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NS-Frauen-Warte: die einzige parteiamtliche Frauenzeitschrift — 10.1941-1942

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Heft 16
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https://doi.org/10.11588/diglit.2783#0320
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ichienentn Lannen aurströmten, in vollen Zügen geatmet, .wenn ich hier so
steh« und den wald und die Serge und dar Lal da unten anschaue und den
blauen himme! darüber und di« 5onn«, dann wird mir immer gewisser, dah
wir auch nur ein lleil dieser grohen Natur sind, heraurgewachsen aur ihr zwar,
aber immer noch verbunden mit ihr, Siehst du, und wenn er in der Natur hier
kein Sterben gibt, wenn aller in ihr nur ein« ewige wandlung ist, eine immer
neue wiedertehr, wie können wir Menschen da oom Tod reden oder uns gar
oorm Sterben fürchten? Nein, chisa, «r gibt kein Ende, niemalr! wir, wir leben
in unseren Kindern fort, di« sind unsere Lwigkeit!" Sie hatte ihm schweigend
zugehört und sich dichter an ihn gelehnt, „Siehst du, Lisa, dar muhte ich dir
«inmal sagen, du weiht ja, wir leben im Nrieg und ,, , vu oerstehst mich schon!"
hatt« er sich selbst unterbrechend gesagt, war oor sie hingetreten und hatte sie
an sich gezogen.

.verhalb, Lisa, lieb« ich Gstern, weil er üar Zest des Zrühlingr ist, weil
er mit jedem vogellied, mit jeüer Xnospe das Leben preüigt, dar nicht
umzubringen ist!" Und dann hatte er Lärbel aus ihrem wagen genommen,
hatt« sie mit «inem hellen Zodler hoch über seinen Uopf emporgeschwungen
und gerufen: ,Und da; hier, Gisa, dar ist auch so «in Stück neuer Leben,
Leben oon uns, Gisa!" Und dann war er — die hell aufjuchzende Särbel
auf seinen Schultern — davongestürmt, den Zungen nach,, ,, Zm dich-
ten Tannengestrüpp hatt« si« dann dar Nest gefunden, in dem Lerharü als
Dsterhase zwischen den Nindern gehockt, ,Va hast du ein ganzer Nest ooll Dster-
eier", hatte er schmunzelnd gemeint, und sie hatten alle dazu geschrien und
gelacht,

Zrau Lisa schlieht die Nugen, schmerzhast faft blendet üie Dstersonne, Vie
Stunden, denkt sie, di« ich mit Gerhard unü den Nindern oerlebt, üie kann
mir niemand mehr nehmen. Und im nächsten Nugenblick schon erschrickt sie
oor ihren dummen Ledanken und senkt den ttopf in stiller Scham. wenn
Gerhard wühte...!

va «rklingt ein lauter Zubelschrei. vie beiüen Zungen stürmen den Serg
herauf, „INuttel, Muttel!" schreien sie atemlor. werner schwenkt einen
Srief in der hand: ,va, «in örief vom vater!" Ungläubig starrt üie
Nlutter den Zungen an, sie kann e; so schnell nicht degreifen! voch dann
streckt sie rasch die hand nach üem örief aur und üoerfliegt mit einem
Slick di« geliebten Schriftzüge, Nlle die dummen Sedanken sind mit einem
Schlage verflogen.

Nasch wischt si« mit üem handrücken die Tropfen weg, üie sich in ihre Nugen
stehlen, Li« muh den Nindern vorlesen, was der vater schreibt: „Nun ist e;
wieder Gstern bei Tuch daheim, wenn Tuch mein örief erreicht, wiht Zhr
noch, wie wir oergangene Dstern gesungen haben und wie wir den öerg
hinabmarschiert sind.,," „vie Dsterblumen blühen und das vergihmein-
nicht", singt er wieder in Zrau Lisas Srust. Db wohl üie öärbel jetzt auch
schon mitmarschieren kann mit ihren kurzen öeinchen? öärbel schüttelt ent-
rüstet üen Nopf, sie stteckt ihre öeine aur, und dann stampst sie lor und kräht:
„So doll kann öärbel!" wie ein Soldot im paradeschritt marschiert si« den
öerg hinab. va bleibt der Nlutter und den beiden Grohen nichtr anderer
übrig, sie müssen hinter ihr drein. Und wieder erklingt dadei das Dsterlied,
das Lieblingrlied des vaters,

So schmetternü klingt es über die öerge hin, dah die vrossel, die auf der Spitze
der alten Zichten flötend sitzt, erschrocken schweigt und herunteräugt und einen
Nugenblick überlegt, ob si« wegfliegen oder bleiben soll, voch dann entschlieht
si« sich, sich nicht stören ;u lassen, unü nimmt ibr Lied wieder auf, Und mit
den ttindern um die wette jubelt sie ihr Zrühlinarlied in den Gstermorgen
hinaus .., Zrau Gisas herz hämmert in schnellen, frohen Lchlägen, „Siehst dv,
Gisa", hört sie auf einmal Lerhards Stimme neben sich, „hab' ich nicht recht?
Dstern, das ist die Lonne, dar ist üas lachende Leben, das immer wieder sieg-
hast ist, trotz alledem!,.." „Sein Dstergeschenk!" denkt sie und schwentt stöhlich
den örief in der Dstersonn«. E, Nk, öaorr

