WERKBUNDKRISIS?
W. R I E Z L E R
Wer die Aussprache in Stuttgart miterlebt
oder ihr Echo in der Presse beachtet hat, der
konnte den Eindruck gewinnen, es befinde sich
der Werkbund in einer schweren Krisis: als gebe
es nicht nur, was selbstverständlich wäre. Mei-
nungsverschiedenheiten, sondern als rede jeder
an dem anderen so vorbei, daß auf eine Einigung
oder Verständigung gar nicht mehr zu hoffen ist.
Es wäre seltsam und bedenklich, wenn sich diese
Unmöglichkeit der Verständigung gerade jetzt
herausstellen würde, da mit jedem Jahre die Ent-
wicklung entschiedener und eindeutiger, der Weg
in die Zukunft klarer überschaubar zu sein
scheint.
Was ging vor? Der Streit nahm seinen Aus-
gang in Wien, im Anschluß an Josef Franks
Rede, die allerdings aggressiv genug war: ein
sehr verdienter Kunsthandwerker forderte eine
Aussprache über die Frage, warum der Werk-
bund so einseitig für die notwendig schmuck-
losen Formen der Maschinenarbeit eintrete und
sich um die Bedürfnisse der Handarbeit, die ihrer
Natur nach zur Schmuckform dränge, nicht
kümmere. Damit war frei,ich ein Problem von
gefährlicher Aktualität berührt. In der Tat tritt
von Jahr zu Jahr die Schmuckform, das „Orna-
ment"' im alten Sinne, mehr zurück und greift die
schmucklose Form, wie sie aller Maschinenarbeit
von Natur gemäß ist, immer mehr auf die Gebiete
der handwerklichen Arbeit über. Der Werkbund
würde einen schweren Fehler begehen, wenn er
vor dieser Tatsache die Augen verschließen und
versuchen wollte, aus einer romantischen Vor-
liebe für das Alte die Schmuckform zu fördern,
— was ihm niemals gelingen könnte, da die Ab-
kehr von der Schmuckform ganz offenbar keine
bald vergehende Mode ist, auch nicht nur wirt-
schaftlich-sozial begründet ist, sondern der all-
gemeinen geistigen Einstellung der Gegenwart
entspricht. Die schmucklose Form, die gerade
Linie hat heute etwas Allgemeingültiges, und nur
deshalb vermag sie sich auch auf dem Gebiete
des Handwerks durchzusetzen.
Doch steht hinter dieser nicht allzuernst zu
nehmenden Sorge um die Schmuckform eine
andere tiefere und allgemeinere: die um den
Fortbestand des Handwerks überhaupt. Dem
Ausdruck dieser Sorge galt ein großer Teil der
Stuttgarter Reden, und gerade von diesem
Standpunkt aus wurde der Werkbund besonders
scharf angegriffen. Nun muß es noch einmal
gesagt werden: nichts kann man dem Werkbund
weniger vorwerfen, als daß er sich um das Hand-
werk nicht genügend kümmere. Er hat den
Fragen des Handwerks eine ganze Tagung
(Mannheim 1927) gewidmet und sich damals zu
gemeinsamer Arbeit erboten. Wenn daraufhin
nichts erfolgt ist. so hat das seinen Grund wahr-
scheinlich darin, daß die Spitzenorganisation des
Handwerks bei näherer Überlegung erkannt hat,
daß die eigentlichen Werkbundinteressen in dem
weiten Bereiche des Handwerks doch nur ver-
hältnismäßig wenig zu bedeuten haben, ja viel-
leicht sogar in mancher Hinsicht hemmend und
gefährlich wirken könnten, so daß eine dauernde
Zusammenarbeit in der Tat für keinen Teil för-
derlich wäre. Wenn aber jetzt von der Seite de?
Handwerks gegen den Werkbund der Vorwurf
der Gleichgültigkeit, ja Feindseligkeit erhoben
wird, so ist das entweder irrtümlich oder böswil-
lig. Es ist nicht zu leugnen, daß das Handwerk
heute gerade auf dem Gebiete der gestaltenden
Arbeit da und dort schwer bedrängt wird, ja, daß
es einige Provinzen seiner Arbeit offenbar be-
reits endgültig verloren hat. und daß auf anderen
Gebieten die Arbeit scheinbar so einfach und
gleichförmig geworden ist. daß von höherem
..Können", das nur durch qualifizierte Schulung
erworben werden kann, kaum mehr die Rede zu
sein scheint. Aber auch hier handelt es sich um
eine Entwicklung, die der Werkbund weder her
beigeführt hat, noch die er aufhalten könnte,
wenn er wollte. Wohl aber ist sich der Werkbund
darüber klar, daß — ganz abgesehen von dem
Gebiet der hochwertigen Einzelstücke, die immer
Sache des reinen Handwerks bleiben — auch
innerhalb dieser Entwicklung noch Raum genug
für hochqualifizierte handwerkliche Arbeit bleibt,
daß der Sinn für Stoff und Form auch bei der
Herstellung eines Stahlstuhls oder bei der Ge-
staltung einer einfachen Hauswand vonnöten ist
— daß also die Idee des Handwerks heute noch
genau so lebendig und wirksam wie früher ist,
wenn sie sich auch auf ganz anderen Gebieten
der Arbeit äußert. Auch der „radikalste" Archi-
tekt bedarf auf Schritt und Tritt des geschulten,
feinfühligen Handwerkers. Aber man verlange
nicht vom Werkbund, daß er die Augen vor der
Entwicklung verschließe und sich für die Er-
haltung der handwerklichen Arbeit überall da ein-
setze, wo diese Arbeit früher einmal ihre Bedeu-
tung gehabt hat. Wo ein Zweig des Handwerks
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W. R I E Z L E R
Wer die Aussprache in Stuttgart miterlebt
oder ihr Echo in der Presse beachtet hat, der
konnte den Eindruck gewinnen, es befinde sich
der Werkbund in einer schweren Krisis: als gebe
es nicht nur, was selbstverständlich wäre. Mei-
nungsverschiedenheiten, sondern als rede jeder
an dem anderen so vorbei, daß auf eine Einigung
oder Verständigung gar nicht mehr zu hoffen ist.
