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ihm aus Mitleid und weil man sich über die niedrigen Löhne wundert,
mehr zu zahlen, als er beansprucht. Aber man thut es sehr leicht
und der Chinese nimmt das Geld auch höflich hin. In Japan dagegen
wurden die Kulis fast immer unverschämt, sobald man ihnen — wie sie
wohl annahmen, aus Dummheit — mehr als die Taxe zahlte. Und
als ich dort aus Mitleid am Fuße eines höhern Berges meine Rickscha
verließ, damit der Kuli sie aus der in langen Serpentinen ansteigenden
Straße bequemer hinaufschleppen könne, während ich selbst mit ziem-
licher Not auf dem steilen Richtweg nach oben strebte, nahm der Kuli
den ganzen Wagen aus den Rücken und ging auch lachend den Richtweg.
Ueber die in China gebräuchlichen Löhne machte mir Herr Re-
gierungsbaumeister H. Hildebrand folgende Mitteilungen: Der Tage-
lohn eines Handlangers beträgt 30 bis 35 Pfennig, der eines Maurers,
Zimmermannes, Tischlers, Böttchers 40 Ps., eines Schmieds, Kupfer-
schmieds, Schlossers, Steinmetzeu etwa 50 Pf. Die Arbeitszeit geht vou
Sonnenaufgang bis Untergang mit etwa zwei Stunden Unterbrechung.
Die Handlanger sollen bei guter Anleitung und Aufsicht ungefähr eben-
soviel leisten können wie Europäer. Bei den Handwerkern bedarf es
einer 1 bis 2 Monate langer: Schulung, um sie soweit zu bringen, daß
sie etwa die Hälfte von dem fertig bringen, was der Europäer leistet.
Bei guter Behandlung und guter Bezahlung sollen sich tüchtige Schlosser,
Heizer, Lokomotivführer u. s. w. aus den Arbeitern bilden lassen.
Marr hat aus der Anspruchslosigkeit der Chinesen wohl den
Schluß gezogen, als ob China kein Bedürfnis für europäische Erzeug-
nisse habe. Das halte ich für durchaus falsch. Wenn man Städte
wie Singapur, Hongkong und Schanghai kennen lernt, sieht man sehr
bald, daß die Bedürfnislosigkeit sich in einen starken Hang zum Luxus
verwandelt, sobald der Bevölkerung nur die Gelegenheit geboten wird,
Geld zu erwerben und die Sicherheit geschaffen, es vor der Habgier
der Beamten zu bewahren. Daß der Geschmack der wohlhabender:
Chinesen vorläufig noch ein chinesischer ist, versteht sich bei der vollständiger:
Abgeschlossenheit des Landes von selbst. Aber mit dem Ausbau vor:
Eisenbahnen, mit der weiter zunehmenden Erschließung des Innern
werden auch die europäische Kultur und der europäische Geschmack in
China ebenso eindringen, wie sie es in der ganzen Welt gethan haben.
Für die Wohlfahrt der geringen Klassen kann der einzelne in
China kaum etwas thun. Von einem Bestreben der Regierung nach
dieser Richtung hin habe ich so gut wie nichts gehört. Dagegen wurde
an vielen Stellen darüber geklagt, daß die Beamten, weil sie selbst nur
4*
ihm aus Mitleid und weil man sich über die niedrigen Löhne wundert,
mehr zu zahlen, als er beansprucht. Aber man thut es sehr leicht
und der Chinese nimmt das Geld auch höflich hin. In Japan dagegen
wurden die Kulis fast immer unverschämt, sobald man ihnen — wie sie
wohl annahmen, aus Dummheit — mehr als die Taxe zahlte. Und
als ich dort aus Mitleid am Fuße eines höhern Berges meine Rickscha
verließ, damit der Kuli sie aus der in langen Serpentinen ansteigenden
Straße bequemer hinaufschleppen könne, während ich selbst mit ziem-
licher Not auf dem steilen Richtweg nach oben strebte, nahm der Kuli
den ganzen Wagen aus den Rücken und ging auch lachend den Richtweg.
Ueber die in China gebräuchlichen Löhne machte mir Herr Re-
gierungsbaumeister H. Hildebrand folgende Mitteilungen: Der Tage-
lohn eines Handlangers beträgt 30 bis 35 Pfennig, der eines Maurers,
Zimmermannes, Tischlers, Böttchers 40 Ps., eines Schmieds, Kupfer-
schmieds, Schlossers, Steinmetzeu etwa 50 Pf. Die Arbeitszeit geht vou
Sonnenaufgang bis Untergang mit etwa zwei Stunden Unterbrechung.
Die Handlanger sollen bei guter Anleitung und Aufsicht ungefähr eben-
soviel leisten können wie Europäer. Bei den Handwerkern bedarf es
einer 1 bis 2 Monate langer: Schulung, um sie soweit zu bringen, daß
sie etwa die Hälfte von dem fertig bringen, was der Europäer leistet.
Bei guter Behandlung und guter Bezahlung sollen sich tüchtige Schlosser,
Heizer, Lokomotivführer u. s. w. aus den Arbeitern bilden lassen.
Marr hat aus der Anspruchslosigkeit der Chinesen wohl den
Schluß gezogen, als ob China kein Bedürfnis für europäische Erzeug-
nisse habe. Das halte ich für durchaus falsch. Wenn man Städte
wie Singapur, Hongkong und Schanghai kennen lernt, sieht man sehr
bald, daß die Bedürfnislosigkeit sich in einen starken Hang zum Luxus
verwandelt, sobald der Bevölkerung nur die Gelegenheit geboten wird,
Geld zu erwerben und die Sicherheit geschaffen, es vor der Habgier
der Beamten zu bewahren. Daß der Geschmack der wohlhabender:
Chinesen vorläufig noch ein chinesischer ist, versteht sich bei der vollständiger:
Abgeschlossenheit des Landes von selbst. Aber mit dem Ausbau vor:
Eisenbahnen, mit der weiter zunehmenden Erschließung des Innern
werden auch die europäische Kultur und der europäische Geschmack in
China ebenso eindringen, wie sie es in der ganzen Welt gethan haben.
Für die Wohlfahrt der geringen Klassen kann der einzelne in
China kaum etwas thun. Von einem Bestreben der Regierung nach
dieser Richtung hin habe ich so gut wie nichts gehört. Dagegen wurde
an vielen Stellen darüber geklagt, daß die Beamten, weil sie selbst nur
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