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NS-Frauen-Warte: die einzige parteiamtliche Frauenzeitschrift — 4.1935-1936

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Heft 24
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https://doi.org/10.11588/diglit.26619#0951
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3's'AU lin (Lrlebnisbücher) bon Irmgard von ruclltzat)n

5. Aortl'etzung.

V. 5lbirien

Hberall auf der Lrde, besonders natürlich in den feindlichen Staaten,
ist von Oeutschen ein Märthrium erduldet, sind von Oeutschen namen-
lose Liege erkämpft worden. Lrkämpft in „den .hmterhöfen' des
Urieges — auf denen ohne Krontbericht gestorben wurde" (Owinger).
Lrkämpft ohne wafsen nur durch den Mut der Seele. Oiese Siege
bedeuteten: Glauben und Menschentum bewahren vor dem Zugriff
verwirrender haltlosigkeit, unheilbarer verzweiflung, völliger Lelbst-
aufgabe. Oies bittere Kingen hatte die „Krmee hinter Ztacheldraht",
wo immer sie gefangen gehalten wurde, ;u bestehen. vichterische und
gültige varstellung hat es in Ldwin Lrich Owingers Trilogie: „Oie
deutsche passion" und in hans Grimms: „Dlsucher oon vuala" erfahren.

während des ttrieges wuhten nur wenige in der heimat um die
Zurchtbarkeit des Gefangenenloses, das oor allem in Uutzland und
Libirien ein unausdenkliches Mah von Leiden einschlotz. Mit letztem
persönlichen Linsatz begann dort Llsa Lrändström im winter 1914
ihr werk der hilfe. Im Spätsommer 1915 durften auch drei deutsche
Zchwestern, Magdalene oon walsleben, Gräfin Üxküll, Lrica von passow
mit dänischen Oelegierten Gefangenenlager im Russischen Neich be-
suchen, während russische Zchwestern gleichen Oienst in Oeutschland taten.

vie Kufzeichnungen Schwester Magdalene v. walslebens von
dieser kleise: „Oie deutsche Schwester in Sibirien" (käufl. b. d.
verf. Kreifrau v. Steinaecker, Lerlin O., wallnertheaterstr. 54. M71. 1,50)
sind schon 1919 erschienen — trauriges Zeichen damaliger verwirrung,
datz sie bei ihrem Lrscheinen nicht aufrüttelnde Leachtung erfuhren!
Venn ;u jener Zeit lebten noch deutsche Soldaten in den furchtbaren
verhältnissen, die das Luch auf;eigt. Ls ist überhaupt ein sehr ge-
wissenhafter Lericht über die Zustände in den vielen Gefangenenlagern,
durch die Schwester INagdalene, unter hintansetzung jeder eigenen Scho-
nung, fuhr. Klle Lücher über Sibirien schildern ja gleiches Llend: Fenster-
lose Laracken, pritschen ohne Oecken und Stroh, Ounkelarrest, hunger,
eine in Veutschland unvorstellbare Nälte, Unge;iefer, Uachrichtenlosigkeit,
Seuchen und hilfloses Sterben. wieviel Schwester Magdalenes Vesuch den
Gefangenen bedeutet hat, ;eigt die Tagebucheintragung des österrei-
chischen 5lr;tes Or. Lurghard Vreitner. Jn seinem —eine Lrgän;ung
;u Owingers Büchern gebenden — „Sibirien, unverwundet gefangen",
steht unter dem 16. Uoo. 1915 (Lager Nikolsk-Ussurisk): „Lesuch der
deutschen Schwester und des dänischen Vbersten Uleier. Lin wunder-
barer Tag für unsere Uranken. Lin Uufblühen. Oie Schwester hat ihre
Urbeit mit staunenswerter Sicherheit und auserlesenem Takt erfüllt."

ver ersten folgten nun weitere von mehreren Lchwestern ausge-
führte Ueisen. Nie soll es ihnen vergessen werden, datz sie in das namen-
lose Llend unserer Gefangenen eine tapfere und stille Zrauenfreund-
lichkeit getragen haben. vatz sie, die wenigen, für hunderttausende
von deutschen Ulüttern und Krauen in Uutzland standen, sie oertraten
für kur;e Stunden, Grütze brachten und empfingen, hilfe und Liebe
schenkten. Lrica von passow ist gleich vielen Soldaten in Uutzland
(1919) verschollen, Llla von Schack, die jüngste der Schwestern, starb
1924 an dem Leiden, datz sie sich während des Oienstes ;uge;ogen hatte.

