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Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath; Heider-Schweinitz, Maria von [Ill.]
Heider-Schweinitz: Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath : Ausstellung vom 19. Juli bis 14. August 1949 — Frankfurt am Main: Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath, 1949

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https://doi.org/10.11588/diglit.74272#0002
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Jede Begegnung mit einem echten Kunstwerk bedeutet die Begegnung mit einem
begnadeten Menschen. Künstler, streng genommen, ist nur der dem das Mensch-sein
jenseits aller äußeren Bindungen des Daseins Berufung, eigentlicher, letzter und we-
sentlicher Inhalt seinens Denkens und Tuns ist. Kraft dieser Berufung wird ihm das
Werk zur Leidenschaft. Alle Hemmungen, die sich ihm entgegenstellen, die äußeren
wie die inneren, und gerade diese, verdoppeln nur seinen Eifer, sich auszusprechen,
seiner Menschlichkeit sichtbare Form zu geben. Wo das aufhört, was der Mehrzahl
der Menschen gemeinsam ist, beginnt die Sphäre der Person, des Individuums, die
den Menschen erst ganz zum Menschen macht, und wo sie schöpferisch wird, wo sie
Sprache und Ausdruck, Gestalt und Form wird, beginnt die Sphäre der Kunst. In
diesem Bezirk gibt es als Wertmaßstab nur die Wahrheit dessen, was gerade diesem
Menschen zu sehen und zu sagen, zu erleben und zu gestalten gegeben ist, denn das
Mitteilen des Geheimsten und Persönlichsten, des zutiefst Menschlichen im Menschen,
ist Offenbarung, und ohne Wahrheit ist Offenbarung unmöglich. Offenbarung und
Wahrheit aber sind nicht möglich ohne Fülle und Tiefe eines Lebens, aus dem sie
erwachsen.
Im wahren Kunstwerk ist stets der ganze Mensch, mit seinem Schicksal und
seinem Glauben, mit seiner Leidenschaft und seiner Kraft, sie zu zügeln, mit den
Wärme des Herzens, der Klarheit seines Bewußtseins und der Strenge in der Wahl
seiner Mittel, mit der Begeisterung an der Sache und seiner Bemühung, ihrer Herr zu
werden, mit seinem Bedürfnis, das Subjektive zu objektivieren, mit seiner Freude
am Augenblick, den ihm das Leben schenkt, und seinem Streben, ihn zu verewigen,
in ihm nur das Gleichnis zu sehen. Nicht in jedem Werk können diese Intensität und
Tiefe des Lebens in ihrer ganzen Fülle sein. Wo der ganze Mensch hinter dem Werk
steht, und gerade bei dem Menschen, der immer echt ist, spiegeln sich in seinem
Schaffen auch die schwächeren Augenblicke, die unser Dasein in weiser Ökonomie,
zu neuem Ansporn für uns bereit hält, und da zur Kunst auch das Können gehört
und dieses Können erworben sein will in unablässiger Arbeit und Mühe, muß auch
der Weg, auf dem es errungen wird, sichtbar werden. Aber mit den Höhepunkten,
die er erreicht, stellt der Künstler sich selbst die Maßstäbe auf, an denen er als un-
erbittlichster Richter sein eigenes Schaffen mißt. Was seiner Kritik nicht standhält
und sich auf die Dauer nicht bewährt, merzt er selber aus oder verbirgt es. Ob er
gegen sich immer gerecht ist, ist eine andere Frage. Während er schafft, kann und
darf niemand ihm dreinreden, den er nicht selbst zu Rate zieht. Er muß und kann
nur mit sich selber fertig werden. Das gehört zu seinem Schicksal und seinem Be-
ruf. Wir dürfen nacli Gefallen oder Mißfallen bejahen oder ablehnen. Ein Urteil über
den Wert seiner Arbeit ist damit noch nicht gesprochen. Wenn wir ein solches Urteil
suchen, wenn wir die Sympathie oder Antipathie beiseite lassen und nur nach dem
Können und der Echtheit fragen, wenn wir versuchen, unbeteiligt nur zuzuschauen,
wie das Werk wird, und es vergleichend bewerten, können wir ihm vielleicht Ge-
rechtigkeit widerfahren lassen.
Aber zugleich erhebt sich eine neue Frage: Können wir überhaupt so unbeteiligt
sein, sind wir nur Betrachter, Zuschauer und Zuhörer, wo ein Mitmensch sich
äußert? Spricht er nicht für uns mit, spricht er nicht auch von uns, wenn er ganz
wahr ist und sein Schicksal bis an jenen Bereich heran, wo seine schöpferische Tätig-
 
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