BAUPOLITIK UND BAUWIRTSCHAFT
ALEXANDER SCHWAB
Für die Bauwirtschaft beginnt das neue Jahr nicht
eben unter günstigen Vorzeichen. Die allgemeine
wirtschaftliche Depression hält unvermindert an,
Anzeichen für eine beginnende Belebung der indu-
striellen Bautätigkeit sind nicht zu entdecken, der
Verwaltungsbau der öffentlichen Hand hält sich in
den engen Grenzen, die durch die Schrumpfung der
Finanzen vorgeschrieben sind, die gleiche Ursache
drückt auf die Auftragserteilung für Notstandsarbei-
ten und für den gesamten Tief- und Straßenbau. Der
Wohnungsbau schließlich ist vor allem abhängig von
dem Regierungsprogramm, das seinen ersten ge-
setzgeberischen Ausdruck in der Notverordnung
vom 2. Dezember 1930 gefunden hat.
Die Wohnungswirtschaft in der Not-
verordnung.
Die Lektüre der Notverordnung kann jedem nur
empfohlen werden. Sie ist ein zeitgeschichtliches
Dokument der Abkehr von der überlieferten Lehre
Montesquieus über die Trennung der Gewalten,
wenigstens soweit das Verhältnis zwischen Gesetz-
gebung und Verwaltung in Frage steht. Der ,.Sie-
bente Teil" dieses Dokuments beschäftigt sich ein-
gehend mit der Wohnungswirtschaft. Das I. Kapitel
ändert an der jetzigen Form der Verteilung der
Hauszinssteuermittel nur wenig: vor allem soll die
Reichsregierung ..im Benehmen mit den Ländern''
feststellen, wieviel Wohnungen in jedem Jahr aus
öffentlichen Mitteln zu fördern sind: dabei soll —
neben den Kinderreichen und den Schwerkriegs-
beschädigten — auch die gewerbliche Umsiedlung
berücksichtigt werden, was jedoch nicht näher um-
schrieben wird. Die Neubaumieten sollen den Ein-
kommensverhältnissen der minderbemittelten Bevöl-
kerung entsprechen. Bestimmungen über Reichs-
bürgschaften zugunsten des Kleinwohnungsbaues
und über die Gemeinnützigkeit von Wohnungsunter-
nehmen schließen sich an.
Was aber diesem Regierungsprogramm seinen
eigentlichen Charakter gibt, sind die Bestimmungen
des Kapitel IV. über ..Abbau und Beendigung der
Wohnungszwangswirtschaft". Sie sehen nichts ge-
ringeres vor. als daß am 1. April 1936 das Reichs-
mietengesetz und das Gesetz über Mieterschutz und
Mieteinigungsämter außer Kraft treten sollen, „falls
bis zu diesem Zeitpunkt ein Gesetz in Kraft tritt,
wodurch die Vorschriften des B. G. B. über die
Miete unter sozialen Gesichtspunkten ausgestaltet
werden".
Da das Wohnungsmangelgesetz schon zwei Jahre
früher, und zwar bedingungslos, außer Kraft treten
soll, so wäre nach einer Übergangszeit von etwas
mehr als fünf Jahren der freie Wohnungsmarkt voll
wiederhergestellt, falls — ja falls eben bis dahin
die Ausgestaltung eines sozialen Mietrechts gelingt.
(Und falls die Notverordnung nicht inzwischen ge-
ändert oder durch etwas ganz anderes ersetzt
wird.)
Den Zukunftswechsel auf das soziale Mietrecht
wird man wohl allgemein mit einer gewissen Skepsis
betrachten. Dagegen steht fest, daß die Regierung
die Ubergangszeit bereits mit einer kräftigen Kür-
zung der öffentlichen Wohnungsbaumittel um nicht
weniger als 400 Millionen Mark einleitet: man kann
sich also auf einiges gefaßt machen. Doch darf man
wohl ungestraft prophezeien, daß diese Sache noch
nicht in dem Topf ist. in dem sie kocht. Der Ersatz
der fortfallenden 400 Millionen aus dem freien Kapi-
talmarkt erscheint — jedenfalls unter den jetzigen
Verhältnissen — als nahezu ausgeschlossen. Die
Versuche, ein soziales Mietrecht herzustellen, wer-
den schon aus diesem Grunde zunächst unter dem
Druck starker sozialer Kämpfe stehen, und ob sich
das in der Zeit bis 1936 wesentlich ändern wird,
hängt von andern Kräften ab als denen, die gegen-
wärtig die öffentlichen Mittel für den Wohnungsbau
beschneiden.
Programm der Reichsforschung.
