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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

DOI Artikel:
Schwab, Alexander: Baupolitik und Bauwirtschaft, [15]
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0212

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Zentrum im Westen — gewollt oder ungewollt — zu
schaffen und daneben die City verkümmern zu las-
sen. Er forderte für die Ausstellungspolitik der
Reichshauptstadt eine Wendung derart, daß künf-
tig statt des Ciou die Idee bestimmend wirken solle,
und daß die natürliche Ausstellungsfunktion der gro-
ßen Geschäftsstraßen im Stadtzentrum sinnvoll ein-
bezogen werde; Ausstellungen seien ein ebenso
wichtiges Mittel der publizistischen Propaganda wie
Zeitungen.

Wie weit bei der Organisation der Bauausstellung
1931 die vor einem Jahr angekündigte neue Ära —
von der damals weniger ihr beamteter Herold als
ihr Kritiker eine klare inhaltliche Vorstellung zu
haben schien — bereits Wirklichkeit geworden ist,
wird man erst später abschließend beurteilen kön-
nen. Die Vorgeschichte der Ausstellung läßt keines-
wegs mit Sicherheit darauf schließen, daß die Wen-
dung vom Clou zur Idee schon völlig vollzogen sei.
Der Programmgedanke, die Ausstellung zu einem
Bau- und Werkplatz mit dem Ziel der Zukunftsge-
staltung der deutschen Weltstadt zu machen, ist
fallen gelassen worden, und ein gleichwertiger pro-
grammatischer Leitgedanke ist in den bisher er-
schienenen Veröffentlichungen der Ausstellungslei-
tung nicht zu finden. Vor allem aber hat die Aus-
stellungspolitik der Stadt selbst in ihren räumlichen
Dispositionen die von Paquet geforderte Wendung
nicht erkennen lassen. Noch immer scheint das
Schlagwort ,.Berlin an der Havel", ein Uberrest aus
einer versunkenen Epoche der Berliner Verwaltung,
ein gespenstisches Eigenleben weiterzuführen. An
irgendeine organische Verbindung der Bauausstel-
lung mit dem Stadtganzen und insbesondere mit
dem Stadtkern wird offenbar noch immer nicht ge-
dacht. Neuerdings scheinen diese Bestrebungen
seltsame Bundesgenossen zu finden: Während auf
der einen Seite den auf die Sanierung der Innen-
stadt gerichteten Planungsarbeiten des Cityaus-
schusses ein konservativ-romantisierender Wider-
stand entgegengesetzt wird, kündigt eine große Ter-
raingesellschaft an, sie werde auf der Bauausstel-
lung ein Beispiel der städtebaulichen Initiative des
Privatunternehmertums vorführen. Man kann diesem
Versuch nicht ohne Skepsis entgegensehen, da ja
das Interesse eines einzelnen wenn auch noch so
großen Unternehmens nur selten identisch sein wird
mit dem nur korporativ zu erfassenden Interesse der
Gesamtwirtschaft.

Zum Problem der Großwohnungen.

Fast alles, was bisher über die Großwohnungen
geschrieben worden ist, zeigt die Hilflosigkeit der
sogenannten Praktiker und darüber hinaus die De-
generation des wirtschaftlichen Denkens, die bei
uns in Deutschland eingerissen ist. Man spricht
überall vom Umbau, seinen technischen Möglichkei-
ten und seiner Finanzierung. Das ist zwar begreif-
lich, wenn man bedenkt, wie sehr heute das Bau-
gewerbe und die Architekten nach Aufträgen hun-
gern und wie sehr sie unter dem Druck der Erfah-
rungen ängstlich in allen Finanzierungsfragen ge-
worden sind. Aber was geschieht denn unter nor-
malen Verhältnissen einer freien Wirtschaft, wenn
eine bestimmte Sorte von Gütern unverkäuflich auf
dem Markt liegt? Die Antwort aus dem Lehrbuch ist
sehr einfach: Die Besitzer dieser Güter müssen sich

