29
Unsre heiße Hoffnung geht dahin, daß die Wärmeenergie des kriegerischen Willens zur
Macht sich nach dem Kriege nicht in eine latente Wärme abwandelt, sondern von starken
Geistern in die neuen Schwingungswellen des Willens zur Form geleitet wird.
30
Kunst ist nur selten da. In den langen Pausen der Geschichte, in denen die Kunst fern ist,
nennt man Anderes, Ähnliches, ach, sehr Unähnliches Kunst. Vielleicht will es ein kleines Be-
dürfnis so. Aber wo ein Bedürfnis, eine Nützlichkeit nach Kunst schreit, haben wir schon keine
Kunst mehr, keinen Wüllen zur Form mehr.
52
Jeder Formbildner und Ordner des Lebens sucht das Fundament, den Fels, auf dem er
bauen kann. Das Fundament fand er nur äußerst selten in der Tradition; sie hat sich meist
als trügerisch und nie als sehr dauerhaft erwiesen. Die großen Gestalter suchen ihre Formen
nicht im Nebel der Vergangenheit, sondern loten nach dem wirklichen, tiefsten Schwerpunkt
ihrer Zeit. Nur über ihm kann er seine Formen aufrichten.
Das dunkle Wort Wahrheit erweckt in mir immer die physikalische Vorstellung des
Schwerpunktes. Die Wahrheit bewegt sich stets, wandelbar wie der Schwerpunkt; sie ist immer
irgendwo, nur niemals auf der Oberfläche, niemals im Vordergrund.
Wahrheit ist auch nie Erfüllung, Realität, künstlerische Gestalt, sondern das Primäre,
der Gedanke, religionsgeschichtlich ausgedrückt: das „Wissen um das Heil“, das stets der
Gestalt, d. i. der Kunst und der Kultur vorausgeht.
55
„Im Anfang war das Wort.“
Vor der Form war immer der Gedanke. Ehe die Gotik Form wurde, wirkte schon als
Wahrheit, als heiliges Wissen ihr glühender Gedanke, die Hierarchie der Heiligen, die in dem
tiefsinnigen Gedanken des gotischen Pfeilerdoms ihre höchste Formel und Form erhielt.
34
Der Europäer geht heute noch taub und blind über sein neues Land. Seine Füße sind
stumpf, daß er den Fels, auf dem er steht, die Wahrheit unter ihm, den Schwerpunkt seiner
Zeit nicht fühlt. Er glaubt immer noch im grundlosen Schutt und Sand der Vergangenheit zu
stehen und spielt und wühlt in ihm wie ein Kind,-das ist der Europäer, der stahlharte,
weitäugige, weltwissende Europäer mit bettelarmen, dürstenden Herzen, der neue Gotiker
ohne Dom und Bibel, ohne Bild und Gestalt, der europäische Gedanke ohne Form.
35
Der Tag wird nicht mehr fern sein, an dem der Europäer — die wenigen Europäer, die
es erst geben wird, — der große Schmerz seiner Gestaltlosigkeit überfallen wird. Dann werden
diese Gepeinigten ihre Arme recken und Formsucher sein. Sie werden die neue Form nicht in
der Vergangenheit suchen, auch nicht im Außen, in der stilisierten Fassade der Natur, son-
dern die Formen von innen heraus bauen nach ihrem neuen Wissen, das die alte Weltfabel in
Weltformel, die alte Weltanschauung in WeltdurcAschauung verwandelt hat.
Die kommende Kunst wird die Formwerdung unserer wissenschaftlichen Überzeugung
sein ; sie ist unsre Religion, unser Schwerpunkt, unsre Wahrheit. Sie ist tief und schwer genug,
um die größte Formgestaltung, Formumgestaltung zu bringen, die die Welt erlebt hat.
Unsre heiße Hoffnung geht dahin, daß die Wärmeenergie des kriegerischen Willens zur
Macht sich nach dem Kriege nicht in eine latente Wärme abwandelt, sondern von starken
Geistern in die neuen Schwingungswellen des Willens zur Form geleitet wird.
30
Kunst ist nur selten da. In den langen Pausen der Geschichte, in denen die Kunst fern ist,
nennt man Anderes, Ähnliches, ach, sehr Unähnliches Kunst. Vielleicht will es ein kleines Be-
dürfnis so. Aber wo ein Bedürfnis, eine Nützlichkeit nach Kunst schreit, haben wir schon keine
Kunst mehr, keinen Wüllen zur Form mehr.
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Jeder Formbildner und Ordner des Lebens sucht das Fundament, den Fels, auf dem er
bauen kann. Das Fundament fand er nur äußerst selten in der Tradition; sie hat sich meist
als trügerisch und nie als sehr dauerhaft erwiesen. Die großen Gestalter suchen ihre Formen
nicht im Nebel der Vergangenheit, sondern loten nach dem wirklichen, tiefsten Schwerpunkt
ihrer Zeit. Nur über ihm kann er seine Formen aufrichten.
Das dunkle Wort Wahrheit erweckt in mir immer die physikalische Vorstellung des
Schwerpunktes. Die Wahrheit bewegt sich stets, wandelbar wie der Schwerpunkt; sie ist immer
irgendwo, nur niemals auf der Oberfläche, niemals im Vordergrund.
Wahrheit ist auch nie Erfüllung, Realität, künstlerische Gestalt, sondern das Primäre,
der Gedanke, religionsgeschichtlich ausgedrückt: das „Wissen um das Heil“, das stets der
Gestalt, d. i. der Kunst und der Kultur vorausgeht.
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„Im Anfang war das Wort.“
Vor der Form war immer der Gedanke. Ehe die Gotik Form wurde, wirkte schon als
Wahrheit, als heiliges Wissen ihr glühender Gedanke, die Hierarchie der Heiligen, die in dem
tiefsinnigen Gedanken des gotischen Pfeilerdoms ihre höchste Formel und Form erhielt.
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Der Europäer geht heute noch taub und blind über sein neues Land. Seine Füße sind
stumpf, daß er den Fels, auf dem er steht, die Wahrheit unter ihm, den Schwerpunkt seiner
Zeit nicht fühlt. Er glaubt immer noch im grundlosen Schutt und Sand der Vergangenheit zu
stehen und spielt und wühlt in ihm wie ein Kind,-das ist der Europäer, der stahlharte,
weitäugige, weltwissende Europäer mit bettelarmen, dürstenden Herzen, der neue Gotiker
ohne Dom und Bibel, ohne Bild und Gestalt, der europäische Gedanke ohne Form.
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Der Tag wird nicht mehr fern sein, an dem der Europäer — die wenigen Europäer, die
es erst geben wird, — der große Schmerz seiner Gestaltlosigkeit überfallen wird. Dann werden
diese Gepeinigten ihre Arme recken und Formsucher sein. Sie werden die neue Form nicht in
der Vergangenheit suchen, auch nicht im Außen, in der stilisierten Fassade der Natur, son-
dern die Formen von innen heraus bauen nach ihrem neuen Wissen, das die alte Weltfabel in
Weltformel, die alte Weltanschauung in WeltdurcAschauung verwandelt hat.
Die kommende Kunst wird die Formwerdung unserer wissenschaftlichen Überzeugung
sein ; sie ist unsre Religion, unser Schwerpunkt, unsre Wahrheit. Sie ist tief und schwer genug,
um die größte Formgestaltung, Formumgestaltung zu bringen, die die Welt erlebt hat.