Die Mechanisierung und die Materialien
FRANK LLOYD W R I G H T
John Ruskin und William Morris wandten sich ab von
der Maschine und von all dem, was in der modernen
Kunst und im Handwerk von der Maschine dargestellt
wurde. In ihr sahen sie den Todfeind all dessen, was
sie liebten, und stemmten sich gegen sie, um sie bis zum
Tode, bis zu ihrem eigenen Tode, zu bekämpfen. Heute
ist das schon Geschichte. Ruskin und Morris konnten
die durch die Maschine hervorgerufene Zerstörung nicht
verhindern. Trotzdem aber machten sie uns auf das
aufmerksam, was wir durch den Gebrauch der Maschine
verlieren mußten.
Jede Wiederholung, die eine gewisse Grenze über-
schreitet, muß immer das Leben aus dem nehmen, was
dem lebendigen Geist gewidmet ist. Monotonie tötet.
Das menschliche Gefühl liebt die Kraft der Freiwilligkeit,
die Frische und den Reiz des Unerwarteten, mit anderen
Worten, es liebt das Leben und fürchtet das Tote.
Ruskin und Morris sahen in der Maschine den Tod-
feind alles Lebenden. So war es allerdings, und auch
heute ist es noch so. Aber doch nur deshalb, weil der
Künstler die Maschine als sein Werkzeug verachtet und
weil er sie verdammt. Nun aber ist der Künstler von
der Maschine verdammt. Die Mechanisierung ist ein
Prinzip, das auf allen Gebieten mit einer größeren
Aktivität als je zuvor in Geltung tritt. Es ist das funda-
mentalste Element in der Zivilisation selbst.
Ein in Farbe und Licht reicher orientalischer Teppich,
der in allen herrlichen Mustern der blühenden orientali-
schen Phantasie leuchtet, unterliegt im System von Kette
und Einschußgarn einem ganz bestimmten Prinzip der
Mechanisierung. In den regelmäßig genommenen Stichen
mit den Garnsträngen aus Wolle auf der regelmäßigen
Basis der festgespannten Baumwollstränge liegt das
primitivste Prinzip der Mechanisierung. Es dient aber
voll und ganz der Phantasie, der Imagination. Hier dient
die Mechanik dem Geist, das Rein-Mechanische ver-
schwindet hinter der im Geiste leuchtenden Textur, durch
das poetische Gefühl des schaffenden Künstlers, der in
seiner Seele Liebe für das Schöne empfindet.
Dieselbe Rolle sollte die Mechanik in der Textur,
die wir weben und die wir Zivilisation nennen, spielen,
dieselbe Rolle wie in der so primitiven Fabrikation des
Teppichs. Der Geist des schaffenden Künstlers muß sie
in die größere und verständlichere Textur verwandeln.
Aber wie und auf welchem Wege? Das Prinzip der
Mechanisierung hat als Werkzeug die Maschine, ein
ideales Werkzeug, vor dem alles, was vorher gewesen
ist, verschwindet. Die Erfindung Gutenbergs, die be-
weglichen Lettern, war wohl das erste größere Ereignis
der Mechanisierung. Diese Erfindung hat uns Segen ge-
bracht und ebensoviel Fluch. Das Buch verbreitete sich.
Kitsch überschwemmte die zivilisierte Welt, und Stöße be-
druckter Seiten wurden benutzt als Packpapier oder um
Feuer anzuzünden. Das gedruckte Papier flog und lag
in allen Gassen der Welt herum. Es herrscht eine Über-
flutung, aber dennoch lebt das Buch. An Stelle eines
/ Schriftstellers früherer Zeiten gibt es heute tausende.
Aber dieser eine war meist auch von tausendfach grö-
ßerem Wert. „Bewegliche Lettern" war das Prinzip dieser
Mechanisierung. Wie es mit der Buchdruckerkunst ge-
schah, so geht es mit allen Dingen unseres Lebens. Teils
ist es geschehen und teils wird es sehr bald kommen,
aber mit dem noch viel katastrophaleren Ergebnis, näm-
lich dem der Erzeugung von Quantität auf Kosten der
Qualität. Der einzige Segen, den die Entwicklung mit
sich bringt, ist, daß man den Armen und Bedürftigen
in billiger aber verfälschter Form das gibt, was früher
selten und kostbar war. Ich spreche hier von wahrer
Kunst und vom Standpunkt des Architekten aus.
Wir sehen in der Maschine eine neue tragende Kraft,
schwierig zu kontrollieren, eine Kraft, die, wenn sie ein-
mal frei in die Welt hinaus gegeben wird, nie wieder
gebannt werden kann. Bis alles, was in der Welt einst
kostbar und wertvoll für den eigensten Zweck gewesen
und Sache der intimen Verwandtschaft zum früheren
Guten oder zum großen Leben war, den Hunden vor-
geworfen wird.