Allmählich werden die Erfolge der Reorganisation
der RFG bemerkbar. Der Arbeitsplan für 1930-
1931. der kürzlich veröffentlicht wurde, macht schon
als Plan einen weit besseren Eindruck als alle älte-
ren Schriften über ..Resultate". Das allgemeine
Programm nimmt Rücksicht auf die gleichgerich-
tete Arbeit ,.fast der ganzen im Wohnungsbau täti-
gen Berufswelt": es weist der RFG die Aufgabe
zu. diese Arbeit zu fördern und ihre Ergebnisse der
Verwertung zuzuführen, im übrigen aber sich auf
die bisher vernachlässigten Gebiete zu konzentrie-
ren. Es stellt ferner mit erfreulicher Entschieden-
heit fest, daß das gesamte Aufgabengebiet der RFG
ein zusammenhängendes Ganzes bildet, ausgerich-
tet auf den Zweck: Verbesserung und Verbilligung
im Bau- und Wohnungswesen.
Im einzelnen werden die Aufgaben in vier
große Gebiete gegliedert: Planung. Baustoffe und
Bauweisen. Baubetrieb, volkswirtschaftliche und
rechtliche Fragen. Aus dem Gebiet der Planung,
soweit sie sich auf die W o h n f o r m bezieht, ist
bekanntlich eine erste Veröffentlichung unter dem
Titel ,,Die billige gute Wohnung-' mit Grundrißvor-
schlägen ohne Wertung erschienen. Weitere Arbei-
ten sollen u. a. zu Vorschlägen für den landwirt-
schaftlichen Kleinbetrieb und für die Gärtnereisied-
lung führen. Die Fragen der Erschließungs-
form — einschließlich der Wirtschaftlichkeit im
Städtebau und der Hygiene — sollen zunächst nur
in Auswertung der Ergebnisse des Reichswettbe-
werbs behandelt werden. Offenbar soll erst in den
folgenden Jahren auf diesem Gebiet weiter aufge-
baut werden.
Während in den Planungsfragen der RFG selbst
die Hauptarbeit so gut wie ganz zufällt, ist auf dem
Gebiet der Baustoffe und Bauweisen eine
weitgehende Zusammenarbeit mit den bestehenden
und anerkannten Prüfungsinstituten und Organisa-
tionen vorgesehen. Hier ist das legitime Geb'e. auch
für eine Fühlungnahme mit den Interessenten: daß
keine illegitime Beeinflussung sich daraus entwik-
kelt, bleibt nach wie vor zu wünschen: ein gedank-
licher Riegel ist jedenfalls vorgeschoben, da das
Programm erklärt, die Aufgabe sei restlos erst zu
lösen „nach Beantwortung der Frage nach der wirt-
schaftlichen Wohnform". Überall ist jetzt auch die
Frage nach der Preisgestaltung eingesetzt,
die früher stark vernachlässigt wurde: allerdings
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ALEXANDER SCHWAB
Für die Bauwirtschaft beginnt das neue Jahr nicht
eben unter günstigen Vorzeichen. Die allgemeine
wirtschaftliche Depression hält unvermindert an,
Anzeichen für eine beginnende Belebung der indu-
striellen Bautätigkeit sind nicht zu entdecken, der
Verwaltungsbau der öffentlichen Hand hält sich in
den engen Grenzen, die durch die Schrumpfung der
Finanzen vorgeschrieben sind, die gleiche Ursache
drückt auf die Auftragserteilung für Notstandsarbei-
ten und für den gesamten Tief- und Straßenbau. Der
Wohnungsbau schließlich ist vor allem abhängig von
dem Regierungsprogramm, das seinen ersten ge-
setzgeberischen Ausdruck in der Notverordnung
vom 2. Dezember 1930 gefunden hat.
Die Wohnungswirtschaft in der Not-
verordnung.
Die Lektüre der Notverordnung kann jedem nur
empfohlen werden. Sie ist ein zeitgeschichtliches
Dokument der Abkehr von der überlieferten Lehre
Montesquieus über die Trennung der Gewalten,
wenigstens soweit das Verhältnis zwischen Gesetz-
gebung und Verwaltung in Frage steht. Der ,.Sie-
bente Teil" dieses Dokuments beschäftigt sich ein-
gehend mit der Wohnungswirtschaft. Das I. Kapitel
ändert an der jetzigen Form der Verteilung der
Hauszinssteuermittel nur wenig: vor allem soll die
Reichsregierung ..im Benehmen mit den Ländern''
feststellen, wieviel Wohnungen in jedem Jahr aus
öffentlichen Mitteln zu fördern sind: dabei soll —
neben den Kinderreichen und den Schwerkriegs-
beschädigten — auch die gewerbliche Umsiedlung
berücksichtigt werden, was jedoch nicht näher um-
schrieben wird. Die Neubaumieten sollen den Ein-
kommensverhältnissen der minderbemittelten Bevöl-
kerung entsprechen. Bestimmungen über Reichs-
bürgschaften zugunsten des Kleinwohnungsbaues
und über die Gemeinnützigkeit von Wohnungsunter-
nehmen schließen sich an.