XVAS §oU unsere suoenxL lesen.2

A m Nnfang der geistigen Nrbeit des kleinen Nindes steht da; Silderbuch, Nm
öilüe können sich vorstellungen entwickeln und festigen, üas begleitende wort
vermittelt erst den öegrist — nicht ost genug kann di« Mutter die verse wieder-
holen, bis üas Nind sie seinem Gedächtnis eingeprägt hat, So entsteht gan;
allmählich di« Srundlage des weltbildes, das e; einmal sein «igen nennen soll.
Muh darum nicht üas öilderbuch oon allergröhter öedeutung für die geistig«
Tntwicklung unserer Nindei sein? wenn wir wissen wollen, wie es beschaffen
sein soll, brauchen wir nur zu stagen: wie sieht die welt üe; Ninde; au; — klar,
einfach, unkompliziert, und sein erste; Such muh dem entsprechen, damit e; die
geistige Nrast de; kleinen Menschen bewältiaen kann. Nlare Linien, einfache,
rrästige Zarben, bunt, aber nicht schreiend. ttn üer guten volkskunst — denken
wir nur an Trachten, Stickereien, öauernmöbel — haben wir da den besten
Mahstab. Terte, die nicht belanglo; und läppisch sind, wie leider allzuost, son-
dern bei aller Schlichtheit sprachlich gut, die oor allem, und sei es noch so wenig,
zur Trziehung de; kleinen wesen; ein Stücklein beittagen. va; Luch, das
alle dies« Tigenschaften in gan; besonders reichem Mahe oereint, der Struwwel-
peter, hat sich nicht umsonst solang« «rhalten! vorbildliches für da; Nind haben
auch die Meister d«; Siedermeier — Ludwig Nichter, Schwind, pocci, hose-
mann, Speckter — geschaffen, Zn ihren schlichten holzschnitten, die noch jetzt
das tlinderher; ersteuen, stecken doch wohl jene Tlemente, di« die Lrundlage
alle; volksmäßigen und Nindertümlichen ausmachen. Zn den „Münchner öil-
derdogen", die schon unsere Tltern unü Lroheltern entzückten, ist -as am schön-
sten zum Nurdruck gekommen. Zn jüngster Zeit haben wir in der öeziehung den
öildbändchen der Znselbücherei oiel zu verdanken: der ursprüngliche Struwwel-
peter, die Zabeln oon Heg-Speckter, Ludwig Nichter, öusch — aber auch Märchen,
von modernen iiünstlern illustriert sso ,, ö, harwerth, hans im Slück) sind bei
bescheidenstem preis« ideal« öüchlein für da; iiind, Nuch unter den in erster
Lini« für grohe Leute gedachten öändchen — ölumenbuch, tiräuterbuch, pilz-
buch, kl, öuch der vögel und Nester) sind ttotz ihre; sachlichen Lharakters auch
für tlinüer eine Duelle unerschöpflichen vergnügens und reicher Nnregung,
natürlich oor allem, wenn die Mutter sie mit ihnen anschaut. liinder sollten >a
eigentlich immer beim öildbetrachten geleitet werüen, oor allem in unserer
augenfaulen Zeit, die so stark zur Gderflächlichkeit oerführt,

Nuch die «rste Märchenlektüre sollt« von Mutter (oder einem reiferen Men-
schen, es kann auch ein Sltere; Lchwesterlein sein) und iiind gemeinsam be-
ttieben werden. Oas iiind liebt Märchen aus seiner Natur heraus, Lebloses
und Lebendige; ist ja auch ihm dasselbe, di« naturnahe Märchenwelt ift noch
die seine. Nber nicht für jede; ikind ist jede; Märchen geeignet — und Searbei-
tungen unserer schönen alten volksmärchen müssen wir durchaus ablehnen. var
Märchen ist eine lebendige Urkunde d«; volksgeistes, e; stammt au; den Tiefen
der deutschen Seel«, und ihr« schönsten Lüter werden darin dem tlinde näher-
gebracht, va soll man nicht „reinigen" oder „belchneiden", sondern den liin-
dern höchstens oorenthalten, wa; si« noch nicht verstehen,
va; gilt für alles Lesen üer Zugend, Vas wort, dah für „die Zugenü dos öeste
aerade gut genug sei", ift oielfach falsch verstanüen worüen, vas Seste ihr geben
bedeutet ost — wir all« werden da; aus Trfahrung wissen — ihr für spater den
Zugang dafür zu oersperren, Zch habe den qanzen Schiller mit 1Z Zahren ge-
lesen, unü s; dauerte sehr, sehr lange Zeit, bis ich wieder zu ihm fand. Ls ist
besser, man lätzt di« Zungens, denen die ganze welt «in einzige; groh«; Nben-
teuer ist, iiarl Mau lesen, al; dah man sie gewaltsam zur „grohen" Literatur
hinzuführen sucht. Ubrigen; ist irarl Mag, der oiel verfemte, zartlich geliebte
tdessen Geburtstag sich am 25, Zebruar zum IlX). Mal« jährt), «in öeispiel da-
für, wie ttotz aller Unterdrückung etwas, wa; irgenüwie Zuqend und volk ;u