Es wäre seltsam und bedenklich, wenn sich diese
Unmöglichkeit der Verständigung gerade jetzt
herausstellen würde, da mit jedem Jahre die Ent-
wicklung entschiedener und eindeutiger, der Weg
in die Zukunft klarer überschaubar zu sein
scheint.
Was ging vor? Der Streit nahm seinen Aus-
gang in Wien, im Anschluß an Josef Franks
Rede, die allerdings aggressiv genug war: ein
sehr verdienter Kunsthandwerker forderte eine
Aussprache über die Frage, warum der Werk-
bund so einseitig für die notwendig schmuck-
losen Formen der Maschinenarbeit eintrete und
sich um die Bedürfnisse der Handarbeit, die ihrer
Natur nach zur Schmuckform dränge, nicht
kümmere. Damit war frei,ich ein Problem von
gefährlicher Aktualität berührt. In der Tat tritt
von Jahr zu Jahr die Schmuckform, das „Orna-
ment"' im alten Sinne, mehr zurück und greift die
schmucklose Form, wie sie aller Maschinenarbeit
von Natur gemäß ist, immer mehr auf die Gebiete
der handwerklichen Arbeit über. Der Werkbund
würde einen schweren Fehler begehen, wenn er
vor dieser Tatsache die Augen verschließen und
versuchen wollte, aus einer romantischen Vor-
liebe für das Alte die Schmuckform zu fördern,
— was ihm niemals gelingen könnte, da die Ab-
kehr von der Schmuckform ganz offenbar keine
bald vergehende Mode ist, auch nicht nur wirt-
schaftlich-sozial begründet ist, sondern der all-
gemeinen geistigen Einstellung der Gegenwart
entspricht. Die schmucklose Form, die gerade
Linie hat heute etwas Allgemeingültiges, und nur
deshalb vermag sie sich auch auf dem Gebiete
des Handwerks durchzusetzen.
Doch steht hinter dieser nicht allzuernst zu
nehmenden Sorge um die Schmuckform eine
andere tiefere und allgemeinere: die um den
Fortbestand des Handwerks überhaupt. Dem
Ausdruck dieser Sorge galt ein großer Teil der
Stuttgarter Reden, und gerade von diesem
Standpunkt aus wurde der Werkbund besonders
scharf angegriffen. Nun muß es noch einmal
gesagt werden: nichts kann man dem Werkbund
weniger vorwerfen, als daß er sich um das Hand-
werk nicht genügend kümmere. Er hat den
Fragen des Handwerks eine ganze Tagung
(Mannheim 1927) gewidmet und sich damals zu
gemeinsamer Arbeit erboten. Wenn daraufhin
nichts erfolgt ist. so hat das seinen Grund wahr-
scheinlich darin, daß die Spitzenorganisation des
Handwerks bei näherer Überlegung erkannt hat,
daß die eigentlichen Werkbundinteressen in dem
weiten Bereiche des Handwerks doch nur ver-
hältnismäßig wenig zu bedeuten haben, ja viel-
leicht sogar in mancher Hinsicht hemmend und
gefährlich wirken könnten, so daß eine dauernde
Zusammenarbeit in der Tat für keinen Teil för-
derlich wäre. Wenn aber jetzt von der Seite de?
Handwerks gegen den Werkbund der Vorwurf
der Gleichgültigkeit, ja Feindseligkeit erhoben
wird, so ist das entweder irrtümlich oder böswil-
lig. Es ist nicht zu leugnen, daß das Handwerk
heute gerade auf dem Gebiete der gestaltenden
Arbeit da und dort schwer bedrängt wird, ja, daß
es einige Provinzen seiner Arbeit offenbar be-
reits endgültig verloren hat. und daß auf anderen
Gebieten die Arbeit scheinbar so einfach und
gleichförmig geworden ist. daß von höherem
..Können", das nur durch qualifizierte Schulung
erworben werden kann, kaum mehr die Rede zu
sein scheint. Aber auch hier handelt es sich um
eine Entwicklung, die der Werkbund weder her
beigeführt hat, noch die er aufhalten könnte,
wenn er wollte. Wohl aber ist sich der Werkbund
darüber klar, daß — ganz abgesehen von dem
Gebiet der hochwertigen Einzelstücke, die immer
Sache des reinen Handwerks bleiben — auch
innerhalb dieser Entwicklung noch Raum genug
für hochqualifizierte handwerkliche Arbeit bleibt,
daß der Sinn für Stoff und Form auch bei der
Herstellung eines Stahlstuhls oder bei der Ge-
staltung einer einfachen Hauswand vonnöten ist
— daß also die Idee des Handwerks heute noch
genau so lebendig und wirksam wie früher ist,
wenn sie sich auch auf ganz anderen Gebieten
der Arbeit äußert. Auch der „radikalste" Archi-
tekt bedarf auf Schritt und Tritt des geschulten,
feinfühligen Handwerkers. Aber man verlange
nicht vom Werkbund, daß er die Augen vor der
Entwicklung verschließe und sich für die Er-
haltung der handwerklichen Arbeit überall da ein-
setze, wo diese Arbeit früher einmal ihre Bedeu-
tung gehabt hat. Wo ein Zweig des Handwerks
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