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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Villon, Pierre: "Was ist modern?"
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Schwarz, Rudolf: Die soziale Frauenschule in Aachen
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0023

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nen wir nicht, ohne nervös zu werden, in unserem
Hause uns noch mit Dingen abquälen, welche zur
Zeit der Öllampe nicht komplizierter und nicht län-
ger zu handhaben waren als alles andere auch, was
es damals gab. Und es ist sicher auch bestimmend
für unsere Arbeit, daß eine Hausfrau, die eine elek-
trische Küche benutzt, gar keine Lust hat, jeden Tag
eine halbe Stunde lang zum Abstauben eines Möbels
zu verwenden.

Es ist also nicht einfach, weil wir nötig haben, Zeit
zu gewinnen, daß wir uns das Leben nicht der Stil-
geschichte oder der Phantasie der Architekten und
Kunstgewerbler zuliebe erschweren lassen wol-
len, sondern, weil wir sehen, daß es auch anders
geht und sogar viel besser geht.

Die Tatsache aber, die am meisten Einfluß hat auf
die Gestalt unseres Lebensrahmens, ist die Umwäl-
zung in der Struktur der Gesellschaft. Was bedeu-
tet allein schon die ungeheure Zunahme der Frauen-
arbeit in Berufen, die bisher dem Manne vorbehalten
waren! Welche tiefe Einwirkung auf die Lebens-
weise des Bürgertums hat das langsame Verschwin-
den der Dienstbotenklasse, welches selber sehr
komplexe Ursachen hat. Welche Unterschiede
sehen wir innerhalb der verschiedenen sozialen
Schichten. Denken wir daran, daß noch vor dem
Kriege die meisten Fabriken und Handelshäuser
einem Mann oder einer Familie gehörten, während
heute überall die anonymen Aktiengesellschaften
den individuellen Besitz verdrängen. Denken wir an
die Zunahme der Trusts und Kartelle, an das Ver-
schwinden der Mittelklasse. Und vergessen wir vor
allem nicht, daß wir mitten in der Entwicklung
stehen, daß die Verschlechterung der Verhältnisse
sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Indu-
strie, die Verstärkung der Arbeitslosigkeit in fast
allen Ländern, diese Umwälzung beschleunigen wird.
Ob morgen ein Teller, ein Tisch und ein Haus, ein

Schuh, ein Hemd und ein Anzug so oder so aussehen
werden, das ist kein formales Problem, welches die
Kunstgewerbler und Architekten, die Schuster und
Schneider oder Sie und ich lösen können. Das hängt
ab einzig und allein von der gesellschaftlichen Struk-
tur, von der Denk- und Lebensweise der Menschen
und von ihren Produktionsmitteln, das heißt, der
Quantität der verfügbaren Energien und der Qualität
der Werkzeuge, der Maschinen.

Die Triebkräfte in der Entwicklung von morgen
werden dieselben sein, welche den Menschen den
Schubkarren und das Flugzeug erfinden ließen, wel-
che ihn dazu drängten, Tiere als Energiequellen
auszunützen und die Wucht des fallenden Wassers
in Elektrizität umzuwandeln.

Diese Kräfte sind der Urtrieb nach Selbsterhal-
tung, der Trieb nach leichterem Leben und der se-
kundäre Trieb nach Wissen. Ihr Mittel ist die Vernunft.

In der Entwicklung der vergangenen Jahrhunderte
und im Leben anderer Völker oder Rassen sehen wir
von Zeit zu Zeit einen scheinbaren Stillstand in der
Wirkung dieser Triebkräfte. Die langsame Arbeit der
menschlichen Vernunft in der Richtung nach Wissen
und Glück scheint unterbrochen. Sie dient dann nur
noch dazu, dem Individuum oder der Familie oder
dem Stamm oder Volk innerhalb einer bestehenden
Ordnung ein möglichst leichtes und angenehmes Los
zu erkämpfen gegen andere Individuen oder Gemein-
schaften.

Wenn wir nun glauben, daß in der heutigen Ent-
wicklung der Lebenstrieb und die Denkkraft der zivi-
lisierten Menschheit sich nicht im Einzel-, sondern
im Gesamtinteresse auswirken wird, so beweist
das vielleicht ein allzu großes Vertrauen in die
Menschheit.

Und doch kann es nur dies Vertrauen sein, wel-
ches uns die Freude gibt, an der Entwicklung mit-
zuarbeiten!

DIE SOZIALE FRAUENSCHULE IN AACHEN

RUDOLF SC H WAR Z

Aufgabe:

Der Neubau der sozialen Frauenschule in Aachen
wurde im Juni vorigen Jahres fertiggestellt. Durch
ihn sollte zum erstenmal versucht werden, dieser
neuen und hoffnungsvollen Schulgattung bauliche
Gestalt zu geben. Es ist dem Schulträger, das ist
dem Katholischen Deutschen Frauenbund mit Gerta
Krabbel als Vorsitzende und der Schulleiterin Maria
Offenberg dafür zu danken, daß sie ihren Neubau
sehr ernst nahmen und ihn manchem Widerstande
entgegen in einer Form durchsetzten, die ihnen der
richtige Ausdruck der Aufgabe zu sein schien. —

Die sozialen Frauenschulen sind Schöpfungen des
zwanzigsten Jahrhunderts und meist erst durch die
Not des Krieges entstanden. So haben sie manchen
andern Schulsystemen gegenüber den Vorzug, noch
am Anfange einer Entwicklung zu stehen. Sie sind
noch nicht von langen pädagogischen Überlieferun-
gen belastet und können ihre Methoden und Ziele
noch ausbilden. Ihre engste und amtliche Aufgabe
ist, Frauen für die hauptamtliche Tätigkeit als Wohl-

fahrtspflegerinnen auszubilden. Es gibt da drei
Hauptgebiete der Gesundheitsfürsorge (Stadt- und
Kreisfürsorgerinnen), der Jugendwohlfahrtspflege
(Mitarbeit in Jugendämtern, Kinderheimen, Polizeifür-
sorgerinnen), der Wirtschafts- und Berufsfürsorge
(Arbeitsnachweisbeamtinnen, Fabrikpflegerinnen u.
dgI.)- Darüber hinaus stellen sie sich aber das
soziale Thema selbst in allen seinen Bezügen, und
sie wandeln ihre Methoden mit dem Fortschreiten
der sozialen Erkenntnisse ab. Untereinander unter-
scheiden sich die Schulen sehr stark je nach den
Volkskreisen, in denen sie stehen.

Die weitere Entwicklung der sozialen Frauen-
schulen scheint stark durch den Volkshausgedanken
beeinflußt zu werden. „Unsere Schulen sind eigent-
lich keine Schulen sondern Siedlungen" definiert
die Referentin des Preußischen Wohlfahrtsministe-
riums — selbst Gründerin und erste Leiterin der
Aachener Schule — diese Aufgabe. Dement-
sprechend sollte der Neubau soziale, pädagogische
und gesellschaftliche Möglichkeiten der verschie-

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