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NS-Frauen-Warte: die einzige parteiamtliche Frauenzeitschrift — 4.1935-1936

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Heft 5
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https://doi.org/10.11588/diglit.26619#0202
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Von Illogda Ianssen

Line vergessene Heldin

beschichte aus der bro^vaterzeit

„Luische! Oen frischen Knzug zur 5chulprobe, schnell!"

Luische, das hausfaktotum bei Rektor Graumann in Frankfurt a. 717.,
das sämtliche Rinder von klein auf betreut hat, will eben ihre Zuschneide-
schere in ein Ztück chemdentuch einfahren lassen, als der I2jührige Irarl
mit diesem Knruf hereinstürint. Bedächtig richtet fie sich aus ihrer
gebückten Ltellung auf und fragt: „wat för' ne Schulprobe, min
bkarlche?"

„Nu, die binrichtung in Wesel von ds Schillsche Gffiziere", sagt Narlche
ungeduldig. Oa knallt die Schere zu Boden, Luischens rote Backen
sind blatz geworden.

„Kuffühern tun wir das", erklärt das Nind eifrig weiter, „und ich
habe zu sagen, datz alle Schillsche
Straßenräuber feien..."

„Ivat! Straßenräuber!" schreit
Luische erbost auf. Zast sieht's aus,
als wolle fie auf das Rind los.

„Unnerstei dich nich, dat zu feggsn!"
lvenn das Luische erregt ist, fällt
sie in ihr Ukecklenburger platt, und
die Zrankfurter Gören lachen sie
dann herzhaft aus. Uber heut hat
sie das Selbstgefühl des Schülers
stark verletzt, und er verklagt sie
bei seiner Nama. Oer geftrengen
Zrau Rskiorin sind Gewaltaus-
brüchs bei der langjährigen Oie-
nerin etwas Neues. Uberrascht
nimmt sie sie vor. Luische reckt
sich zur vollen höhe auf. „Un wenn
to mine Tid wir ook all dumme
Oirns wiren, Nadam, drum geiht
de Schill Schulzens Lowise doch wat
an, wenn sie ook keinem wat da-
von vertellt hat!' Zn würdigsr
haltung verlätzt sie das Zimmer,
und Zrau Nektor bleibt fassungslos
zurück.

Uls Narlche abends, gan; ersüllt
von den Erlebnissen des Nachmit-
tags, schlafen geht und Luische zu
ihm hereinkommt, sagt er: „INit
de Stratzeräuber hast du recht,

Luische. Oa habs die Zranzofe ge-
loge. Uber als Unkläger mutz ich
das im Stück so sage. Und sie sterbe
alls den chsldentod. Oa sinkt Luische
auf einen Stuhl und weint.

Oem Nnaben tut das weh. Bei
der heimkehr aus einer Gesell-
schaft finden dis Gltern ihn wach
im Bett und erfahren, datz Luische
sich wieder über den Schill aufge-
regt hat.

Nun lätzt herr Nektor das Luische kommen und fragt sie, woher
diese Unteilnahme stammt. Erst schweigt sie betreten, dann sagt sie:
„Us ik ein lütte Oirn was, da is Schill ümmsr bei uns in Nkeckelnbörg
durchmarschiert." „Und so hast du die heldenschwärmerei deiner
Zugendzeit mit herübergenommen", ergänzt Graumann leicht sarka-
stisch. „Nksrk dir's, Luischsn, wir haben jetzt andere klufgaben. Uuch
wollen wir mit solchen geschichtlichen Zeiern unsere Ninder nicht vom
praktischen Sinn des Lebens ablenken. Ulso weg mit diefen Nühr-
seligkeiten."

Um Eag der Uufführung rüstet sich Zamilie Graumann, der Schul-
feier beizuwohnen. Luische aber ist 'den ganzen Tag so unnatürlich
zerstreut, datz sie im Uleid der kleinen INargot den rechten Ürmel
in das linke klrmloch einnäht und mitten in die laute Nkitzbilligung
ihrer herrin mit der Bitte hineinplatzt, sie in die klufführung mitzu-
nehmen.

„wer soll denn hier das haus hüten?" Zrau Nektor ist ganz auf-
gebracht. „Ou machst mich noch ernstlich bös, Luische!" Und zu ihrem
Gatten sagt sie: „Zch habe sie immer für kreuzbrav gehalten und ein
kluge zugedrückt, wenn fie Sonntags ihren „Zugendfreund" besuchte.
klber diess plötzliche Theaterlust geht bei ihrem gesstzten kilter doch zu
weit. N)as sollen die Ninder davon denken?"

Zm Turnsaal der Zrankfurter „Nlusterschule" sind Lehrerschaft und
Stadtwürdenträger versammelt, auch einige ergraute Soldaten aus

den Zreiheitskriegen sitzen auf der zweiten Bankreihe und nicht weit
von Graumanns'der Religionslehrer der Schule, pastor Ulthaus, ein
langjähriger Zreund der Zamilie, dsr ihr vor zehn Zahren — Nkichaeli
1834 — d'as Luische, das bisher in seiner Landgemeinde Nranke pflegts,
als vertrauenswürdig warm empfahl.