herzen spricht, doch am Leben bleibt — wie Loethe sagt, „was 20 Zahre sich
HSlt unü die Neigung des volkes hat, muh doch etwas sein". Nach meinen Tr-
fahrungen in Zugend- und volksbüchereien ist Mag, was man auch gegen ihn
in; Zeld führen mag, jebenfalls durch keinen anderen verfasser auf die vauer
ganz zu «rsetzen und seine Lettüre mehr al; alle; andere geeignet, junge Men-
chen vom Lesen der Schundhestchen abzulenken, ver held ferner LSnder wird
a mit der Trweiterung des weltbildes und dem damit verbundenen vrang in
n« Zerne, der in einem bestimmten Nlter bei unseren Zungen immer einttitt,
oor allem in der Grohstadt sehnsüchtig begehrt werden, Nennt doch ihre Tnge
kaum mehr die Zreiheit des auf sich gestellten Mannes, seine immer wach«
öereitschaft zu Taten und Gpfern, die der junge Mensch oor allem in den
Leschichten oon Nbenteuern in stemden Ländern und Meeren, ja auch im
Nriegserlebnisbuch sucht, Leider wird gerade das nicht selten nur unter
dem Nonjunkturgesichtspunkt geschrieben, und e; ist bei der ungeheuren Zülle
üe; Nngebotenen nicht leicht, die Spreu vom weizen ^u sondern, Nuch
hier gilt wie bei jeder vichtung, dah eine rohe Nnhaufung des Stoff-
lichen unü Sensationellen das schlechte öuch kennzeichnet — je mehr in
Lefahr und Not des Nbenteuers Üer lebenüige Mensch zutag« ttitt, um so
wertvoller wird das öuch sein,

va; Problem des Mädchenbuches ist das schwierigfte und umstrittenste in der
gesamten Zugendliteratur, Zehn guten Zungenbüchern steht eins für MSdel
gegenüber. wohl können und sollen die Geschlechter im allgemeinen ein guter
öuch mit gleicher Zreude lesen, Nndrerseits steht aber auch fest, dah in einem
bestimmten Nlter die Neigungen oon Zungen und Mädel oerschiedene wege
gehen, was sich auch in den Lesewünschen auswirtt. viesem Umstanü oerdantten
wir die Unzahl sentimentaler, lebensunwahrer sog, „öackfischgeschichten" — deren
Gberflächlichkeit und Gefühlsseligkeit leider auch noch bisweilen im heutigen
Mädchenschrifttum herumsputt — nur üie Umwelt der „helüin" ist den heutigen
Lebensformen entsprechend veränüert. Und gerade das Mädel unserer Zeit, oon
dem so viel mehr gefordert wird als stüher, hat kästige geistige Nost, di« Züh-
rung und Nichtung seine; jungen Lebens mitbestimmen soll, so dringenü nötig,
vem sollten seine öücher Nechnung ttagen — und tun es auch ersteulicherweise
immer mehr, KI; Nane; Sapper ihre prcchtige Geschichten von der „Zamilie
pfäffling" herausgab, di« jetzt noch genau so stisch und lebensnah wirtt wie
damals, konnte sich ihr wenig Nhnliches an die Seite stellen, heute haben unsere
MLüel; in den öüchern von Gret« westecker, h, o. Gebhardt, Lertt, öohnhof,
XSthe Miethe, S. Schieker-Tbe, S. o, hoener-heintze, um nur einig« zu nennen,
öücher, wie sie sein sollen: unsentimental und doch warmherzig, nüchtern und
doch spannend: vor allem malen sie kein« falsche welt, son-ern scharfen den
Slick für Sein und Schein und können dem jungen Menschen helfen, fest im
Leben zu stehen, üa; öeste au; sich herauszuholen und seinen weg tapfer und
austecht zu gehen,

Db ein öuch da; fertigbringt, sollte überhaupt der Mahstab seine; wertes
für unsere Zugend sein, Gb es ein tüchtiger junger Mensch aus seinem Nreise
ist, der im Mittelpuntt des Suche; steht, «in held ferner Zeiten und Länder, ein
held der pflicht im Xriege oder Nlltag de; täglichen Lebens — immer sollte üer
junge Leser durch ihn vom Staunen zu Sewunderung und Thrfurcht geführt
werden — erinnern wir uns nicht aus unserer Zugend, dah un« solche Sücher
am mristen beaeisterten, am meisten weg« wiesen? Unsere Ninder werden e;
un; später danken, wenn wir si« gerade in der Neifezeit ;u den werken unserer
„arohen Literatur" hinführen, di« da; Leden in Schicksalen widerspiegeln, d',.ch
die der jung« Leser über sich hinausgehoben und zur eigenen Lntwicklung an-
gettieben wird. Rose vittmann-o.Nichberger

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