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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Rückert, Otto: Handwerk und neues Bauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0216
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Der Geist, der das neue Bauen beseelt, hat mit
dieser Verlogenheit so ziemlich aufgeräumt. Die
soziale Lage des Großteils unserer Nation spie-
gelt sich nun einmal in den Siedlungshäusern
wider und die Zeit, in der jeder gute Bürger
sein Huhn im Topfe und damit sein lauschiges
Häuschen inmitten blühender Bäume besitzt,
scheint einstweilen nichts anderes zu sein als
der sprichwörtlich gewordene Silberstreifen am
Horizont. Aus ganz seltsamen Vorstellungen
heraus verurteilen viele Menschen, denen es
wohl ergeht auf Erden, die ,,grausame" Art, den
Arbeiter über die einfachste schlichte Wohnung
hinweg immer wieder an sein „Elend" zu er-
innern. Ich glaube, es wäre „grausamer", würde
man dem Mann aus dem Volk ein biedermeier-
liches Paradies des Wohnens vortäuschen, das
im krassesten Gegensatz zu seiner Lebenshal-
tung, die durch das Einkommen geregelt wird,
stehen würde. Die Schlichtheit und sogenannte
puritanische Einfachheit unserer Wohnräume
entspringen zumeist einem durchaus berechtig-
ten inneren Müssen. Und diese Einfachheit wird
erst dann fatal, wenn sie zur Koketterie, zur ge-
fallsüchtigen Betonung einer gewollten snobisti-
schen Armut ausartet. Der gute Witz von der
reichen Dame, die in einem fast leeren Raum,
dessen gewollte Öde beängstigend wirkt, ihre
Besuche empfängt und sich gelegentlich in dem
vollgepfropften Wartezimmer eines Zahnarztes
inmitten von Nippes und anderem Tand von ihrer
Wohnung erholt, ist nicht nur allein treffend, son-
dern darüber hinaus bezeichnend für die abson-
derliche Modehascherei und innere Hohlheit un-
serer sogenannten Gesellschaft. Die Schuld an
diesem Zustand tragen die Mitläufer der Kunst
— die geschäftigen „Schöpfer" neuer Moden,
die Heerschar der Kunstgewerbler. Diesem
Chaos steht der Handwerker hilf- und ratlos ge-
genüber! Und diese Verwirrung der Geschehen,
die durch allerlei Adepten, die das Rad der Zeit
aus irgendwelchen Gründen zurückzudrehen ver-
suchen, ins Ungeheure gesteigert wird, ist die
Ursache des Grolls, den das Handwerk in sich
trägt und der von Zeit zu Zeit in burlesken Be-
merkungen zu dem Thema „Zeit und Kunst" an
die Öffentlichkeit tritt.

Befreiung aus diesem Zustande kann nur die
neue Generation der Bauenden bringen, da diese
bemüht sein wird, die Dinge des Lebens sach-
lich zu betrachten und die Räume und Gegen-
stände überdeutlich und klar zu gestalten und zu
formen. Gerade der einfach geformte Gegen-
stand, die klare, großgebildete Fläche sind Ob-
jekte der intensiven Betrachtung, und es ist mehr
als unwahrscheinlich, daß aufgenagelte Profil-

leisten, zugemalte Flecken, durch den Lack ge-
drungene Nagelköpfe heute in dem Ausmaße
übersehen werden können wie ehedem. Es ist
nach meiner Erfahrung weitaus schwieriger, eine
große ungegliederte Wand, die den Hintergrund
für eine geringe Anzahl von Möbel abgibt, tadel-
frei, sauber und gefällig zu streichen und zu
behandeln als eine Wandfläche, die etwa
durch Pilaster gegliedert oder in Füllungen
aufgeteilt ist. Ich glaube auch feststellen
zu können, daß die übliche Tür mit Fül-
lungen und Friesen dem Tischler weniger
Schwierigkeiten bereitet als die Erstellung einer
ebenso großen Sperrholzfläche. Beschläge und
Lackierung werden im Gefüge der üblichen Tür
erdrückt durch die reiche Gliederung und Pro-
filierung, die, da sie Licht- und Schattenwirkun-
gen aufzeigen, im Vordergrunde der Betrachtung
stehen. Die glatte Sperrholzfläche zwingt hin-
gegen zu einer sauberen und anständigen Lak-
kierung, zwingt förmlich zur Verwendung eines
guten Beschlages, zwingt zum gewissenhaften
Anschlagen. Das neue Bauen ist somit der ge-
sunde Mutterboden einer gesteigerten handwerk-
lichen Fertigkeit, und es sind immer die Pfuscher
und Stümper, die gewohnt waren, im Bausch und
Bogen die durch niedere Submissionspreise er-
gatterte Arbeit hinzuhauen, die sich über
die sogenannten Schikanen der Baukünstler
beschweren. Uber das rein Handwerklich-
Technische hinaus zwingt das neue Bauen
und Formen den Handwerker zum Denken.
Es ist kein Zufall, daß durch die Reihen des
Handwerks gerade heute in den Zeiten der
schwersten wirtschaftlichen Not eine Welle der
Besinnung auf Sinn, Wert und Zweck der Hand-
werksarbeit geht. Die Entwicklung des gegen-
wärtigen Bauens zwingt z. B. den Baumaler zum
Durchdenken der verschiedenen Möglichkeiten
der sinngemäßen Anwendung der Farbe im Raum;
sie zwingt den Tischler, den Schrank aus
den gegebenen Bedürfnissen heraus zu gestal-
ten. Allerdings ist dieses Bauen und Formen
dem Ornament abhold. Das Ornament, das in ver-
gangenen Zeiten identisch war mit der Lebens-
haltung und dem Lebensstil der Menschen, ist
heute nicht mehr wie ehedem ein organischer
und verständlicher Bestandteil eines Werkes,
sondern zumeist eine äußerliche Beigabe, deren
Ursprung zum Teil auf sehr durchsichtige Motive
zurückgeht. Es sei nur an die bekannten zusam-
mengenagelten Dutzendmöbel für den kleinen
Mann erinnert, deren mit der Maschine ge-
schnitzte Ornamente das „Vornehme", das „Ge-
diegene" und das „Kostbare" vortäuschen sol-
len. Und immer noch greift die breite Masse be-

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