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NS-Frauen-Warte: die einzige parteiamtliche Frauenzeitschrift — 4.1935-1936

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Heft 16
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https://doi.org/10.11588/diglit.26619#0627
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Don l.l)ri>iine ^olstein

Oie Tochter

Hpermann Oegner hal wohl hundertmal den Tag oerflucht, an
dem er sein ländliches 5lnwesen verkaufte und in die Grotzstadt
zog, um dort ein Geschäft anzufangen. Er wollte es zu etwas
bringen, aber er wurde bitter enttäuscht. Oie ländliche Zcholle
ist lebendig, stark und treu und nährt ihre ttinder, aber der Ksphalt
ist hart und tot, nur geschaffen, um darüber zu hasten und zu
rennen und in erbittertem Existenzkampfe dem andern den kkang
abzulaufen. hermann vegner war dem nicht gewachsen, sein
kleines Geschäft ging zugrunde. Nun lebte er mit den Leinen
in einer engen sonnenlosen wohnung in einem grotzstädtischen
hinterhaus und schlug sich mühsam durch.

Zeine Zrau aber stammte aus der Ztadt. Und als die oierzehn-
jährige Irmgard eines Tages aus der Lchule kam und bat: „5Ius
meiner Ulasse gehen vier Ulädel nach ihrer Ginsegnung ins Land-
jahr. 5lch bitte, latzt mich doch auch mit!" da seufzte sie schwer
und schaute fragend auf ihren INann.

hermann Oegner schaute sein Uind an. Gin hübsches, blondes
Ukädel war Irmgard. 5lber so blatz und lang und dünn aufge-
schossen.

„Latz unser Mädel ruhig ein Zahr aufs Land, Mutter", be-
stimmte er. „Ls wird ihr sehr gut tun."

Und so ging denn Irmgard mit einer Zchar andrer junger
Ulädchen ins Landjahr. Eine helferin holte die dreitzig Nlädel
ab. weit, weit fort kamen sie, in ein einsames vorf oben in
Gstpreutzen.

wie hat sich die Grotzstadtmutter um ihr Uind gesorgt, und was
wurde ihr alles zugetragen und erzählt! „venkt nur, die Ulädchen
müssen auf Ztrohsäcken schlafen und nur mit einer Vecke zugedeckt",
erzählte sie ganz entsetzt ihrem wann. hermann vegner lachte,
etwas wehmütig klang's. „Na, das ist doch nicht schlimm. Ich
habe als Iunge auch auf einem Ztrohsack geschlafen. Immer nach
der Grnte wurde er frisch gestopft, mit haferstroh, das roch so gut."
Lr atmete tief, als zöge er den heimatlichen Lrd- und Sonnen-
geruch ein. vann fiel sein Vlick auf die sonnenlose hinterhaus-
wohnung, und sein Gesicht erlosch.

Irmgard schrieb frische heitere Lriefe. Gs gefiel ihr gut.
„wir müssen tüchtig ran, aber das macht 5patz." Und sie er-
zählte von der Urbeit in haus, Uüche und Garten. wenn die
Mädel Uutzendienst hatten, wurden sie zur hilfe auf den be-
nachbarten Vauernhof geschickt. Irmgard konnte schon eine Uuh
melken und hatte sogar mit den anderen wädeln zusammen
ein Zuder heu geladen. 5ie schickte ein Bildchen mit. Oa stand
sie in einer Neihe mit den Uameradinnen, auf ihren Nechen
gestützt,- unter dem hellen Uopftuch lachten ihre Uugen den
Eltern entgegen.

ver vater hatte seine Zreude an dem frischen, hübschen Bilde,-
auch die wutter freute sich. „Uber", sagte sie, „einen Stich
hat es mir doch gegeben, datz sie so lustig aussieht — ohne
ihre wutti."

Vreiviertel Zahr waren die Mädchen auf dem Lande. Uurz
vor weihnachten kamen sie zurück. Zn dem Saal einer Schule
fand ein Lmpfangsabend statt. vie junge Zührerin, die die
Schar nach hause gebracht hatte, erzählte von dem Leben im
Landjahr und führte Lichtbilder vor. vann sangen die Mädchen
Lieder.

prächtig gesund und braungebrannt sahen sie alle aus. Sämt-
liche Eltern waren zu dem klbend erschienen. vater und INutter
vegner schauten voll glücklichen Stolzes auf ihr Nind. wie kräftig
und blühend war Zrmgard geworden, wie rund ihre bräunlichen
klrme, weichgerundet das früher so schmale eckige Gesichtchen.
Unter den blonden Zöpfen leuchteten die klugen in frischem
Glanze.

