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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Rundschau in Baupolitik und Bauwirtschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0292

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blieben. Die Problematik der natürlichen Produk-
tionsstandorte und der Verkehrswege zu Wasser
und zu Lande ist kaum berührt. Dabei wäre es be-
sonders interessant gewesen, zu sehen, wie man
sich den Wandel dieser Problematik vorstellt, wenn
der Güterverkehr nicht mehr den Gesetzen des
Marktes, der Konkurrenz und der privatwirtschaft-
lichen Rentabilität unterliegt, sondern einer planwirt-
schaftlichen Bedürfnisdeckung dient.

Schließlich wundert man sich, an dieser Stelle
eine einseitige Propaganda des Wohnhochhauses
zu finden. Die Formel ,,Die Stadt als Hotel und Fa-
brik" bietet dafür, so amüsant sie klingt, keine aus-
reichende Begründung. Ob die Aussteller die Pro-
blematik, die hier hinter den Dingen steckt — Be-
ziehungen zwischen den Geschlechtern. Aufzucht
der jungen Generation. Ausgleich von Industrie und
Landarbeit — nicht gesehen haben oder an welche
Antwort sie gedacht haben, wird nicht erkennbar.

Vielleicht lassen sich die hier berührten Mängel
der Ausstellung letzten Endes zurückführen auf die
Bedingungen, unter denen die Sowjet-Regierung
arbeitet: ein überwiegend bäuerliches Land, ein
unter starkem Druck auf die gesamte Bevölkerung
vorwärts getriebener Industrialisierungsprozeß. Es
wäre zu wünschen gewesen, daß die Aussteller sich
von diesen Besonderheiten der russischen Situation
in stärkerem Maße freigemacht hätten und zu einer
genaueren Erfassung der ganz anders gelagerten
deutschen Probleme gelangt wären. Immerhin gibt
ihre Arbeit trotz dieser Schwächen dankenswerte
Anregungen.

Kongresse.

Auch aus Kongressen kommt man klüger heraus
als man hineingegangen ist. Nicht immer ist dieser
Erfolg ein reines Verdienst der Kongreßleitung und
der Redner.

Um offen zu sein: der Gesamteindruck, der sich
bei der Rückschau auf die drei Kongresse ergibt,
unterscheidet sich recht erheblich von dem. was die
Veranstalter (vermutlich) geplant hatten. Das Ge-
fühl einer tiefen Unsicherheit aller Verhältnisse, das
durch die weltgeschichtliche Entwicklung des Mo-
nats Juni 1931 auch in stumpferen Gemütern ge-
weckt worden ist, umwitterte, dem empfindlichen
Beobachter bereits deutlich fühlbar, auch schon
jene Beratungen Ende Mai. deren Tagesordnungen
noch in scheinbar ruhigeren Zeiten aufgestellt wor-
den waren. Mindestens die Themenstellungen der
beiden internationalen Kongresse — etwas
anders war es bei der Tagung der Freien Deut-
schen Akademie des Städtebaus — gingen aus
von gegebenen und im wesentlichen gleichbleiben-
den allgemeinen Verhältnissen, um in diesem Rah-
men Einzelfragen zu behandeln. Der XIII. Inter-
nationale Städtebau- und Wohnungs-
kongreß (Sitz London) beschäftigte sich mit der
Beseitigung von Slums und mit dem Verkehrspro-
blem der Großstädte. Der Internationale
Wohnungskongreß (Sitz Frankfurt a. M.) dis-
kutierte unter dem Gesamtthema „Die soziale Be-
deutung der Wohnungswirtschaft" eine Reihe von
Einzelfragen, wie die Rolle der öffentlichen Hand im
Wohnungsbau und in der Wohnungsverwaltung, die
Möglichkeit der Erzielung tragbarer Mieten für die

Kleinwohnung, die Fähigkeit der auf Rentabilität ge-
stellten Bauwirtschaft zur Deckung des Wohnungs-
bedarfs. Die Behandlung aller dieser Fragen führte
— abgesehen von den technischen Einzelheiten —
auf ein zentrales Problem hin: das Problem der ma-
teriellen und rechtlichen Aktionsfähigkeit der öffent-
lichen Hand. Nur mit öffentlichen Mitteln, seien es
allgemeine Steuergelder oder besondere finanzielle
Maßnahmen, und mit rechtlichen Eingriffen in das
Privateigentum können Slums saniert, können die
großstädtischen Verkehrsverhältnisse in Ordnung
gebracht werden. Was die Wohnungen anlangt, so
stellte der Wohnungskongreß ,,gemäß den Erfahrun-
gen der großen Mehrzahl der beteiligten Länder"
fest, daß „der Mindestaufwand an Miete, der gegen-
wärtig zur Deckung der normalen Lasten für das
Baukapital einer den heutigen Anforderungen ent-
sprechenden Wohnung notwendig ist. den Betrag
übersteigt, welchen die minderbemittelten Kreise für
Miete aufbringen können". Also blieb auch hier nur
der Appell an die öffentliche Hand.

Nun: in dem gleichen Augenblick, in dem alle Dis-
kussionen der beiden Kongresse sich um die Zentral-
sonne der öffentlichen (Staats- und Gemeinde-)
Finanzen drehten, ohne auch nur die geringsten
Zweifel an ihrer dauernden Leuchtkraft, ja fast ohne
überhaupt irgend etwas von ihrer Existenz auszu-
sprechen — in diesem Augenblick bereitete sich
schon jene bedrohliche Sonnenfinsternis vor, die
uns alle inzwischen erschreckt hat.

Gegebene und im wesentlichen gleichbleibende
allgemeine Verhältnisse waren der selbstverständ-
liche Ausgangspunkt für die Einzelberatungen der
Kongresse. In diesem Rahmen ist viel Fleiß und
Geist aufgewandt worden, und die gedruckten Mate-
rialien beider Kongresse können auch heute nur drin-
gend zur Lektüre empfohlen werden. Aber: wie
steht es nun mit diesen „gegebenen" Verhältnissen
selbst? Sie waren zwar zu unsern Lebzeiten, auch
der ältesten unter uns. niemals statisch: aber wie
sehr sie dynamisch und also keineswegs „gleich-
bleibend" sind, das haben wir im Laufe des Juni
wieder einmal sehr deutlich erfahren, und im Grunde
konnte man das auch schon Ende Mai. als die Kon-
gresse begannen, kaum mehr übersehen. Vielleicht
hatten die Kongreßleitungen guten Grund, sich von
solcher Einsicht nichts anmerken zu lassen, aber daß
den beobachtenden Chronisten in dieser Situation
ein gewisses Unbehagen befiel, wird verständlich
sein.

Es war kein Zufall, daß schon vor den internatio-
nalen Kongressen auf einer deutschen Tagung, bei
der Akademie des Städtebaus, die allgemeinere Pro-
blematik deutlich zu Wort kam; das entspricht der
besonderen Situation Deutschlands. Die Vorträge
der Professoren Schäfer (Dresden) und Bruck (Mün-
ster) über die Bevölkerungsgrundlagen und über die
volkswirtschaftlichen Voraussetzungen des Städte-
baus wiesen in einwandfreier wissenschaftlicher
Form auf die ungeheuren Veränderungen hin. die
eine grundsätzliche Neueinstellung in Siedlungs-
wesen und Städtebau notwendig machen: aus die-
sen Voraussetzungen zog Hugo Häring die Folge-
rungen für das Formproblem: die offene, elastische,
mit dem Land organisch verbundene Stadt. Es wäre
sehr zu wünschen, daß auch diese drei Referate ge-
druckt würden.

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