaftliche
Tatsachen sind.

Ein weiteres ganz großes Kapitel, das in diesen
Rahmen gehört, ist die Frage des Bedarfs. Wer
ist der eigentliche Träger des Fortschritts, wer
ist derjenige Teil, der immer und immer wieder
das Ziel des Standards ein Stückchen weiter
steckt? Geht die Initiative vom Bedarf aus oder
von der Fabrikation? Oder ist eine ständige be-
fruchtende Wechselwirkung vorhanden? Diese
Frage kann in dieser kurzen Abhandlung nicht
geklärt werden. Aber es ist wichtig, auf diese
Fragestellung zu verweisen, zumal sie eng mit
einem anderen Problem zusammenhängt, das
bei der Standardentwicklung eine Rolle spielt,
nämlich der psychologischen Auswirkung des
Modischen. Es ist doch merkwürdig, daß neue
Dinge auf dem Gebiet der Gebrauchsware,

seien es technische Neuerungen, seien es
Neuerungen der Form- und Materialgebung,
sich nur durchsetzen, wenn sie unter dem Begriff
des Modernen propagiert werden. Denken wir
an die in diesem Heft veröffentlichten neuen
Glasgeräte der Jenaer Glaswerke. Ohne daß
man sich Rechenschaft gibt, ob das Glas in diesem
Fall praktischer oder geeigneter ist, empfindet
jeder Beschauer, daß hier etwas geschaffen ist,
was modern ist. Auch das berühmte Beispiel
von dem Arbeiter, der sich eine Wohnung nach
dem Vorbild des Bessergestellten einrichtet, ge-
hört hierher. Otto Neurath hat in Stuttgart er-
zählt, daß die Leute auf dem Trödelmarkt keinen
Tisch mit „Knödeln" mehr kaufen wollten, ob-
gleich er durchaus noch brauchbar ist, sondern
daß sie nur glatte, moderneTische haben wollten.
Man mag über diese Sucht nach dem Modernen
spotten. Irgendwo steckt ein richtiger Kern. Und
nur diese Sucht nach dem Modernen ermöglicht
es, daß neue Dinge, neue Gerätschaften ihre
Käufer finden. So sehr man Front gegen modische
Übertreibungen machen muß, so wenig darf man
das fortschrittfördernde Moment des Begriffes
„modern" unterschätzen.

Wir sind uns durchaus darüber klar, daß in
diesem Rahmen nur einige Andeutungen über
wirtschaftliche Faktoren gegeben werden konnten,
aber wir hielten es für wichtig, solche Fragen in
die Diskussion zu werfen. Eine absolute Klärung
kann nicht herbeigeführt werden, aber es ist not-
wendig, daß wir vom Werkbund uns bei der
Frage der Gebrauchsware mit solchen realen
Faktoren beschäftigen und versuchen, den Sinn
dieser Dinge zu ergründen, um um so stärker
und wirkungsvoller unsere Forderungen geltend
machen zu können. Auf allen Gebieten wird es
heute notwendig, daß man nach dem Sinn der
Apparatur fragt. Und auch die Wirtschaft ist
eine solche Apparatur. Und ihr Sinn ist es, dem
Menschen das Gebrauchsgerät, die Ware, zu
liefern, mit der er sein Leben formt, ganz gleich,
ob es Nahrungsmittel, ob es Lampen oder Stühle
oder Straßenbahnwagen sind. Die Forderungen,
die aus dem Wesen des Menschlichen her-
kommen, müssen hier ebenso aufgestellt werden,
wie sie in der Architektur aufgestellt worden sind.
Aber wir müssen die Apparatur, die die Wirt-
schaft darstellt, auch kennen, wie wir den tech-
nischen Betriebsvorgang kennen müssen oder die
statischen Gesetze des Bauens.

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