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Zweiter Abschnitt. Die Technik der Nadelspitze.

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auf dem Wege der Wirkerei bedienten; die Baumwolle, die durch
Karawanen von Indien nach Vorderasien und dann nach Europa
gelangte, wo sie im io. Jahrhundert in Spanien kultiviert wurde: die
Seide, die um das 6. Jahrhundert nach Europa kam;) den Vorzug
der Dauerhaftigkeit. Die Faser ist lang und zähe. Kälte und Hitze,
Feuchtigkeit und Trockenheit schaden dem Leinenfaden weniger als
den anderen Fadenarten, Waschen und Bleichen machen ihn nur
weicher und weifser. Aus diesen Gründen eignet er sich besonders
zur Herstellung solcher Gewebe, die häufigem Gebrauche dienen. Da
er eine haltbare Färbung im Gegensatz zu den anderen Fäden nicht
leicht annahm, wurde der eigentliche Wert in der Weifse und der
Feinheit gesucht, die denn auch in den Zeiten, in welchen die Spitzen-
industrie in voller Blüte stand, den Höhepunkt erreichte.
Aus der Dauerhaftigkeit und Waschbarkeit der Leinwand erklärt
sich, dass sie von allen Stoffarten am meisten zur Verwendung kommt.
Hatten schon die Juden die Leinwand für würdig erachtet zu
Vorhängen des Allerheiligsten zu dienen, so verwendet später auch
die christliche Kirche das Sinnbild der Reinheit: die Leinwand und
zwar ausschliefslich bei den religiösen Handlungen. So müssen das
Tuch, das den Kelch berührt, das Tuch, das den Altar bedeckt, und
Teile des priesterlichen Gewandes aus Leinen gefertigt sein.
Dass gerade die Kirche die Leinwand in den Bereich ihrer
Ausstattung zog, hatte zur Folge, dass man bei dem einfachen, schmuck-
losen Stoff umsoweniger stehen blieb; denn frommer Sinn, arbeits-
frohe Hände, der Wunsch Gott zu dienen, indem man das Haus
Gottes schmückte, zierten Altar- und Kelchtücher auf allerlei Arten
aus. Bei der Verzierung des kirchlichen Leinenzeugs, bei dem die
Reinhaltung eine bedeutungsvolle Rolle spielte, wurde besonders Rück-
sicht darauf genommen, dass die Haltbarkeit der Verzierung jener
des Stoffes entspräche; so entfaltete sich naturgemäfs die weifse
Stickerei, welche den Ausgangspunkt zur Entwicklung der Nadelspitzen-
arbeit bilden sollte.
Lange bevor die Spitze in Anwendung war, bevor man im
Norden Europas mit der Herstellung der Leinendurchbrucharbeit
bekannt war, hat man bereits eine auf durchscheinende Wirkung
berechnete Stickerei geübt. Diese Stickereiart, ausgeführt mit weifsem
kräftigen Zwirn auf starker Leinwand, wurde vielfach für die sogenannten
Hungertücher verwendet, die zur Fastenzeit zur Trennung des Chores
 
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