Schwester Unne-Ularie wen;el hat in dem Buch: „Oeutsche
Uraft in Zesseln — Zünf Jahre deutscher Schwesterndienst in 5i-
birien 1916—1.921" (Lrnte verlag, potsdam. UU1. 3,—) von ihren drei
russischen Ueisen berichtet. völliger Unspruchslosigkeit und widerstands-
fähigkeit bedarf es, um tagelange Zahrten in langsamen Zügen, primitiven
Oampfern und schüttelnden Troiken auf fürchterlichen wegen durch;u-
halten. Überlegenheit und Ulut werden dauernd erprobt. „Ungst habe
ich niemals" (5. 58). Lin gutes Gedächtnis ist erforderlich, denn die
heimataufträge müssen vor den Lagerbesuchen auswendig gelernt wer-
den, da der Ürgwohn russischer Lehörden beschriebenem Papier gilt.

vie erste Ueise führt in den Ural. Oort erlebt Schwester wen;el
die Uot und das heldentum der Gefangenen: „Sie gehen durch körper-
liche und seelische Nöte, die ich nur entfernt ahne. Ihre haltung ist stol;
und dis;ipliniert. wie klein fühle ich mich diesem Leid gegenüber —"
(S. 54). Sie hört von prügelstrafe und kjunger, von Seuche und Tod:
„wie starb er? ,Umgekommen wie die andern', sagten die Uameraden.
haltloses weinen überfällt mich, die Uussen stehen schweigend. Jch reitze
mich ;usammen. Jch darf nicht nachgeben, ich mutz vorwärts, die knappe
Zeit für die Lebenden ausnutzen" (S. 24). Und sie hat diese Zeit ge-
nutzt! Uberall vexsucht sie, autzer den erlaubten und bewachten 8e-
suchen heimlich mit Zivil- und Uriegsgefangenen ;usammen;ukommen,
ihnen Geld ;u;ustecken, sie auf;urichten, ihnen Liebes ;u erweisen.

Oie ;weite Ueise nach dem Lrest-Litowsker Zrieden-geht wieder in
den Ural. Oiesmal um die dortigen Gefangenen ;um verlassen ihrer
Urbeitsstätten ;u bewegen, ehe die weitze Urmee vorrückt. „Ltwa 800
reichsdeutsche Uriegsgefangene habe ich in diesen Tagen auf den
heimweg gebracht" (S. 62). Vann wird Schwester wen;el von Tschechen
gefangen. Zn Gmsk, „dem Sammelort für gefangengesetzte Uote-Ureu;-
Üommissionen", trifft sie ihre Uameradinnen. Sie leben in waggons
und Baracken. Line furchtbare Zeit wird von allen durchlitten. vor
ihren Zenstern werden 12 Zluchtoerdächtige erschossen, Zlecktgphus
bricht aus, die Toten werden „wie hol;scheite in einen Schuppen ge-
bracht, aufgestapelt " „Ourch das vorbild der herren, die alle alte
plenngs Uriegsgefangene sind, lernen wir Zrauen das Schwere
ertragen" (S. 68). Llsa Lrändström erreicht schlietzlich die Zreilassung
der Uommissionen wie denn ja oon Llsa Lrändströms Linsatz in fast
jedem Sibirienbuche ;u lesen steht! Uber Umerika kehren die veutschen
heim. Zmmer noch wissen sie Tausende oon Gefangenen in Sibirien.

Um für ihren Uücktransport mit ;u sorgen, macht 5lnne-U!arie
wen;el sich im Zanuar 1920 ;um drittenmal auf. hilft und tröstet in
Tschita, von wo der heimtransport nach wochenlangem Wartcn be-
ginnt. Überall begegnet die Schwester dem helfenden Linsatz Oeutscher.
Sei es durch die Liebesgaben, die Zrau von hanneken in Lhina
unermüdlich sammelte (Tientsiner hilfsaktion), sei es in der persön-
lichkeit I>. Breitners, „dessen segensreiche Tätigkeit" bekannt war,
sei es in der Tschitaer Uommission, bestehend aus drei Oeutschen,
„die ihre eigene heimkehr aufschoben, um den heimtransport der
Uameraden ;u beenden". Zm Ulär; 1921 schifft Schwester 5lnne-Ularie
wen;el sich mit heimkehrern ein — „was wir gelitten in Unechtschaft
und Zremde Uraft erwuchs uns daraus ;um Segen der heimat!"

