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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Schwab, Alexander: Baupolitik und Bauwirtschaft, [16]
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Buchbesprechung
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0372

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erklärt, gegen Abtretung dieser Renten dem Reich Gold-
pfandbriefe zu übergeben, über deren Verwertung sich
dann der Reichsfinanzminister den Kopf zerbrechen kann.

Es wird erlaubt sein zu bezweifeln, daß diese Vor-
schläge und die ihnen beigegebenen Begründungen dem
Ernst der Lage gerecht werden. Die Bauwirtschaft beruft
sich darauf, daß Krisen gewöhnlich durch Ankurbelung
vom Bauwesen aus ihren Abschluß finden; dabei über-
sieht sie, daß dieser an sich richtige Satz der Konjunktur-
lehre von spontaner Bautätigkeit spricht, nicht aber von
künstlich „angekurbelter". Spontan ist der Vorgang
dann, wenn in der Krise sich genügend stillgesetztes
Kapital angesammelt hat, das mangels ausreichender
Rentabilität des Warengeschäfts und der industriellen
Produktion nach Anlage in langfristiger, nicht so ren-
tabler, aber auch nicht so riskanter Investition sucht. Aber
diese Voraussetzungen des Lehrbuchs charakterisieren die
heutige Krise eben nur sehr unzureichend. Die deutsche
Krise ist nur ein Teil der Weltkrise, und die Weltkrise hat
ihre Wurzeln zum Teil in einer ungeheuren Umwälzung
der internationalen Produktions- und Marktverhältnisse,
zum Teil aber in der politischen Sphäre. Das zu wissen
ist sicher ein schwacher Trost für unsere arbeitslosen
Architekten, Bauhandwerker und Möbeltischler, aber mit
den Illusionen, die ihnen die „Baufront" bietet, ist ihnen
noch weniger geholfen. Daß Hausbesitzer und Hypo-
thekenbanken ihre Interessen verteidigen, ist ihr gutes
Recht — das Recht des Kritikers bleibt es, die Rettung
des Realkredits für eine Frage von relativ zweitem Range
gegenüber der allgemeinen Belebung von Produktion
und Absatz zu halten, da ja nun einmal unser aller
Schicksal davon abhängt, ob es gelingt, mit der höheren
Leistung, mit der wirtschaftlich wie kulturell höher qualifi-
zierten Leistung den Hexenkreis zu durchbrechen.

Um was es sich bei solcher „höher qualifizierten Lei-
stung" handelt? Hinweise darauf bringt fast jedes Heft

dieser Zeitschrift, beispielshalber das Augustheft mit dem
Aufsatz von Karl Rupflin über „Handwerk, höhere
Schulen und Werkbund". Aus den baupolitischen Vor-
gängen der letzten Zeit sei an zwei Dinge erinnert: die
Diskussion über das Ephraimsche Palais und die Mühlen-
dammschleuse in Berlin und die Aktion des Berliner Ver-
eins für Kleinwohnungswesen. Das Gutachten der Aka-
demie des Bauwesens über das Ephraimsche Palais ist
freilich eher ein Gegenbeispiel: in einem faulen Kom-
promiß wurde auf der einen Seite den Technikern ihr
Anspruch auf Verbreiterung der Schleuse für das
1000-Tons-Schiff zugestanden, auf der andern Seite den
Ästhetikern der Trost gewährt, daß sie ihr geliebtes altes
Palais an anderer Stelle, ein Stück hinter der alten Front,
sollen wieder aufbauen können. Wer so den Problemen
ausweicht, kann keine Qualitätsleistung schaffen. Ob
der Wasserverkehr quer durch Berlin wirklich zunimmt
und das 1000-Tons-Schiff braucht, ist noch sehr bestritten,
und die Gegenargumente sind von der Akademie durch-
aus nicht genügend gewürdigt. Muß die Frage aber als
ein Lebensinteresse der Reichshauptstadt bejaht werden,
so kann man wiederum nicht das Palais wie eine Attrappe
in der Gegend herumschieben, sondern muß den Mut
aufbringen, der Baukunst der Gegenwart eine neue
Lösung zuzumuten und zuzutrauen. — Auf anderen, zu-
kunftsreicheren Wegen bewegte sich die Kundgebung,
in der der Verein für Kleinwohnungswesen eine Förde-
rung der sogenannten Stadtrandsiedlung verlangte. Die
Ansiedlung von Industriearbeitern am Rande der Groß-
städte, die Kombination von industrieller und gärtne-
rischer Produktionstätigkeit, die Schaffung eines Rückhalts
für die Arbeitskraft gegen die Wechselfälle der indu-
striellen Konjunktur — das wäre in der Tat eine wirt-
schaftliche, soziale, kulturelle Qualitätsleistung ersten
Ranges. Vorausgesetzt natürlich, daß es richtig gemacht
wird ...