damit abfinden und in ihren Geschäftsbüchern die
nötigen Abschreibungen machen. Das Risiko und
der Verlust gehören nun einmal ebenso zum Ge-
schäft wie der Gewinn. Aber diese einfache Grund-
regel der freien Marktwirtschaft, eine Regel, deren
Funktionieren unerläßlich ist für den Gang dieser
Wirtschaft, ist in Deutschland in den letzten Jahren
einigermaßen außer Gebrauch gekommen. Und so
will man nun also auch in Berlin und in vielen ande-
ren Großstädten versuchen, die unvermietbar ge-
wordenen großen Wohnungen dadurch zu retten,
daß man sie in Kleinwohnungen aufteilt, anstatt daß
diese Kapitalgüter, die den Anforderungen des
Marktes nicht mehr entsprechen, auf ihren wahren
Wert abgeschrieben, d. h. entweder so billig vermie-
tet werden, wie es die Nachfrage verlangt, oder ab-
gerissen und durch etwas anderes ersetzt werden.
Dabei übersieht man in der Regel, daß in den mei-
sten Fällen ein Umbau, der dem tatsächlichen Be-
darf entsprechen würde, gar nicht möglich ist; die
Räume sind zu hoch oder zu groß, die Lichtverhält-
nisse bleiben unbefriedigend, ein zweiter Aufgang
fehlt häufig, Küche und Klosett müßten neu ge-
schaffen werden. Die Kosten eines solchen Um-
baus sind, wenn etwas einigermaßen den heutigen
Ansprüchen Genügendes geschaffen werden soll,
gar nicht gering zu veranschlagen. Das Ergebnis
kann im besten Falle doch immer nur den Charak-
ter eines Notbehelfs tragen. Dabei handelt es sich
im allgemeinen doch um alte Häuser, die ohnehin
keine ewige Lebensdauer mehr haben können und
deren im Interesse der Wohnkultur wünschenswerte
Beseitigung durch solche Neuinvestitionen nur
künstlich aufgehalten wird.

Die weiteren Zusammenhänge des Problems sind
in der Diskussion bis jetzt überhaupt noch kaum be-
achtet worden. Es handelt sich ja meist nicht um
einzelne Häuser, sondern um ganze Stadtviertel, die
von der Krankheit befallen sind. Man müßte daher
für jedes derartige Viertel nachprüfen, ob der Krank-
heitszustand nur auf den Bazillus der allgemeinen
wirtschaftlichen Krise zurückzuführen ist, oder ob
nicht Gründe der allgemeinen Stadtentwicklung
wesentlich mitsprechen. Damit, daß in einem be-
stimmten Viertel aus allen alten Wohnungen mit
6 bis 12 Zimmern neue Wohnungen mit 3 bis 4 Zim-
mern gemacht werden, ist noch keineswegs ge-
sichert daß der Bedarf nach solchen Wohnungen
sich auf dieses Viertel erstrecken wird. Mit ande-
ren Worten: ohne einen allgemeinen städtebau-
lichen Grundgedanken, der jedem Stadtviertel seine
bestimmte, aus den Gesamtverhältnissen zu er-
schließende Funktion zuweist, ist das Problem der
Großwohnungen nicht zu lösen. Durch Aufteilungen
und Umbauten wird die Krise höchstens zeitlich und
räumlich etwas verschoben, um bald mit größerer
Heftigkeit von neuem auszubrechen.

Mitarbeiter dieses Heftes:

Dr. Justus Bier, künstlerischer Leiter der Kestner-Gesellsch alt E.V.

Hannover
Hein Gorny, Hannover, Fotograf
Theo van Doesburgf, Architekt
Dr. Adolf Behne, Berlin, Schriftsteiler
Sächsische Landesstelle für Kunstgewerbe, Dresden
Erich B. L e d e r m a n n , Berlin-Dahlem, Mitinhaber der Firma

S. A. Loevy-Berlin N.
Dr. Alexander Schwab, Berlin, Volkswirtschaftlicher Schriftsteller

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