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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0370

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der Entscheidung, ob Haesler oder Mies (mit diesen
Namen soll wirklich nichts anderes angedeutet werden
als zwei uns heute gegensätzlich erscheinende Prinzipien
der Architektur), so kann die Antwort nur lauten: beide.
Beide sind notwendig, beider Anschauungen sind geboren
aus der Zeit, aus ihrer sozialen und aus ihrer geistigen
Struktur. Vor einer künstlerischen Schöpfung, sei es das
Haus von Mies, das wir in diesem Heft abbilden, sei es
ein Haus von Le Corbusier oder sei es ein Landhaus
von Wright, ist die Frage nach dem Bauherrn eine rein
äußerliche.

Auch dem laienhaftesten Betrachter muß es natürlich
auffallen, daß die Formen Wrightscher Architektur anders
aussehen als die Formen der modernen europäischen
Bewegung. Aber dieses Aussehen ist doch nicht das Wich-
tigste. Wichtiger ist etwas anderes. Ein ganz deutliches
Beispiel: Der Automobil-Aussichtsturm, den wir abbilden.
Unser Kritiker hat sich über diesen Entwurf sehr geärgert,
weil er keinem anderen Zweck dient, als vom Auto aus
die Landschaft zu genießen. Gewiß, auf den ersten Blick
assimiliert man mit amerikanischer Rekordwut, aber wer
etwas von Wrights Ideen über die Stadt der Zukunft ge-
hört hat, der gewinnt gegenüber diesen Dingen ein
anderes Verhältnis, der sieht in diesem Turm einen Teil
Wrightscher Ideen. Wright ist nämlich der Ansicht, daß
die Stadt der Zukunft nur während der Arbeitszeit be-
treten wird, daß sie sozusagen eine große Anhäufung
von Arbeitsstätten bildet. Das Wohnen, Leben, Genießen,
das Erziehen und Heranbilden der Jugend aber erstreckt
sich über die ganze Landschaft. Er sieht eine Art Flucht
aus der Stadt voraus und eine Kultivierung der Land-
schaft für das Wohnen und Leben. Die Mittel dieser Kul-
tivierung sind die Autostraßen und die Tankstellen, die
mehr als Tankstellen, nämlich kleine Zellen gastlicher
Wohnlichkeit und Erholung, werden sollen. Die Landschaft
wird ein Wohnpark, auf das Tempo des Automobils ein-
gestellt. Daher seine etwas merkwürdigen Tankstellen-
Entwürfe mit Gast- und Ruheräumen, mit Tanzräumen.
Daher seine Entwürfe für Wochenendzeltstädte und
Wochenendhotels und für den Autoaussichtsturm. Er
glaubt ja auch, daß das Wochenende immer länger wird
auf Kosten der sich immer mehr verringernden Arbeits-
zeit. Man kann an diese Zukunftsentwicklung glauben
oder nicht, man kann ihr Gegenargumente entgegen-
stellen, aber man kann nicht abstreiten, daß sie modern
und groß gedacht ist. Und dieses innige Gefühl für die
Landschaft, Landschaft immer im größten Maßstab ge-
nommen, und vom Automobil aus und seiner Schnellig-
keit begriffen, findet man irgendwie in jeder Schöpfung
Wrights. Wenn man dieses Gefühl als romantisch be-
zeichnet, dann darf man es wenigstens nicht im ab-
sprechenden Sinn tun. Der Aufsatz von Wright, den wir
in diesem Heft wiedergeben, zeigt deutlich sein tiefes
Einfühlungsvermögen für Materialien, für Struktur, für
Organismen. In ähnlichem Sinn, durchaus künstlerisch,
erfaßt er die Landschaft, erfaßt er die Probleme der Orga-
nisierung der Bauten in dieser Landschaft.

Ist es denn nicht grundverkehrt, die Architektur nach
ihren Formen, nach ihrem Aussehen zu bewerten. Ist es
nicht wichtiger für den Betrachter und Bewertenden, zu
versuchen, den geistigen Gehalt zu ermitteln und von
da aus die Formen zu verstehen? Wenn wir Wright so
betrachten, ist er uns auf einmal viel näher gerückt und
wir empfinden ihn als durchaus modern, Generationen-
Unterschiede verwischen sich unter diesem Aspekt und
große Fragen künftiger Gestaltung verdrängen kleine
Stilkritteleien.

