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NS-Frauen-Warte: die einzige parteiamtliche Frauenzeitschrift — 4.1935-1936

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Heft 16
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https://doi.org/10.11588/diglit.26619#0634
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!)on Unnemarie Bechein

Die jiarke 3Butter

Vir hatten ihr schon in der Schule, von der wir alle mit der mittleren
Beife abyingen, den Veinamen „Oie starte lNutter" gegeben. lvie wir
dazu kamen, hätte kein einziges oon uns jungen vingern anzugeben
gewuht. venn sie war nur wenige Monate älter als wir selber. höchstens,
das; sie sich von unseren damals ziemlich albernen Torheiten fernhielt.
Nicht so, als ob sie eine Tigenbrötlerin gewesen wäre. Jm Gegenteil,
sie konnte sich stundenlang mit uns unterhalten über alles mögliche.
Und ich habe kaum noch einen anderen Ukenschen getroffen, der fremdem
Leid, fremder Ledrängnis mitempfindender gegenüberstand als sie.
Uur datz sie das nach autzen hin meist nicht zeigte. Ls stellte sich aber
oft hinterher heraus, dah sie uns in unseren damals noch recht kleinen
Nöten durch praktische Tat geholfen hatte. Und vielleicht aus diesem
Gefühl eines unbedingten vertrauens heraus, datz sich auf ihre Zuver-
läfsigkeit, ihre geschickte Beurteilung der vinge und Uuhe stützte, hatten
wir 15jährigen ihr vor Jahren den Beinamen gegeben. Ls war alles
stark, grotz, ruhig bei ihr, und ihre körperliche und seelische Uraft, die
sie um sich fast unbewutzt ausstrahlte, lietz es auch nicht verwunderlich
erscheinen, datz sie sich den Leruf der Ivohlfahrtspflegerin als Ziel
setzte.

Uls wir uns nach einer Ueihe von Jahren wiedersahen, erschien sie
mir noch gan; die gleiche wie in der Schulzeit. Uur datz jetzt noch mehr
mütterliche lvärme neben einem unbeugsamen lvillen von ihr aus-
strömte. Jhren ruhigen grauen Uugen entging nichts. Und als auf der
Stratze von allen anderen gan; unbemerkt ein win;ig Ulägdlein, wohl
von den Lltern angelernt, seinen ersten Übergriff auf eine fremde hand-
tasche unternahm, war sie die ein;ige, die es sah und die Uleine mit
festem, aber doch liebevollem Griff oon dem verbotenen lveg ;urück-
führte. Sie machte nicht viel lvorte. Uber ich glaube, datz das Ulägd-
lein, das plötzlich bitterlich beschämt das Uöpfchen senkte, diese lvorte
nicht so bald vergessen wird.

Später satz ich mit meiner früheren Schulkameradin bei einer Tasse
Uaffee ;usammen. Uuf meine Zrage er;ählte sie mir, datz sie von der
wohlfahrtspflege aus in den Veruf der Üriminalbeamtin übergegangen
sei. Jn diesem klugenblick erinnerte ich mich, datz wir sie alle in der
Schule „vie starke lUutter" genannt hatten. Und wirklich, ihre Lehr;eit
war genau so wenig leicht wie ihr Beruf, der Linsatz- und Dpferbereit-
schaft in jedem her;schlag forderte. Uber sie konnte ihm nachkommen,
weil sie körperlich, geistig und seelisch stark und ruhig war. Jhr weg
hatte sie über den Veruf der Uindergärtnerin und hortnerin, der ihr
die so;ialpädagogische Uusbildung gab, in die wohlfahrtspflege ge-
führt, und ;war in das Zach Jugendwohlfahrt. ver Linblick in die Not
der lUenschen, die sie nicht weich und verschwimmend machte, sondern
tatkräftig und blicksicher, lietz endlich den Lntschlutz in ihr reifen,

