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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Rupflin, Karl: Handwerk, höhere Schulen und Werkbund
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0295

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vorgezeichnet. Der ökonomische, soziologische
und schulpolitische Vorteil eines solchen Bildungs-
ganges aber liegt klar auf der Hand. Dem jedes
vernünftige Maß überschreitenden Berechtigungs-
wesen stünde die Wiederherstellung des An-
sehens werktätiger Arbeit gegenüber und dem
zu 50 % brotlos gewordenen „höheren Schüler"
ein neuer Bildungstyp, der zu jedem Zeitpunkt
der Entlassung — als Lehrling, Geselle und
schließlich als Meister — der bestehenden wirt-
schaftlichen Ordnung sogleich als brauchbares
Mitglied eingefügt werden könnte.

Der Weg dazu war früher schon einmal vor-
gezeichnet im Bestehen der sogenannten „Ge-
werbeschule", der „Industrieschule" und des
„Polytechnikums". Die Umwandlung dieser Schul-
typen in die heutige Real- bzw. Obarrealschule
brachte uns eine Überbetonung des Wissens-
gutes gegenüber dem Erfahrungsgut und außer-
dem eine verhängnisvolle Verwässerung des
Gymnasiums. Es ist indessen nicht einzusehen,
warum die Beschäftigung mit den Formgesetzen
der Materie nicht ebenso allgemein bildend sein
sollte als die Beschäftigung mit den Sprachen.
Man prüfe einmal die öffentlichen Bildungsanstal-
ten auf ihre erzieherische Wirksamkeit und ihre
Volksnähe, und man wird zu anderen Entschlüssen
kommen. Vorläufig z. B. steht den bayerischen
Fachschulen ein Prozent der für das Erziehungs-
wesen des Staates ausgeworfenen Mittel zur
Verfügung, und es ist zu fürchten, daß es nirgends
in dieser Hinsicht besser bestellt sei. Wo den-
noch — wie in München — großzügige Fach-
schulpolitik getrieben wird, ist sie ausschließliches
Verdienst der Städte und von deren privatem
Ehrgeiz und Bildungswillen abhängig.

Wie aber steht es mit der Einsicht der Kreise,
die es hierbei in erster Linie angeht? Mit der
Betreuung einiger weniger Schulen durch füh-
rende Werkbundleute und der Kritik der Ergeb-
nisse der anderen durch den Werkbund ist es
nun nicht mehr getan. Es fehlt dem „General-
angriff gegen die Auswüchse des Berechtigungs-
wesens" an höheren Schulen und der durch alle
Zeitungen hallenden Warnung vor dem aka-
demischen Studium*) eine großzügige, parallel-
laufende Aktion in eben gezeichnetem Sinne.
Sie kann, nach Lage der Dinge, nur von oben
kommen; vom Handwerker selbst ist — nach der
heutigen Verfassung der überwiegenden Mehr-
zahl seiner Vertreter — kaum etwas zu erwarten.

Die „allgemeine Gewerbefreiheit" als letzte
Folgerung des bürgerlichen Individualismus hat
nicht allein jede berufliche Bindung gesprengt, sie

*) Vgl. Berliner Tageblatt vom 1.4.31 und Frankfurter
Zeitung vom 10.5 31.

löste auch — für die Industrie unvermeidlich, für
das Handwerk aber ein Widersinn — die natür-
liche Dreieinigkeit von Lehrling, Gehilfe und
Meister. Seitdem verzichtet das Handwerk so gut
wie ganz auf eigene Gestaltung seines Schicksals
und seiner Zukunft, ja, man kann die Behauptung
wagen, es begibt sich zur Erhaltung seiner kul-
turellen Reste sozusagen unter Staatsschutz. Im
übrigen erschöpfen sich Meister- wie Gehilfen-
verbände mit geringen Ausnahmen entsprechend
einer bürgerlich-liberalistischen Weltanschauung
in materiellen Zielsetzungen, die sie von den ent-
sprechenden Verbänden der Industrie übernom-
men haben.

Das Handwerk ist demnach in seiner gegen-
wärtigen Verfassung als Gesamtheit gar nicht in
der Lage, von sich aus, sua sponte, zu handeln.
Es fängt eben erst an, sich wirtschaftlich wieder
als Stand zu begreifen; seine Werkgesinnung,
die es wesentlich und fast einzig noch von der
Industriearbeit unterscheidet, ist ihm selbst noch
kaum zum Bewußtsein gekommen. Die wenigen
AAeister, die hierin eine Ausnahme machen, gel-
ten — auch in den eigenen Reihen — als Außen-
seiter. Sie widersetzen sich entweder einer
innungsmäßigen Zusammenfassung, die analog
dem Aufbau der Parteien die schaffende Einzel-
persönlichkeit nicht nur nicht wertet, sondern so-
gar grundsätzlich ausschließt, oder aber sie
reiben sich in ihr auf, weil sie sich kollektiv über-
stimmt oder zum Selbstopfer ihrer Überzeugung
und ihres Gewissens gezwungen sehen.

Die Kämpfe, die dem Handwerk aus diesem
Zwiespalt entstehen, greifen zu tiefst an die Wur-
zeln seiner inneren Existenz. Die Bedrängnis, in
die es geraten ist, wird verschärft durch den Um-
stand, daß ihm vor allem beim neuen Bauen
Leistungen zugemutet werden, bei denen es
innerlich nicht mitgeht, weil es sie noch nicht be-
griffen hat. Was das für den Ausfall der Einzel-
leistung an modernen Bauten gelegentlich zu be-
deuten hat, weiß jeder Eingeweihte. Der Archi-
tekt von heute stößt bei seiner Arbeit vielfach auf
ausführende Kräfte, die seinen gestaltenden Ab-
sichten unbewußt und manchmal auch bewußt
Widerstand entgegensetzen. Hier erweist es sich,
daß gerade die sachlichste Arbeit nicht darauf
verzichten kann, das für die industrielle Arbeits-
teilung verlorengegangene Verhältnis vom Arbei-
tenden zur Arbeit wieder herzustellen. Denn die
dem modernen Bauen eigentümliche „Identifizie-
rung von Werkform und Kunstform" findet dort
die Grenze ihrer beabsichtigten Wirkung, wo die
einzelne Werkform in ihrer Bedeutung für das
Ga nze vom Ausführenden selbst noch nicht ver-
standen wird. Mit anderen Worten: Bauen ist
heute wieder Gemeinschaftswerk und verlangt

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