Ls ist ein Luch tapfersten deutschen Zraueneinsatzes.

Oieses Linsatzes wird auch im „Llsa-Brändström-Oank" (verlag
Lruno Lecker, Lilenburg. UU1. 3,50) gedacht, der eine wunderoolle
Lrgän;ung des Luches Llsa Brändströms: „Unter Uriegsgefan-
genen in Uutzland und Sibirien" (verlag Uoehler L 5lmelang,
Leip;ig. UU1. 2,85) bedeutet. 5Ius dem „Oank" erfahren wir Uäheres
von der grotzen 5luswirkung ihres werkes, von ihren in veutschland
nach dem Uriege errichteten Ürbeitssanatorien für heimkehrer, oon
ihrem heim für die Uinder in Gefangenschaft Gestorbener. plenngs
er;ählen hier dankbar und ehrfürchtig oon Llsa Lrändström. partei-
genosse 100, Walter Ulinkmüller, beschreibt seine „Begegnung, die keine
war". Lr, der Zliehende, weitz sich mit ihr in der gleichen Ltadt. hilfe
möchte er von der immer Lereiten erbitten — „Nein - es geht nicht!
wird es entdeckt, ist sie in Lebensgefahr — ihr Lebenswerk ist ver-
nichtet und hunderttausende von Üameraden müssen oerderben.
Lieber sterben und verderben als Llsa Lrändström in Gefahr bringen
und damit ihr werk oernichten!" viese wenigen Sätze ;eugen daoon,
wie geliebt und verehrt die Zrau wurde, die von den Ulännern, denen
sie;u helfen versuchte, den Uamen „der Lngel oon Sibirien" erhielt.
Oiese Liebe und Bewunderung klingt durch die hölle russischer und
sibirischer Gefangenenlager wie ein fast heiliger Ton.

Zn ihrem Luche schreibt Llsa Lrändström von sich kein Wort, nichts
von der gefährlichen Zlecktgphuserkrankung 1915, der sie beinahe ;um
Dpfer fiel, nichts von ihrer Gefangenschaft 1918 bei den Tschechen,
die sie mit Lrschietzung bedrohten. Unerwähnt lätzt sie ihre 5trapa;en,
ihre Unermüdlichkeit, ihre unerhörte Lereitschaft. Vavon gibt das Luch
des vankes Uunde. Llsa Lrändström selbst legt nur ernst, schwer und
nüchtern, wie in einer gewissenhaften Lhronik das gan;e Llend der
Gefangenschaft nieder. Und doch fühlt man eine Leidenschaft brennen
in ihren Verichten, die beherrschte hohe Leidenschaft des Linsatzes für
die namenlos Leidenden. Und der ungeheure wille wird spürbar, der
durch 5^/2 Zahre standhält allem Grauen, weil das verantwortungs-
bewutztsein ;um grötzten 51usmatz gesteigert ist.

Llsa Lrändström lätzt in ihrem Luche immer wieder die Bewunderung
aufklingen für die haltung, die sie an Gefangenen erlebte. „wieviel
Ubermenschlichem begegnete man nicht auf Schritt und Tritt." 5Iber auch
ihr Tun war übermenschlich! vielleicht, datz ihr heilendes wirken in
diesem Znferno des Leids einmal nach Zahrhunderten ;ur Sage wird.

heute flammt Oank empor bei dem wissen: Zhre Seele und ihre hände,
ihr wille und ihre Tat haben deutschen Soldaten mutigen vienst und
höchste hilfe erwiesen in Ounkelheit und ver;weiflung, im Leben und
über den Tod hinaus. 5Inne-U1arie wen;els wort aber umfatzt ein ver-
sprechen, das der beste und bleibendste vank für Llsa Lrändström, dem
Lngel Sibiriens, ist: „Zhre hingabe wird uns ;um leuchtenden vorbild."

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