Buchbesprechung

Amadee Ozenfant, Leben und Gestaltung
Verlag Müller und I. Kiepenheuer, Potsdam

Gertrud Grohmanns ausgezeichnete Übersetzung, die
völlig vergessen läßt, daß man eine Übertragung vor
sich hat, bringt nun auch uns Ozenfants neuestes Buch
nahe, das in Frankreich binnen weniger Jahre eine statt-
liche Reihe von Auflagen erlebte. Ein sehr aktuelles Buch,
obwohl es von keiner vorübergehenden Sensation, son-
dern vom Grundsätzlichen und Wesentlichen redet.

Selbst ein schöpferischer Maler, der den Kubismus hin-
überleitete in den „Purismus", in ein Gestalten also, das
vorab die „Reinheit" der künstlerischen Gesinnung, Form
und Technik erstrebt und sich neuerdings auch die
Welt des Figürlichen zurückerobert, fühlte Ozenfant
von je auch nach gedanklicher Klärung ein starkes Be-
dürfnis, dem wir die gemeinsam mit Le Corbusier ver-
faßten bahnbrechenden Schriften des „Esprit Nouveau"
und nun auch dieses Buch verdanken. Das Buch eines
Franzosen, dessen Geist Ordnung, Klarheit, Vernunft und
Maß liebt, der aber zugleich die bedeutsamen Rollen
anderer Völker würdigt, und den nicht zuletzt „die
Geistestiefe und der Ernst der Germanen" anziehen. Ein
Kenner Goethes, ein Verehrer Einsteins, ein Liebender
Mozartscher Musik.

Ozenfant hat die Entwicklung der modernen Kunst mit-
bestimmt. Darum ist, was er über Malerei, Architektur,

Plastik der Gegenwart sagt, stets fesselnd und anregend,
auch wo es die unvermeidliche Begrenzung des schöpfe-
rischen Individuums in Urteilen zeigt, die nicht allen
(wenn auch den meisten) Erscheinungen der eigenen Zeit
gerecht werden. Allein diese Auseinandersetzung ist
nicht das Wichtigste. Denn über den Bezirk der Künste
mit Einschluß der Literatur und der Musik hinaus weitet
sich Ozenfants Buch zu einer kompromißlosen und eben
darum wahrhaft befreienden Kritik unserer Zeit und ihrer
Kultur. Es zeigt, daß die Kunst — doch nur die große,
nicht auch die spielerische — in einer Welt, der das Glück
des naiven Glaubens abhanden kam und deren Wissen-
schaft die Grenzen ihres Erkennens einsieht und ent-
schlossen bejaht, die hohe Sendung zu erfüllen hat,
Gleichnis zu sein einer ahnend ersehnten, doch niemals
als „wirklich" erfaßbaren Vollkommenheit, und daß die
Spenderin der Freude Spenderin des Schönen ist.

Und immer war. Denn ihr Wesen und mit ihm die
Gesetze ihres Gestaltens waren immer die gleichen, wie
der Mensch sich in seinem Wesen nicht geändert hat seit
seinem ersten Auftreten vor Hunderttausenden von Jahren
bis zu dieser Stunde. All dies erschließt sich vor uns
durch Wort und Bild, die eins sind. Die Fülle der Bilder,
aus denen sich blitzartig überraschendste Beziehungen
zwischen scheinbar Fremdestem enthüllen, entspricht der
Fülle der Gedanken. Hans Hildebrandt

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