„Zch bin froh, datz ich sie wiederhabe", dachte die Mutter. Za,
nun würde sie wieder ihr Sonnenstrahl sein und ihnen das Leben
in der dunklen wohnung erhellen.

va trat die Zührerin zu den Lltern. 5ie erzählte ihnen, datz
Zrmgard sich hervorragend bewährt habe durch Zuverlässigkeit
und Lüchtigkeit. vas Zeug zu einem prächtigen INenschen stecke
in dem jungen wädchen. vie INutter lächelte glücklich. Uber nun
sagte die Zührerin noch etwas, das Zrau vegner erblassen lietz,
nämlich, datz sie eine sehr gute Stellung für Zrmgard habe aus
einem ostpreutzischen Gut zu drei Uindern. Ls sei eine vertrauens-
stellung. Zrmgard würde sich sehr wohl fühlen und könne viel
lernen.

vie Lltern schwiegen beide. Lndlich sagte der vater: „hast
du denn Lust dazu, Zrmgard?"

vas junge INädchen nickte. „voch, vater. Ls ist schön auf
dem Lande, und ich möchte gern zu Nindern gehen und viel
lernen..."

Lin leiser schmerzlicher Nuf der Mutter unterbrach sie.

„Zrmgard, kommst du denn nicht wieder gern nach hause zu-
rück? hast du denn deine wutti nicht mehr lieb?"

Lrschrocken und verlegen oerstummte Zrmgard. 5ie nahm die
gute 5telle auf dem ostpreutzischen Gute nicht an. 5ie war ein
gutes Nind und wollte ihre Ükutter nicht kränken. Überdies war
sie minderjährig und unterstand der Gewalt der Lltern, und der
vater war zu zermürbt, um ein Machtwort zu sprechen. Nun ging
sie in der grotzen 5tadt in eine Radiofabrik und drehte den ganzen
Tag wetalldrähte auf eine 5pule. vie wutter aber opferte sich
auf für ihr Nind. 5ie darbte sich den Bissen vom INunde ab,
um ihr Schinkenbrötchen und allerhand Leckereien zum Zrühstück
mitzugeben. 5ie wusch und plättete Zrmgards feine Nleider und
stopfte ihr die Strümpfe. Sonntags brachte sie ihr den Naffee
ans Lett.

klber Zrmgard wurde wieder blatz, der Glanz in ihren blauen
klugen erlosch. vie weitzbrötchen mit Schinken flötzten ihr wider-
willen ein. 6ch, wie sehnte sie sich nach einer kräftigen butter-
gestrichenen Schwarzbrotschnitte! wie hatte die immer so köstlich
geschmeckt nach der Zeldarbeit beim vesperkaffee am Zeldrain.
wit verächtlichem Llick streifte sie die städtischen Nleider. Rönnte
sie doch noch einmal in derben Leinenkleidern gehen und fest zu-
packen mit ihren händen. Ven Naffee, den ihr die wutter ans
Bett brachte, schob sie unwillig beiseite und dehnte die jungen
klrme und schaute sehnsüchtig durchs Zenster hinab in den sonnen-
losen hof. 5ie war wie ein gefangener vogel, den falsche Liebe
im Näfig hält.

ver vater schüttelte den Nopf. „Vas wädel patzt nicht in die
5tadt. vas liegt im 8lut. Vas hat sie von mir." Vie wutter stellte
sich taub auf dem Ghr.

klber dann pochte eines Lages das 5chicksal an die Tür in
Gestalt des Lriefträgers. Linen Vrief brachte er. welch einen
Brief! Linen örief von der Negierung. Und in dem Lriefe
stand, datz Zrmgard Vegner als ein besonders befähigter
junger INensch die klufmerksamkeit der leitenden 5tellen auf
sich gezogen habe und datz die Regierung beabsichtige, sie als
Landschulheim-Leiterin ausbilden zu lassen. kln dem und dem
Tage solle sie dort und dort als helferin eintreten. Zalls die
Lltern Linspruch erhöben, sollten sie matzgebende Gründe da-
für angeben ...

Uls die INutter dies las, da überwog doch der 5tolz auf die
junge Tochter. Ver vater aber ging still beiseite. Lin tiefes Gefühl
des Vankes mutzte er still mit sich abmachen. ves vankes, datz es
nun so war in veutschland, datz kein junger befähigter wensch
unterzugehen brauchte in der wasse, datz ein liebendes kluge über
dem jungen Nachwuchs wachte und die Tüchtigen herauszog und
an seinen platz stellte.

Zür ihn selber war nichts mehr zu hoffen. Lr war aufgerieben
und verbraucht von der Grotzstadt und mutzte nun schon so ver-
braucht werden. Nber sein schönes frisches Nind ging zurück aufs
Land in helle und Zukunft. 5o schloh sich der Ning.

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