Hier kommt der schaffende Künstler, um neues Leben
des Geistes und neues Verständnis zu bringen, um das
Leben erfreulicher und durch Abschaffen der Notbehelfe
wieder echt zu machen, um die Imitationen zu entlarven,
um zu zeigen, was sie im Grunde eigentlich ist, und
uns so vor dem schimpflichen Raub am Stilgut der Antike
zu retten.
Das Prinzip der Mechanisierung ist weder der Kunst
noch dem Künstler schädlich. Es hat immer Standardi-
sierung gegeben, und wie jedes Prinzip hat sie Ge-
brauch und Mißbrauch erleiden müssen. Wie falsch
aber ist es, den herrschenden Mißbrauch einer Sache
für die Sache selbst zu nehmen. Ein Künstler ist eine
empfindliche Natur. Niemals wird er von seinem Ver-
stand, noch von der Wissenschaft, noch von der Ökono-
mie genarrt. Er weiß nach seinem Gefühl, wir nennen
es Instinkt, richtig und falsch, Tod und Leben zu unter-
scheiden. Aber es kann ihm die Technik fehlen, diesen
seinen Instinkt seinen Mitmenschen greifbar zu machen.
Die Technik aber kann ihm auch helfen, ihn zur Aus-
wirkung zu bringen. Ohne die Technik bleibt er unver-
nehmlich. Es ist daher seine Pflicht, die Technik zu
kennen, da allein die beherrschte Technik den Künstler
seinen Mitmenschen nützlich macht. Die Technik der
Maschine als Werkzeug der Standardisierung, das Be-
herrschen der Natur beider ist das einzige, was den
Künstler zu einer lebendigen und notwendigen Kraft
macht. Wenn das Leben ökonomischer, freudvoller und
reichhaltiger gestaltet werden soll, wenn das Leben eine
Sache der Qualität wie auch der Quantität werden
soll, dann muß eine neue Ära beginnen, die Ära der
Maschine mit allen Folgerungen. Wird die Mechanisie-
rung aber als Prinzip einer Vorschrift verstanden, dann
bringt die Anwendung in diesem Sinne die Gefahr der
Monotonie mit sich. Die Mechanisierung kann ver-
nichtend sein, aber sie kann auch ein wohltätiger Faktor
werden, je nachdem, ob das standardisierte Gebilde von
der Imagination beherrscht oder durch das Fehlen der-
selben zerstört wird.
Unter „Leben" in einer Sache verstehe ich die Rein-
heit der Sache im Sinne der dritten Dimension. Das
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John Ruskin und William Morris wandten sich ab von
der Maschine und von all dem, was in der modernen
Kunst und im Handwerk von der Maschine dargestellt
wurde. In ihr sahen sie den Todfeind all dessen, was
sie liebten, und stemmten sich gegen sie, um sie bis zum
Tode, bis zu ihrem eigenen Tode, zu bekämpfen. Heute
ist das schon Geschichte. Ruskin und Morris konnten
die durch die Maschine hervorgerufene Zerstörung nicht
verhindern. Trotzdem aber machten sie uns auf das
aufmerksam, was wir durch den Gebrauch der Maschine
verlieren mußten.
Jede Wiederholung, die eine gewisse Grenze über-
schreitet, muß immer das Leben aus dem nehmen, was
dem lebendigen Geist gewidmet ist. Monotonie tötet.
Das menschliche Gefühl liebt die Kraft der Freiwilligkeit,
die Frische und den Reiz des Unerwarteten, mit anderen
Worten, es liebt das Leben und fürchtet das Tote.
Ruskin und Morris sahen in der Maschine den Tod-
feind alles Lebenden. So war es allerdings, und auch
heute ist es noch so. Aber doch nur deshalb, weil der
Künstler die Maschine als sein Werkzeug verachtet und
weil er sie verdammt. Nun aber ist der Künstler von
der Maschine verdammt. Die Mechanisierung ist ein
Prinzip, das auf allen Gebieten mit einer größeren
Aktivität als je zuvor in Geltung tritt. Es ist das funda-
mentalste Element in der Zivilisation selbst.
Ein in Farbe und Licht reicher orientalischer Teppich,
der in allen herrlichen Mustern der blühenden orientali-
schen Phantasie leuchtet, unterliegt im System von Kette
und Einschußgarn einem ganz bestimmten Prinzip der
Mechanisierung. In den regelmäßig genommenen Stichen
mit den Garnsträngen aus Wolle auf der regelmäßigen
Basis der festgespannten Baumwollstränge liegt das
primitivste Prinzip der Mechanisierung. Es dient aber
voll und ganz der Phantasie, der Imagination. Hier dient
die Mechanik dem Geist, das Rein-Mechanische ver-
schwindet hinter der im Geiste leuchtenden Textur, durch
das poetische Gefühl des schaffenden Künstlers, der in
seiner Seele Liebe für das Schöne empfindet.
