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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Hirzel, Stephan: Die Erneuerung des Friedhofswesens
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Kunst-Dienst-Ausstellung "Tod und Leben"
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0247

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des Stadtgartendirektors oder des Stadtbaurats
überall mit gutem Beispiel vorangehen, während die
konfessionellen Friedhöfe sich nur sehr langsam
ihrer Aufgabe bewußt werden.

Anfangs hatten alle diese Bestrebungen mit dem
Widerstand des weitverzweigten Gewerbes ein-
schließlich der interessierten Industrien zu rechnen.
Nachdem jahrelang ein Kampf mit wenig stichhalti-
gen Argumenten erfolglos geführt worden war, er-
klärten sich schließlich die beteiligten Kreise be-
reit, gemeinsam und friedlich die möglichst reibungs-
lose Verwirklichung der Friedhofsreform zu beraten.
So kam es zur Gründung des ,,Reichsausschusses
für Friedhof und Denkmal''. Wenn es auch diesem
Ausschuß mit vieler Mühe gelungen ist, eine Muster-
friedhofsordnung aufzustellen und die Herstellung
einer Reihe von mustergültigen Grabmälern zu ver-
anlassen, so darf doch nicht übersehen werden, daß
nur ein Bruchteil des gesamten in Frage kommenden
Handwerks und der Industrie im Sinne der Reform
Pionierarbeit leistet, hingegen die Gesamtproduk-
tion im ausgefahrenen Gleise weiterläuft, verkauft
wird und auf Friedhöfen zur Aufstellung gelangt.
Diese Feststellung soll den beschrittenen Weg der
Friedhofsreform keineswegs kritisieren, sondern
allein den Umfang der noch zu leistenden Arbeit
vergegenwärtigen. Die erzieherische Wirkung auf
die Allgemeinheit, die von der unbeugsamen Konse-
quenz der Durchführung ausgeht, wird um so siche-
rer sich einstellen, sofern es gelingt, vorbildliche
Beispiele zu schaffen und eine allgemein verständ-
liche Werbung ins Leben zu rufen.

Der weit schwierigere und selten beschrittene
Weg zur Erneuerung des Friedhofs führt über die
Gemeinschaft: ihn haben sich denn auch alle geisti-
gen Bewegungen zu eigen gemacht. Jede Religions-
gesellschaft und jede Sekte hat sich immer wieder
neu mit der Tatsache des Todes auseinandersetzen
müssen: und so dokumentieren sehr oft die Begräb-
nissitten und Begräbnisplätze die Glaubenssätze
und Lebensformen solcher Gemeinschaften.

Noch heute wird der gläubige Jude, ohne Unter-
schied des Standes, in einer Kiste aus rohen un-
gehobelten Brettern beigesetzt. Den grünen Fried-
hof schmückt keine Blume. Und so. wie der Leich-
nam für den Juden unantastbar ist. so bleibt auch
das Grab für alle Zeiten unberührt. Ein jüdischer

Grabstein darf deshalb niemals zu anderen Zwecken
verwendet werden, wie auch der jüdische Friedhof
weder neu belegt, noch etwa aufgehoben werden
darf. In besonderer Reinheit haben sich diese
Bräuche und Gräberfelder in Prag, in Galizien und
in den Niederlanden erhalten. Daß diese Tradition
auch heute in neuzeitlicher Form zäh bewahrt wird,
dafür ist die neue Friedhofsanlage der jüdischen
Gemeinde in Frankfurt an Main ein lebendiges
Beispiel.

Den gleichen Sinn haben gewisse Begräbnisge-
sellschaften, die oft auf größeren Friedhöfen eigene
Begräbnisquartiere haben. Solche Begräbnisgesell-
schaften, die es heute noch besonders in katholi-
schen Gegenden gibt, sind bisweilen als Protest-
aktionen gegen die Verfallerscheinungen im Toten-
kult ins Leben gerufen worden, um dann allerdings
allmählich nur noch rein ökonomischen Zwecken zu
dienen.

Bis auf unsere Tage haben sich die Gebräuche
der verschiedenen Mönchsorden erhalten. Man be-
stattet die toten Brüder nebeneinander in gleicher
Form, entweder auf dem Klosterhof oder in Grüften,
die den Katakomben der ersten Christengemeinden
gleichen. Innerhalb der protestantischen Glaubens-
bewegung sind die Gottesäcker der „Herrnhuter
Brüdergemeine" zu gewisser Berühmtheit gelangt.
In schlichter Ordnung liegen die Toten der Reihe
nach bestattet, ohne daß ein Erdhügel oder gar ein
Denkmal diese Einheit stört. Lediglich gleich-
geformte Grabplatten von geringen Ausmaßen tra-
gen die knappe Inschrift: Name, Tag der Geburt
und des Todes. Die Friedhofsordnung der Herrn-
huter ist die denkbar radikalste überhaupt, aber sie
ist niemals „Verordnung", sondern sie ist von vorn-
herein freie Übereinkunft gewesen.

Daß auch Weltkatastrophen in der Lage sind, aus
dem gemeinsamen Erlebnis der Todesgefahr einen
völlig neuen Ausdruck für die Bestattung zu schaf-
fen, beweisen die Grabfelder in Nordfrankreich, wo
die gefallenen Soldaten beider Nationen oft zu
Abertausenden in Reih und Glied gleich einer Toten-
parade ausgerichtet liegen. Diese Massengräber mit
ihren einheitlichen schwarzen und weißen Kreuzen
gehören wohl mit zum stärksten Ausdruck einer
Schicksalsgemeinschaft.

K U N ST-D I E N ST-AU S ST E LLU N G „TOD UND LEBEN"

Der rührige Kunst-Dienst in Dresden, dessen Aus-
stellung „Kult und Form" wir eingehend gewürdigt
haben, zeigte kürzlich eine neue Wanderausstel-
lung in Dresden, der er den Titel ..Tod und Leben"
gegeben hat. Was bei der Ausstellung „Kult und
Form" durch den Vortrag Tillichs gezeigt werden
sollte, die größere Verankerung der schaubaren
Objekte im geistigen Geschehen, konnte in dieser
neuen Ausstellung mit dem Material selbst schon
eindringlicher dargestellt werden. Und das ist ohne
Zweifel ein besonderer Verdienst, daß man nicht
beim Grabstein stehen geblieben ist und beim Grä-
berfeld, sondern das ganze Bestattungswesen ein-
schließlich der Bräuche einer strengen Kritik unter-
zog. Die Gesichtspunkte, unter denen man an die

Arbeit ging, erläutern die vorstehenden Ausführun-
gen und die Abbildungen zeigen, daß man recht
gutes Material ausgesucht hat. Wichtiger noch ist
es, daß man mit Werkstätten zusammengearbeitet
hat. so daß durch diese Zusammenarbeit interes-
sante Versuche herausgekommen sind, die auch rein
technisch gesehen, Interesse erregen. Dazu ge^
hören vor allen Dingen die Versuche von Karl Gross,
polierte Granitplatten mit dem Sandstrahlgebläse
in verschiedenen Graden aufzurauhen. Dasselbe
versuchte man mit keramischen Platten. Die frische
lebendige Art des Kunst-Dienstes, in erster Linie
die Probleme und nicht die Objekte zu sehen, läßt
für die Zukunft noch Gutes und Interessantes er-
warten. L.

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