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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Rupflin, Karl: Handwerk, höhere Schulen und Werkbund
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0293

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Handwerk, höhere Schulen und Werkbund

KARL R U P F L I N

Niemand wird heute ein endgültiges Urteil dar-
über wagen, ob wir im Heraufkommen neuer Bau-
formen die Anzeichen eines neuen Stils zu sehen
berechtigt sind. Was dem gegenwärtigen Men-
schen als Werk einer „neuen Zeit" erscheint, gilt
vielleicht der Betrachtung späterer Generationen
als notwendiger Abschluß. Jedenfalls gründet
sich die Erneuerung des Bauens in unserem Jahr-
hundert zunächst auf die Vorarbeit, die das
andere, das 19. Jahrhundert, auf dem Gebiet der
Technik geleistet hat. Was uns aber wesentlich
von diesem unterscheidet, ist die Macht, mit der
vereinheitlichende Ideen — unterstützt von bisher
nie gekannten Möglichkeiten ihrer Verbreitung —
um sich greifen, und die Tatsache, daß damit
unsere Zeit eines gemeinschaftlichen Ausdrucks
wieder fähig wird.

Wir wissen nicht, welchem Antrieb wir diese
Wandlung verdanken — mit kausalen Zusammen-
hängen ist hier nichts erklärt. Reine Konstruk-
tionsbauten kannte auch schon das 19. Jahrhun-
dert, aber — und hier stoßen wir auf eine andere
Atmosphäre des Geistigen — man bekannte sich
nicht zu ihnen. Wo man sie nicht entbehren
konnte, wie bei Bahnhofshallen, Warenhäusern,
Fabriken, verbarg man sie hinter historischen Ver-
kleidungen und hängte ihnen ein dekoratives
Mäntelchen um. Dies zu besorgen, war mit eine
Aufgabe des damaligen Handwerks, das aller-
dings in der am Ende des Jahrhunderts einsetzen-
den kunstgewerblichen Bewegung zu einem ge-
wissen Echtheitsgefühl und Qualitätsempfinden
zurückfand. Dadurch, daß diese Bewegung sich
gleichzeitig zur Aufgabe machte, der industriel-
len Herstellung von Gebrauchsgegenständen
entgegenzuarbeiten, schob es sich jedoch selbst
auf ein Nebengeleise. Denn in Wahrheit war es
so, daß in der gestaltenden Arbeit der Zeit das
Werkzeug „Maschine" den entscheidenden An-
teil hatte, daß die Mehrzahl der Menschen in der
Befriedigung ihrer Ansprüche an die Dinge des
täglichen Lebens aus Gründen der Bedarfsmenge
und des Preises nicht mehr die Wahl hatte, sich
für das Hand- oder das Maschinenerzeugnis zu
entscheiden, und daß der für die Gegenwart

„Stil ist nicht das Produkt von Material,
Technik und Zweck; er ist im Gegenteil ein
Schicksal, eine Atmosphäre des Geistigen."

Osw. Spengler.

Schaffende schließlich dies Letztere wollen mußte
oder nichts.

Es ist ein großes und unbestreitbares Verdienst
einiger Werkbundköpfe, das rechtzeitig erkannt
und ihre schöpferischen Kräfte in den Dienst der
Maschinenarbeit gestellt zu haben. Damit ent-
stand allerdings — ohne daß es jemand wollte —
zunächst eine Kluft zwischen Werkbund und
Handwerk. Das letztere ging, soweit es als
Kunsthandwerk an seinen Traditionen festhielt,
sehr persönliche und unzeitgemäße Wege, als
Luxus für solche, die es sich leisten konnten; der
Rest, dessen Erzeugung auf die Dinge des all-
gemeinen Bedarfs gerichtet war, erschien durch
die Leistung der Maschine überholt und in seiner
Existenz erledigt. Seitdem sehen wir alle hand-
werkswissenschaftlichen Arbeiten vorwiegend nur
noch auf die Frage nach der Lebensfähigkeit des
traditionellen Handwerks gegenüber der Indu-
strie gerichtet.

Die lebendige Entwicklung indessen hat in aller
Stille diese Frage auf eine ganz andere, kaum
vorausgesehene Weise beantwortet. Mit der Zeit
stellte sich nämlich heraus, daß die Anpassungs-
fähigkeit der handwerklichen Betriebe noch
keineswegs erschöpft war, und daß ihnen mit der
Einführung der elektrischen Kraftmaschine ein
Mittel erwuchs, das sie in die Lage versetzte, sich
wirtschaftlich zu behaupten. Die Veröffentlichun-
gen der „Statistischen Grundlagen über das
deutsche Handwerk" vom Enquete-Ausschuß des
Reichstags belegen diese Tatsachen zahlen-
mäßig. Trotzdem läge für den Werkbund — da
man mit einigem Recht die heutigen Handwerks-
betriebe als eine Abart der industriellen Betriebe
betrachten darf — keine Nötigung vor, sich
eigens mit dem Handwerk in seiner derzeitigen
Form zu beschäftigen, wären diesem nicht Auf-
gaben vorbehalten, die es in seiner Stellung zum
Gesamtschaffen der Nation in einem besonderen
Licht erscheinen lassen.

„Es liegt" — und damit scheint uns die Beson-
derheit des Handwerks gegenüber der Industrie
gekennzeichnet — „in der Eigenart der hand-
werkerlichen Betriebswirtschaft begründet, daß

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