Uriminalbeamtin ;u werden, ein Leruf, der in Uöln ;ur Vesatzungs;eit
in klnlehnung an die englische weibliche poli;ei in veutschland entstand.
von den verschiedensten Stellen hatte man ihr abgeraten, da dieser
Leruf ein;ig mit den Schattenseiten des Lebens in Lerührung bringe.
lUan ;eichnete ihr die drei grotzen klufgabengebiete der Uriminalbeam-
tin, die sich bis ;um Uriminalrakemporarbeiten kann, in den schwär;esten
Zarben. Und man hatte mit diesen^Zarben vielleicht nicht gan; unrecht.
velikte an Zugendlichen und Zrauen, vernehmungen von Zrauen und
Uindern und die grohe klufgabe der Gefährdetenpoli;ei sind keine
Lebensgebiete, dem sich der grötzte Teil des weiblichen Geschlechtes ge-
wachsen fühlt. Nicht allein, dah ein unbedingt sicherer psgchologischer
Vlick da;u gehärt, ein Sichhineindenken in die verschiedensten vergehen,
es gehört auch eine ;um mindesten nach auhen hin robuste Seele für eine
Zrau da;u, all das Leid, diese Not und diese Velikte an den Llendsplätzen
der lUenschheit in sich auf;unehmen. klber meine Schulkameradin hatte
sich all diesem widersetzt. Sie wollte Nindern, Jugendlichen und Zrauen
in ihrer Not helfen und erreichte es wohl auch, denn durch irgendeinen
Zufall erfuhr ich, dah man sie überall dort, wo sie auftauchte, „Vie starke
lUutter" nannte. Sie war ihrem Veruf, den sie in starker, reifer Zraulich-
keit ausfüllte, wirklich gewachsen. Nach mehreren Zahren Tätigkeit in
der wohlfahrtspflege hatte sie sich endlich ;ur weiteren klusbildung
bei der staatlichen poli;eiverwaltung gemeldet und hatte dort einen neun-
monatigen Nursus durchgemacht, der daraus ab;ielte, bereits so;ial vor-
bereitete Zrauen für den praktischen Oienst des weiblichen Nriminav
beamten heran;ubilden. Ver Unterricht erfolgte theoretisch und praktisch
auf kriminal-poli;eilichem klrbeitsgebiet mit Berücksichtigung der be-
sonderen weiblichen klufgaben. Staats- und verwaltungskunde, Poli;ei-
rechtskunde, Nechtskunde, Strafpro;ehrecht, Nriminalpsgchologie standen
theoretisch neben den praktischen Lesuchen all der Drte, da menschliche
Not ins verbrechen wächst, ein prüfstein für den Streifendienst später
im Veruf, der eine volle körperliche Tauglichkeit voraussetzt. Line prü-
fung vor der poli;eiverwaltung schloh diesen Lehrgang ab.

lNeine Schulkameradin hatte nicht viel worte gemacht. Sie reihte die
Tatsachen fast nüchtern aneinander. klber ;wischen ihren worten klang
ihr volles verantwortungsgefühl hindurch, das sie täglich daran er-
innerte, dah ihr Beruf wie so leicht kein ;weiter über Glück oder Unglück
eines Menschen entschied. wir reichten uns die hände ;um Nbschied.
Zch sah ihr lange nach, wie sie so dahinschritt, ruhig, völlig unauffällig,
in haltung und Gebärde nichts von jener klbenteurerlust, die so manches
lNädchen in den Leruf der Üriminalbeamtin treibt, sondern ein offenes
Bekennen ;u starkem Zrauentum, das sich im lNütterlichen erschlieht,
kraftvoll und tatkräftig. Und wie kaum ein anderes lNal erschien sie
mir in diesem klugenblick als „vie starke lNutter".

Menschenwenöe

Roman von Margarete Kurlbaum-Sieber

>2 Zortseyimg.

5ie konnte nichts anrühren, und wenn die Zrage nach ihm ihre Seele
bis ;um Zerfall ;erfrah.

klch, es war gut, dah er nicht mehr schrieb.

Nam er, so mochte ein schwieriges Leben angehen. was für eins?
klusdenken konnte es sich niemand.

Sie mutzte nachträglich über ihren Linfall lächeln, aus seinem
Schreibtisch kiufschlüsse über ihn ;u erwarten. Zmmerhin hatte er trotz
aller hast des klufbruchs vor dem klusmarsch doch noch Zeit gehabt,
um im Gröbsten Drdnung ;u machen. Lr hatte ihr ausdrücklich
seine Schlüssel gegeben. Sein Schreibtisch konnte ihr keine klntwort
bringen.

klber sie hatte seine Vücher. Sie war in kll;e, in seiner heimat ge-
wesen. vie Menschen, die ihn er;ogen hatten, die ihn so sehr liebten,
hatten sie aufgenommen. Sie hatte sein Nind.

Nam er nicht, weil er so furchtbar bitter grollte, dah sie trotz seines
Gegenwunsches bei fteinrich Thiel arbeitete?

Lr sieht sein Nind nicht. Lr ist auch nicht gekommen, als ich todkrank
mar. Ls hätte mich aufregen können, schrieb er damals.

Gewih, er hat die schreckliche innere Unruhe. klber wenn er will,
so kann er ;um Zürchten beherrscht und ;usammengenommen sein.

peitscht er die wilden pferde seines Seins vor allem im Traum?
Und war einst ich sein hauptsächlicher Traum?

Sie sah sein Bild an, die schöne Photoaraphie, die in Nl;e auf Lerthas
Schreibtisch stand und von der sie sich einen klb;ug hatte kommen lassen.
Sie stand eingerahmt dicht vor ihr. Sie rückte sie ;urecht, nahm sie
;wischen die k)ände. So sah er heute nicht mehr aus, so jung, so froh-
sicher, so gutmütig und doch so spottlustig. So unbekümmert lächelte
er nicht mehr.

hatte sie die her;enswunder und Liebes;auber, die es für die andern
Nlenschen auf der Melt gab, verscher;t, weil sie ihn damals nicht liebte?
Sie stand auf und ging in das Schlaf;immer der kleinen Tochter. Sie
schlotz leise die offne Tür ;u Lilis Zimmer nebenan, drehte das be-
schattete Licht auf. Sie kniete am Bett des Nindchens. Ls lag auf der
Seite, die Zäustchen an Ninn und Wange gepreht,- es atmete leise tief.
Sie liebte es namenlos.

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