Oas Schauspiel beginnt. vor dem zismlich fragwürdigen Papp-
hintergrund der Festung Stralsund nehmen Bonapartes Soldaten die
tapferen deutschen Zreischärler gefangen und führen sie in Netten nach
kvesel. kluf ihrem lveg werden sie von wohlwollenden Stadtbehörden
vergebens zur Zlucht ermuntert. Sogar der sranzösische Wachtsoldat
vergitzt über Nacht ihre handschellen zu schlietzen. Sie aber bleiben im

vertrauen auf Napoleons Grotzmut
da, und bützen es mit dem Tode,
unter dem einstimmigen Nuf:
„Oeutschiand hoch!"

Oie chandlung schlsppt ein ws-
nig. Oie helden sprechen mit hoch-
trabendem pathos, aber mit dün-
ner Zistelstimme. Linkisch stapfen
die kleinen Gffiziere über die
Lühne, und die Schüsse knallen
erst los, wenn die verurteilten auf
dem Boden liegen. klber die Rede
des verteidigers zündet lauten Bsi-
fall, in das hurra der helden fal-
len veteranen und Ninder begei-
stert ein, und den jungen Schau-
spielern wird allgemeines Lob zu-
teil. Langsam bahnt sich Zamilie
Graumann den klusgang durch die
allmählich leer werdenden Stuhl-
reihen. klber plötzlich erschrickt Zrau
Nektor. Zn der letzten Neihe sieht
sie zwei personen unbeweglich
sitzen, einen älteren Nlann in
schlechter Nleidung mit Stelzfutz
und einem klrmstumpf und neben
ihm, ganz aufgelöst in Träumerei,
mit glänzenden klugsn — Luische!
Ein zürnender klusruf der herrin
— und erschrocken schnellt die alte
Nlagd aus ihrer Traumwelt auf.
vor Ergriffenheit vergatz sie, sich
rechtzeitig fortzustehlen. Noch halb-
betäubt sieht sie das Unwetter na-
hen... da legt plöhlich pastor
Ülthaus seine hand auf ihre
Schulter. peiter ruft er dem Nek-
tor zu:

„Gut, datz von dsm Dpfermut des
früheren Geschlechts wieder ein
Nachhall in unsere allzu sichere
Bürgergeschäftigkeit gedrungen ist,
und datz wir vergsssene cheldsn hier begrützen dürfen!" Und als Grau-
manns in blanker verständnislosigkeit herüberstarren, setzt er hinzu:
„Oies ist die heldin von Oemmin, Rektor, wenn sie dir ein Vegriff ist —
und dieser hier", er deutet auf ihren Begleiter, „ein Uamerad von ihr,
den sie als Schwerverwundeten pflegte. Um das zu tun, verzichtete
sis für sich auf das Necht des freien klbzugs aus Ltralsund und kam in
französische Gefangenschaft, hier nach Zrankfurt. Napoleon lietz das
Nlädchen frei — nun stand sie mittellos in fremdsr Stadt. Ein Zufall
führte sie zu mir."

Verlegen schweigen Graumanns erst eine kveile. Oann sagt der
Nektor zögernd: „Oa dieser Stoff sich kaum für die Schule eignet, bin
ich hier nicht recht im Bilde..."

Oer pfarrer lächelt. „Vas Luische war keine Zungfrau von Grleans.
Sie hat nicht einen Zranzmann getötet. klber sie war zu ihrer Zeit
ein famoser INeldereiter, der Nlecklenburg von Vst nach lvest erkundete
und zugleich den nahendsn Zeind über Lchills Nlarschrichtung zu täu-
schen wutzte."

„Vies also ist dein Jugendfreund?" sagt jeht Zrau Nsktor zu Luische
mit auffallend sanfter Stimme. Oer Nrüppel erhebt sich bescheiden auf
seinem Stelzfutz. „Nlan blotz ein klrmenhäusler, absr mein Namerad,
Nladam", sagt Luische, „und allens in Ehren und Rschtschaffenheit."
„Zch weitz, Luische", sagt da dis Zrau beschämt und drückt dem treuen
Nlädchen fest die hand.

Von Eva Alr

Neulich hab lch dcm Gllrck geschen
Nlit leuchienden Augen am 2vege jlehen.

Es wnc eine gute alke Nlulter,
vie trug elne -Ychürze ool! Zlegenfutter,

Nnd über den ^chNrzenrand guckte heraus
Ein groher bunter Keldblumenstrauß.

Aus falt'gem Gesichte strahlten zwei Augen,
vie zum ckkachen sowohl als zum Lieben taugen,
Nnd, wenn eins kran? lsi, auch wohl Zum Alachen.
AIs ich sis sah, war'n sie grade beim -Lachen.

Es war, als fchaute ihr froher Vlick
Auf ein riisiigss lLagewer? zurück,

Aas sie mit gutem Nlute geschaffl,

Nnd daneben sich ein paar Alumen errasik.

-- Ia, so hab ich das Glück gesehen
Niit sirahlenden Augen am Alege siehen.

Tch schaute noch lange danach zurllck)
venn man sieht sa nicht alle Nage das Sllick.

Z
 
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