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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Rupflin, Karl: Handwerk, höhere Schulen und Werkbund
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0294

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sie nicht wie die kapitalintensive nur ein Mittel
zur Erreichung des Wirtschaftszwecks (bzw. Unter-
nehmerzwecks), sondern auch Selbstzweck war.
Damit soll gesagt sein, daß der Handwerker " —
auch wo er mit der Maschine arbeitet oder
Maschinenerzeugnisse verarbeitet — „in einer
inneren Verbundenheit mit der von ihm erstellten
betrieblichen Leistung steht und diese oft unter
Vernachlässigung ökonomischer Gesichtspunkte
hervorbringt. Es offenbart sich in dieser Ein-
stellung eine künstlerische Verbundenheit des
Handwerkers mit seiner Leistung und die sittliche
Befriedigung, die ihm aus seiner Arbeit er-
wächst*)."

Dieser Umstand machte ihn bislang noch in
hervorragendem Maße geeignet zum „Lehr-
herrn", dessen Verantwortungsgefühl gegenüber
dem zu Erziehenden allein in solcher Berufsauf-
fassung verbürgt ist.

Eine Abkehr von dieser Haltung mußte und
muß die große Zahl**) erziehungsberechtigter
Jugend, welche das Land dem Handwerksstand
überantwortet und anvertraut, in eine für die Ge-
samtentwicklung der Nation gefährliche und ver-
hängnisvolle Lage bringen. Die Verpflichtung zur
Erziehung des Lehrlings wird der Versuchung, ihn
wirtschaftlich auszubeuten, erliegen, und die Be-
rufsschule — ursprünglich als Ergänzung der
Meisterlehre gedacht — übernimmt die Rolle
einer Schutzeinrichtung, um den Lehrling vor Ver-
wahrlosung zu retten. Die Proletarisierung des
handwerkerlichen Nachwuchses wird Tatsache,
Tatsache aber auch der Verfall des Ansehens
handwerkerlicher Tätigkeit überhaupt, die sich
dem Range nach sehr wohl mit allen möglichen
Bildungsgütern messen könnte.

Die Art der Abwehr dieser Herabsetzung durch
die betroffenen Kreise aber gestaltet sich nahezu
grotesk. Während alle Welt sich darüber einig
scheint, daß „Glück" proportional sei dem Ein-
kommen, erleben wir es, daß mancher tüchtige
Handwerksmeister, der heute monatlich eine
runde Summe über den Tisch streicht, keinen
höheren Ehrgeiz kennt, als seinen Sohn dem da-
gegen kümmerlichen Einkommen der Gehalts-
gruppe X zuzuführen.

*) Das deutsche Handwerk (Generalbericht), Band I,
Enquete-Ausschuß.

**) Vgl. Das deutsche Handwerk (Generalbericht),
Band 1, Seite 206, Enquete-Ausschuß.

Die Zahl der im Jahre 1926 16 Jahre alten Personen
betrug z. B. in Baden 25 300 männliche und 25 207 weib-
liche, zusammen 50 507 Personen. Folglich sind von der
Gesamtzahl der 16 Jahre alten Personen 17,8% in einer
Handwerkslehre. Von der männlichen Bevölkerung wer-
den im Durchschnitt 30 % und von der weiblichen Be-
völkerung 4,4 % in einer Handwerkslehre ausgebildet.
Rund ein Drittel der männlichen Bevölkerung erfährt also
seine Berufsausbildung durch die Handwerkslehre.

Mit der Überfüllung der höheren Schulen ge-
rade durch die Jugend dieser Kreise wird der
Abbau werktätiger Kräfte zugunsten eines mehr
als fragwürdigen sozialen Aufstiegs und höherer
gesellschaftlicher Geltung ein Dauerzustand, der
kaum mehr lange ertragen werden kann. Es be-
weist außerdem, daß aller gegenteiligen Be-
hauptung zum Trotz „Arbeit" heute nicht mehr
ohne weiteres „adelt" und daß auf alle Fälle in
Deutschland eine Überwertung der „Bildung an
sich" Platz gegriffen hat, die das Schlagwort von
„der freien Bahn für den Tüchtigen" zum baren
Unsinn macht.

So wird es Zeit, den Männern, die heute in
Deutschland Einfluß haben auf die Ausbildung
der Jugend, eines vor Augen zu halten: „Wich-
tiger, als die Lage des Handwerks im Mittelalter
zu kennen, ist es, das Handwerk der heutigen
Lage zu verstehen!"

Es gilt, anstatt alle Welt auf die Erfassung brot-
loser Angelegenheiten zu drillen und ihr einen
Ballast von Wissen in den Kopf zu setzen,
„gleichwertige, abgeschlossene
Schulbahnen neben den allgemein
bildenden,zur Hochschuleführen-
den zu schaffen, die geradlinig in Richtung
auf das Berufsleben auslaufen"*). Es gilt die
Wiedereinsetzung des Sinnes für Solidität und
Wahrhaftigkeit, um den uns ein mörderisches
Zeitalter gebracht hat — wesentlich konservativer
Kräfte also und Ursprünge des Werkbund-Ge-
dankens, von deren Folgen auf allen Gebieten
des Daseins sich der Durchschnittsbürger bis
heute allerdings eine falsche Vorstellung macht.

Man verstehe richtig! Es soll das Dutzend
höherer Schultypen, durch die man sich nur noch
mit Hilfe eines amtlichen Führers hindurchfindet,
nicht durch neue Experimente, zu denen wir
weder Zeit noch Geld haben, kompliziert wer-
den. Es handelt sich vielmehr allein darum, den
schon andeutungsweise vorhandenen Weg zu
befestigen, der von der Volksschule über die aus-
gebaute Berufsschule zur höheren Fachschule
führt. Die Ansätze hierzu sind überall vorhan-
den. Die heute in einer Sackgasse steckende
Volksschule erhielte neuen Sinn, die Lehre, welche
neben der Berufsschule einhergeht, käme unter
entsprechende Kontrolle und in die Hände bevor-
rechtigter Werkstätten, und die Fachschule wäre
gezwungen, ihre einseitige berufliche Erziehung
im Sinne eines neu zu schaffenden, vollgültigen
und anerkannten Bildungsideals abzurunden.
Die Ziele eines solchen Bildungsideals sind heute
— darüber besteht unter Einsichtigen wohl kein
Zweifel — in den Ideen des Werkbundes klar

*) Vgl. Berliner Tageblatt vom 1.4.31, Leitartikel.

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