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NS-Frauen-Warte: die einzige parteiamtliche Frauenzeitschrift — 4.1935-1936

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Heft 11
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https://doi.org/10.11588/diglit.26619#0454
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Von Qlfred Hein

Die filberne Hochzeil

waren Menschen der Ztille, die seit Jahren das Lchulhaus
von Zriedgrund bewohnten. Jn ihren Gesichtern waren die Lip-
pen ein wenig zu fest verschlossen, und ihr Blick sog sofort nach
innen bis auf den Grund ihrer sanften Zeelen. Ltolze, gerade
Nasen, vorgewölbte Linniererstirnen hatten alle Liesegangs.

Und das niederschlesische Land mit der andächtigen Leisigkeit
seiner lviesen, die ein einsamer U)ald ähnlich der samtenen
Lraue hilde Liesegangs am horizont umwölbte, verdichtete das
Geruhsame, Reine und Lächelnde dieser gütigen Menschen. von
fern sah das kleine weitze Oorf aus leicht wie ein Zalter, der
blinkend im Grün sonnte.

hauptlehrer Liesegang sagte den Uindern, datz morgen keine
Zchule sei. Nur ein paar klatschten in die hände, manche lächelten,
die meisten lieszen nur die Uugen leuchten. Uuch im Ninderjubel
atmete die stille Landschaft hierzulande. Nls sie es zu hause mit
langsamen Worten ausplauderten, fragte kaum eine Nlutter
neugierig: Warum? „Na ja, scheen!", das war alles.

Nm Nachmittag kamen im Lchulhause die Zöhne aus der
Provinzialhauptstadt an^ auch darüber hätte man schwatzen
können: „wer weitz, was die haben?" Man sagte es nicht ge-
hässig, sogar mit einer leisen und doch zurückhaltenden Nkit-
freude, wie sie zu ibrer verschlossenen Nrt zu passen schien.

Es ist fast zu verwundern, man spricht doch unwillkürlich
davon; hier aber ahnte keiner im Oorfe, dasz Liesegangs morgen
Lilberhochzeit haben. Nein, von Zesten der Liebe und vom Glück
spricht man hier überhaupt nicht. Oas hegt jeder heilig für sich,
still vor sich hinlächelnd...

Oer Tag ist da, ein blinkgüldener herbstmorgen, von leisem
Nebelschleier überträumt. Oer hauptlehrer streicht sich erwachend
über die ergrauten Zchläfen und flüstert den Namen seiner
Zrau; sie schläft noch weiter. Er steht auf, geht in den Garten
und bricht drautzen Nster um Nster, ein Lied vor sich hinsummend.
Oer älteste 5ohn, der wie Oater und Bruder Lehrer ist, kommt
ihm entgegen. Oer hatte schon eine Ltunde lang im morgenden
Zeld gestanden. —

Oie Nlänner geben sich die hände. Ltumm ihr ganzes Glück
umschlietzend.

„Die Mutter schläft?"

„Ia." Und sie versinnen. .. Jhre Sedanken sind ganz einfach:
Oer liebe Gott ist gut. 5olch blauer heller Tag! Und wir lieben
uns alle so! Und wenn wir auch arm zu sein scheinen, wir sind
reich. Und die Nlutter-

vann treffen sich die Blicke, etwas trüb verschleiert,- beide
hirne stotzen auf denselben Gedanken: Gb t)ilde heute munter
sein wird? hilde liegt seit Jahr und Tag krank zu Lett; ihr Bein
ist wund und krank. . . Und es bleibt krank.

Oer tlrzt sagt Iahr für Jahr: „Warten. Es wird werden!"
tlber er spricht nur noch selten vor. . .

voch auch das Leid ist hier ohne theatralische Gebärde.

Einen tlugenblick sinken die häupter, dann rucken sie wieder
empor; und eben ruft auch der blondhaarigen Nlarthe helles
Lacksischstimmchen: „Naffee trinken!" Oer jüngere, lebhafterehans
tritt aus dem haus, den beiden entgegen: „vater, komm doch!"

tllle lachen sich zu.

tlm blumengeschmückten Naffeetisch wartet die Ntutter. Oie
Eltern küssen sich, die Söhne küssen die Nlutter, nun gehen alle
ans Bett der Nranken —, die lacht — und ihre vorsichtigen und
doch vielleicht Zchmerzen bereitenden Nüsse sind trotzdem voll
strahlenden Oankes.