Berliner Funkausstellung

Wer die Berliner Funkausstellung besucht und nicht
gerade Radiofachmann ist, sich aber für das Aussehen
der Dinge interessiert, kann seinen Blick auf zwei Dinge
richten. Auf die Ausstellungsstände und auf die neuen
Formen der Apparate, über die Ausstellungsstände ist
nicht viel zu sagen. Erfreulicherweise werden sie wie
auf allen Ausstellungen allmählich immer besser und
besser. Die kunstgewerblichen Überspitzungen verlieren
sich, man schwelgt dafür in Farben und scheußlichen
Firmenzeichen.

Wer sich auf der diesjährigen Ausstellung die Appa-
rate genauer ansah und die wesentlichen Typen der
führenden Firmen mit ihren vorjährigen Typen vergleicht,
der wird eine erstaunliche Entdeckung machen, nämlich
die, daß die diesjährigen Typen viel, viel scheußlicher
sind als ihre Vorgänger. Der Radioapparat krankte zu-
allererst an der Auffassung seiner Hersteller, daß der
Apparat so sein müsse, daß er zum Möbel „paßt". Die
größeren Apparate, vor allen Dingen diejenigen, bei
denen Lautsprecher und Schallplatten mit eingebaut sind,
stellen kleine Schränke dar, die genau so „modernes"
Möbel darstellen wie das sogenannte moderne Möbel
der großen Möbelgeschäfte. Der allergrößte Teil der
kleineren Apparate steht auch heute noch auf dem An-
fangsstadium der Möbelangleichung mit möglichst viel
edlem Holzfurnier. Aber vor etwa zwei Jahren haben
einige größere Firmen sehr richtig die Formen ihrer land-
läufigsten Typen entsprechend dem ausgebildet, was sie
wirklich sind, nämlich Apparate. Im Dezemberheft des
vorigen Jahrgangs haben wir einige dieser Typen ab-
gebildet und mußten schon damals in der Unterschrift
darauf hinweisen, daß leider diese Apparate mit ihrer
technischen klaren Form keinen Anklang bei den Käufern
fanden und durch Apparate ersetzt wurden, die mit ihrem
polierten Nußbaumgehäuse einen Kompromiß an den
Geschmack des Publikums darstellen. Dennoch aber ist
das polierte Edelholz bei den gebräuchlichsten Typen der
größten Firmen nicht so recht in Anwendung gekommen.
Lackiertes Blech und Kunstmaterial, eine Art Bakelit,
herrschen vor. Man sollte glauben, daß diese Mate-
rialien ganz selbstverständlich eine einfache technische
Form erfordern. Aber das ist ein Irrtum. Stanzen und
Arbeitsprozeß kosten nicht mehr, ob sie glatte Formen
oder Ornamente erzeugen. Gerade die neuesten Appa-
rate in diesen Materialien haben durch geschmacklose
modernistische Ornamente brillierende, in schlechtem
Sinn kunstgewerbliche Effekte erhalten. Das ist sehr zu
bedauern. Und man wird sehr an die Formentwicklung
der Außenseite eines anderen technischen Geräts, näm-
lich des Automobils, erinnert, dessen Karosserie in der
Formgebung genau denselben Weg beschritt, von der
Imitation der Kutsche über ausgezeichnete selbstverständ-
liche technische Formen zu modischen Formen. Beim
Radioapparat sind es zwar nicht die Gebrauchsgrafiker
und Architekten, die dem Gehäuse den kunstgewerb-
lichen Beigeschmack geben, sondern aller Wahrschein-
lichkeit nach die amerikanischen Vorbilder.

In Amerika entdeckt man nämlich, daß es Dinge gibt,
die wir als „selbstverständlich gut geworden" bezeichnen
und die man nun glaubt stilisieren zu müssen, entweder
auf kubistisch modern, auf exotisch oder auf historisch.
Wir erinnern dabei an den ausgezeichneten Aufsatz von
Lewis Mumford im 5. Jahrgang, Heft 8, unserer Zeit-
schrift, in dem gezeigt wird, wie die amerikanische
Warenproduktion durch öfteren Wechsel des Stils und
der Mode den Umsatz zu erhöhen bestrebt ist. W. L.

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