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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Hirzel, Stephan: Die Erneuerung des Friedhofswesens
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0242

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Holzkreuze von Th. A. Winde, Dresden. Keramische Urnen, Entwurf: Karl Groß, Dresden, Ausführung: Villeroy & Boch,
Keramische Werke, Dresden

Croix de bois, urnes en ceramique

Wooden crosses, ceramic urns

im Zusammenhang mit der Leichenverbrennung
gehen noch immer auf die Erdbestattung zurück,
die sich durch diese Tatsache als tief in der Volks-
seele verwurzelt erweist. So zeigt der Verbren-
nungssarg noch immer den dachförmigen Aufbau,
dessen Schrägen doch nur den Sinn haben, den
Erddruck seitlich aufzufangen. Die Versenkung des
Sarges im Feierraum des Krematoriums, das Nach-
werfen von Blumen und schließlich die Beisetzung
der Urne in den Boden sind entlehnte Gebräuche,
die jeden Sinn in diesem neuen Zusammenhang ver-
loren haben. Insgesamt aber sind diese Verfall-
erscheinungen alter Sitten — so merkwürdig dies
erscheinen mag — Reste des Barockzeitalters, je-
ner Zeit, in der die Lebensform des absoluten Mon-
archen vorbildlich für den Bürger wurde. Der heute
übliche Sarg entspricht noch immer der Barock-
kommode und der Sargwagen der Galakutsche. Der
gemietete Sargträger steckt in der Uniform der
Leibwache, die „Hoftrauer" angelegt hat. Selbst die
üblichen Trauerdekorationen, die Aufbahrung und
der verschnörkelte Stil rührseliger Traueranzeigen
stammen aus dem Geist des Barocks. Bedenkt man
ferner, daß die Trauerfarbe „Schwarz" erst damals
zum Allgemeingut wurde, so ist in großen Zügen eine
Domäne barocken Geistes umrissen, die sich in un-
serer Welt der Maschinen und des Verkehrs erhal-
ten hat, ohne daß auf sie ein wesentlicher Angriff
gewagt worden wäre.

Bei solcher ethischen Betrachtungsweise darf
man nun nicht übersehen wollen, daß das gesamte

Friedhofs- und Bestattungswesen in unserer Zeit
auch volkswirtschaftliche Bedeutung angenommen
hat. Die Menschenanhäufungen in den Großstädten
hat zur Anlage gewaltiger Bestattungsflächen ge-
führt, die den Städtebauer und die Stadtverwaltung
vor neue Aufgaben gestellt haben. Je kürzer die
Ruhefrist des einzelnen Grabes bemessen werden
kann (und dies richtet sich insbesondere nach der
jeweiligen Bodenbeschaffenheit), um so geringer
kann die Gesamtanlage bemessen werden und um
so rentabler ist der Unterhalt. Da wir jetzt überall
konfessionelle und kommunale Friedhöfe unterschei-
den, ist sogar der Konkurrenzkampf in diesen
scheinbar friedlichen Bezirken unausbleiblich ge-
wesen. Besonders der Kampf zwischen Erdbestat-
tung und Leichenverbrennung wird mit allen Propa-
gandamethoden der Zeit geführt. Ähnlich liegt es
auf dem Gebiete des ziemlich umfangreichen Grab-
malgewerbes. Industrie und Handwerk, Kunststein
und Naturstein ringen um den Markt des Absatzes.
Was nun das Bestattungswesen selber betrifft, so
ist aus dem letzten Dienst am Toten, ihn freiwillig
zu Grabe zu tragen, allmählich ein schauriges Ge-
werbe herangewachsen, das in den Heimbürginnen
provisionsberechtigte Agenten gewonnen hat, um so
— angefangen vom Sarge bis zu allen Einzelheiten
des Dreiklassenbegräbnisses — aus dem ratlosen
Schmerz und der kleinbürgerlichen Prunksucht der
Hinterbliebenen Kapital zu schlagen. Um dieses
Zeitbild gebührend abzurunden, dürfen die zahlrei-
chen Bestattungsversicherungen nicht vergessen

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