Was aber diesem Regierungsprogramm seinen
eigentlichen Charakter gibt, sind die Bestimmungen
des Kapitel IV. über ..Abbau und Beendigung der
Wohnungszwangswirtschaft". Sie sehen nichts ge-
ringeres vor. als daß am 1. April 1936 das Reichs-
mietengesetz und das Gesetz über Mieterschutz und
Mieteinigungsämter außer Kraft treten sollen, „falls
bis zu diesem Zeitpunkt ein Gesetz in Kraft tritt,
wodurch die Vorschriften des B. G. B. über die
Miete unter sozialen Gesichtspunkten ausgestaltet
werden".
Da das Wohnungsmangelgesetz schon zwei Jahre
früher, und zwar bedingungslos, außer Kraft treten
soll, so wäre nach einer Übergangszeit von etwas
mehr als fünf Jahren der freie Wohnungsmarkt voll
wiederhergestellt, falls — ja falls eben bis dahin
die Ausgestaltung eines sozialen Mietrechts gelingt.
(Und falls die Notverordnung nicht inzwischen ge-
ändert oder durch etwas ganz anderes ersetzt
wird.)
Den Zukunftswechsel auf das soziale Mietrecht
wird man wohl allgemein mit einer gewissen Skepsis
betrachten. Dagegen steht fest, daß die Regierung
die Ubergangszeit bereits mit einer kräftigen Kür-
zung der öffentlichen Wohnungsbaumittel um nicht
weniger als 400 Millionen Mark einleitet: man kann
sich also auf einiges gefaßt machen. Doch darf man
wohl ungestraft prophezeien, daß diese Sache noch
nicht in dem Topf ist. in dem sie kocht. Der Ersatz
der fortfallenden 400 Millionen aus dem freien Kapi-
talmarkt erscheint — jedenfalls unter den jetzigen
Verhältnissen — als nahezu ausgeschlossen. Die
Versuche, ein soziales Mietrecht herzustellen, wer-
den schon aus diesem Grunde zunächst unter dem
Druck starker sozialer Kämpfe stehen, und ob sich
das in der Zeit bis 1936 wesentlich ändern wird,
hängt von andern Kräften ab als denen, die gegen-
wärtig die öffentlichen Mittel für den Wohnungsbau
beschneiden.
Programm der Reichsforschung.
Allmählich werden die Erfolge der Reorganisation
der RFG bemerkbar. Der Arbeitsplan für 1930-
1931. der kürzlich veröffentlicht wurde, macht schon
als Plan einen weit besseren Eindruck als alle älte-
ren Schriften über ..Resultate". Das allgemeine
Programm nimmt Rücksicht auf die gleichgerich-
tete Arbeit ,.fast der ganzen im Wohnungsbau täti-
gen Berufswelt": es weist der RFG die Aufgabe
zu. diese Arbeit zu fördern und ihre Ergebnisse der
Verwertung zuzuführen, im übrigen aber sich auf
die bisher vernachlässigten Gebiete zu konzentrie-
ren. Es stellt ferner mit erfreulicher Entschieden-
heit fest, daß das gesamte Aufgabengebiet der RFG
ein zusammenhängendes Ganzes bildet, ausgerich-
tet auf den Zweck: Verbesserung und Verbilligung
im Bau- und Wohnungswesen.
Im einzelnen werden die Aufgaben in vier
große Gebiete gegliedert: Planung. Baustoffe und
Bauweisen. Baubetrieb, volkswirtschaftliche und
rechtliche Fragen. Aus dem Gebiet der Planung,
soweit sie sich auf die W o h n f o r m bezieht, ist
bekanntlich eine erste Veröffentlichung unter dem
Titel ,,Die billige gute Wohnung-' mit Grundrißvor-
schlägen ohne Wertung erschienen. Weitere Arbei-
ten sollen u. a. zu Vorschlägen für den landwirt-
schaftlichen Kleinbetrieb und für die Gärtnereisied-
lung führen. Die Fragen der Erschließungs-
form — einschließlich der Wirtschaftlichkeit im
Städtebau und der Hygiene — sollen zunächst nur
in Auswertung der Ergebnisse des Reichswettbe-
werbs behandelt werden. Offenbar soll erst in den
folgenden Jahren auf diesem Gebiet weiter aufge-
baut werden.
Während in den Planungsfragen der RFG selbst
die Hauptarbeit so gut wie ganz zufällt, ist auf dem
Gebiet der Baustoffe und Bauweisen eine
weitgehende Zusammenarbeit mit den bestehenden
und anerkannten Prüfungsinstituten und Organisa-
tionen vorgesehen. Hier ist das legitime Geb'e. auch
für eine Fühlungnahme mit den Interessenten: daß
keine illegitime Beeinflussung sich daraus entwik-
kelt, bleibt nach wie vor zu wünschen: ein gedank-
licher Riegel ist jedenfalls vorgeschoben, da das
Programm erklärt, die Aufgabe sei restlos erst zu
lösen „nach Beantwortung der Frage nach der wirt-
schaftlichen Wohnform". Überall ist jetzt auch die
Frage nach der Preisgestaltung eingesetzt,
die früher stark vernachlässigt wurde: allerdings
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