Nlein Nlarthe und der jüngere Zohn wechseln geheimnisvolle
Llicke. . . Jetzt macht INarthe vor den Eltern einen Nnicks und
spricht ein paar einfache, stille verse unsagbarer Nindesliebe.

Nicht ein Wort hohlen Lobes^ die INutter streichelt nur leise
hans, der das Gedicht verfatzt hat, der vater das erglühende
Töchterchen.

Oen Nlorgen verträumen die Ltillen im Garten; die Nranke
darf im Zahrstuhl den milden herbsttag genietzen. Jhr Lchotz ist
voller Vlumen. vater, Nlutter, Geschwister — alle hatten ihr die
schönsten bringen wollen.

„Wir dachten es uns anders, vor 25 Jahren, sorgloser!" sagt
der dunkelblonde, schwarzäugige hauptlehrer jetzt (die äöhne und
hilde sind ihm ganz ähnlich), „und doch, es ist fast schöner ge-
worden, trotz allem —"

„Liebe hilft", mehr erwiderte seine noch immer blonde §rau
mit den grotzen blauen Nugen nicht.

vas kranke Nlädchen nickt. vie Löhne falten die hände.

Oie Bäume flüstern nur. Ztumm kreisen die vögel. Oas Oorf
ist still. Nur wenn die helle Nlarthe, die im hause schafft, dem
Zenster nahe komnrt, hört man ihr Lingvogelstimmchen trällern.

Es ist Nbend geworden. Noch stiller war der Tag vergangen
als alle andern. Oie Lampe singt. Oie Nlänner rauchen stumm.
Nlutter und Zchwester sitzen bei der Nranken. Nlanchmal fragen
sie sacht, ob hilde etwas wünsche.

Ietzt bittet sie: „§a, hans soll Geige spielen."

vie Töne wogen durch das trautdämmerige Zimmer mit den
alten, guten Nlöbeln und den verwitterten Bildern an der Wand.
Oie Gardinen schweben leis wie im Takt — sonst regt sich nichts.
Oie Nlenschen atmen kaum.

vas Lied findet kein Ende, denn das herz des Geigers ist über-
voll. Nlles an Glück gibt er mit diesem Lied, Worte waren zu
hart dafür. Und die Nlutter weint vor sich hin. 5ie fühlt sich

emporgehoben von diesen Nlängen-ach, sie breitet die Urme,

schlietzt die Uugen und lehnt sich wonnig gewiegt zurück. Ernst,
der Ülteste, erschauert... Oie Laiten verstummen.

Oer vater nickt lächelnd vor sich hin. Jmmer wieder nickt er . ..
vann schneuzt er sich, klopft laut die Pfeife aus. Oer Lann zerbricht.

Ernst geht auf die Nlutter zu, nimmt ihre hand, greift auch
nach der schmalen der Nranken: „Nluttel, als ich heut nachmittag
fort war, habe ich mich verlobt."

„Iunge?!"

„Nlit hanne heger!"

„Ia, ja, das ist gut; vater, hör' doch —nicht wahr, das ist gut!"

„5ie wird gleich kommen. Zie will um sieben Uhr kommen.
5ie mutz gleich da sein."

Oa tritt sie ein. Ein mildfein blasses Untlitz mit braunen Uugen,
von schwarzem haar umrahmt. Eine kleine Ltille kommt zu den
Ztillen. vie Lächelnde zu den Lächelnden. . .

Sie sagt sogleich: „Nutter!" Oenn nichts Zremdes fällt sie in
diesem hause an.

Uls es zum Ubendbrot geht, sitzt sie neben Ernst zu Tisch, als
sei es seit Iahren so üblich. Bis zum Gutenachtgrusz weilt sie
dann mit dem verlobten zusammen am Bett der Nranken, meist
still vor sich hinlächelnd.

Oer Nond scheintso schön ins Zimmer, datz man die Lampe löscht.

Und noch einmal ertönt die Geige aus dunklem Wmkel-

Glück umschwimmt, umschwebt, umschmiegt. . . Oie Liebenden
küssen sich. Oie Nranke lacht leis auf. Oie Nutter und die Iüngste
gehen zum Vater und lehnen sich an ihn.

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