Dieselbe Rolle sollte die Mechanik in der Textur,
die wir weben und die wir Zivilisation nennen, spielen,
dieselbe Rolle wie in der so primitiven Fabrikation des
Teppichs. Der Geist des schaffenden Künstlers muß sie
in die größere und verständlichere Textur verwandeln.
Aber wie und auf welchem Wege? Das Prinzip der
Mechanisierung hat als Werkzeug die Maschine, ein
ideales Werkzeug, vor dem alles, was vorher gewesen
ist, verschwindet. Die Erfindung Gutenbergs, die be-
weglichen Lettern, war wohl das erste größere Ereignis
der Mechanisierung. Diese Erfindung hat uns Segen ge-
bracht und ebensoviel Fluch. Das Buch verbreitete sich.
Kitsch überschwemmte die zivilisierte Welt, und Stöße be-
druckter Seiten wurden benutzt als Packpapier oder um
Feuer anzuzünden. Das gedruckte Papier flog und lag
in allen Gassen der Welt herum. Es herrscht eine Über-
flutung, aber dennoch lebt das Buch. An Stelle eines
/ Schriftstellers früherer Zeiten gibt es heute tausende.
Aber dieser eine war meist auch von tausendfach grö-
ßerem Wert. „Bewegliche Lettern" war das Prinzip dieser
Mechanisierung. Wie es mit der Buchdruckerkunst ge-
schah, so geht es mit allen Dingen unseres Lebens. Teils
ist es geschehen und teils wird es sehr bald kommen,
aber mit dem noch viel katastrophaleren Ergebnis, näm-
lich dem der Erzeugung von Quantität auf Kosten der
Qualität. Der einzige Segen, den die Entwicklung mit
sich bringt, ist, daß man den Armen und Bedürftigen
in billiger aber verfälschter Form das gibt, was früher
selten und kostbar war. Ich spreche hier von wahrer
Kunst und vom Standpunkt des Architekten aus.
Wir sehen in der Maschine eine neue tragende Kraft,
schwierig zu kontrollieren, eine Kraft, die, wenn sie ein-
mal frei in die Welt hinaus gegeben wird, nie wieder
gebannt werden kann. Bis alles, was in der Welt einst
kostbar und wertvoll für den eigensten Zweck gewesen
und Sache der intimen Verwandtschaft zum früheren
Guten oder zum großen Leben war, den Hunden vor-
geworfen wird.
Hier kommt der schaffende Künstler, um neues Leben
des Geistes und neues Verständnis zu bringen, um das
Leben erfreulicher und durch Abschaffen der Notbehelfe
wieder echt zu machen, um die Imitationen zu entlarven,
um zu zeigen, was sie im Grunde eigentlich ist, und
uns so vor dem schimpflichen Raub am Stilgut der Antike
zu retten.
Das Prinzip der Mechanisierung ist weder der Kunst
noch dem Künstler schädlich. Es hat immer Standardi-
sierung gegeben, und wie jedes Prinzip hat sie Ge-
brauch und Mißbrauch erleiden müssen. Wie falsch
aber ist es, den herrschenden Mißbrauch einer Sache
für die Sache selbst zu nehmen. Ein Künstler ist eine
empfindliche Natur. Niemals wird er von seinem Ver-
stand, noch von der Wissenschaft, noch von der Ökono-
mie genarrt. Er weiß nach seinem Gefühl, wir nennen
es Instinkt, richtig und falsch, Tod und Leben zu unter-
scheiden. Aber es kann ihm die Technik fehlen, diesen
seinen Instinkt seinen Mitmenschen greifbar zu machen.
Die Technik aber kann ihm auch helfen, ihn zur Aus-
wirkung zu bringen. Ohne die Technik bleibt er unver-
nehmlich. Es ist daher seine Pflicht, die Technik zu
kennen, da allein die beherrschte Technik den Künstler
seinen Mitmenschen nützlich macht. Die Technik der
Maschine als Werkzeug der Standardisierung, das Be-
herrschen der Natur beider ist das einzige, was den
Künstler zu einer lebendigen und notwendigen Kraft
macht. Wenn das Leben ökonomischer, freudvoller und
reichhaltiger gestaltet werden soll, wenn das Leben eine
Sache der Qualität wie auch der Quantität werden
soll, dann muß eine neue Ära beginnen, die Ära der
Maschine mit allen Folgerungen. Wird die Mechanisie-
rung aber als Prinzip einer Vorschrift verstanden, dann
bringt die Anwendung in diesem Sinne die Gefahr der
Monotonie mit sich. Die Mechanisierung kann ver-
nichtend sein, aber sie kann auch ein wohltätiger Faktor
werden, je nachdem, ob das standardisierte Gebilde von
der Imagination beherrscht oder durch das Fehlen der-
selben zerstört wird.
Unter „Leben" in einer Sache verstehe ich die Rein-
heit der Sache im Sinne der dritten Dimension. Das
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