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NS-Frauen-Warte: die einzige parteiamtliche Frauenzeitschrift — 12.1943-1944

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Heft 9
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https://doi.org/10.11588/diglit.2780#0148
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(LS. HorSkym,,, Schluj)

E« ist sehr still im Lau«, ali die Frau au» Rotterdam mit ihrer Zkindrrschar
wiedrr abgezogrn ist. Ehrista ist müde zum Umsinken, und doch ist sie froh, daß eS
immer no<b «rbeit gibt, u« die gewohnto Ordnung wieder herzustellen. Si« ist
gerad« mit Tooi auf dem obersten Boden dab«i, ein Feldb«tt zusammenzuklappen,
ali sie von draußen ein lautei Rufen hört. ,^Hallo^ ruft eine Stimme, die «ie
«in Blitz in sir einschlägt. ,^H»llob... Mutter... halloh... ist Shrista da?"

T-oi stößt «in«n unterdrückten Schr«i aui und bleibt regloi stehen, beid« Händ«
gegen di« Brust gepreßt. Christa läßt fallen, wai sie in den Händen hält, sie
stürzt nach der Trepp«, sie gleitet die hohen, schmalen Stufen hinab und fliegt
in zwei auigebreikete Arme, die sie auffangen und fest umschließen.

,F> Dirkl Bist du dal Bist du'i wirklich? iluch Dirkl"

,Mang« gewesen, kleinei Mädchen?!" fragt «r zärtlich. 8i ist Dirki tief«
Stimme, ab«r sie ist noch nie so überströmend gewesen »on Herzlichkei«.

Ia, ei ist Dirk, ab«r e« ist «in anderer, ein neuer, «in gänzlich verändrrter
Dirk. C» ist nicht der Stoppelbart in dem mager gewordenen Gesicht, e» ist nicht
der Staub auf den zerdrückten Klcidern, wai ihn so verändert — ei ist etwak in
seiner Haltung, seinen Augen, seiner Stimmc — ei ist, al» »b d«r wahr« Dirk
eine einengend« Hülle zersprengt und abgeworfen HStte.

„Aber Rinder, wer wird denn heulen?" Cr klopft der Mutter auf d«n Rücken,
die ungehemmt dit Tränen über dai sonst so unbewegte Gesicht strömen läßt.
,,S«id ihr s« traurig, daß ich noch am Leben bin? Habt ikr mich schon aufgegcben?
Mutter, Sie haben sicher noch «twai zu essen in der Speisekammer ... ich habe
einen Hunger! Zu nichre habe ich mir Zcit genommcn... nicht einmal zum Rasierenl

„Ist dai dai «inzig«, wai du uni zu erzählen hast^ lacht« Christa unter Trä-
nen. „Wo bist du gewesen? Konntest du nicht anrufen?"

„Nein, dai haben sie mir nicht erlaub« ..." „Wer: sie?"

„Meine Betteuer! Sic haben mich in Schutzhaft genommen."

„Aber warum nur, warum? Weißt du, daß sie bei un« Hauisuchung gehalten
haben?"

,,S«? Wai für em Glück, daß ich nich« da war. Melleicht HStten sie mich dann
doch erschossen, wenn ich etwai unfreundlich geworden wäre. Und ich möchte gern
noch lcben — ich habe noch allerhand zu tun."

„Aber wo hast du nur all die Tag« gesteckt, Iunge?I" frägt der Altt.

„In Hoorn. Da haben sie uns hineinvrrfrachttt, ein paar Autobusse voll, und
in dai altt Militärgefängni» geworfen."

„Aber wai hast du d«nn verbrochen?"

„Weiß ich «i? Man hat mir wohl eii» Derbrechen zugettaut,.. daß ich mit der
Taschenlamp« Fliegerzeichen g«ben könntg, od«r ähnlich«», Wahnsinn? Mein Land
ist mein Land, m«in Bolk ist mein Dolkl"

,,Da» will ich auch meiittn!" sagte der Alte fest.

„Ich hab« g«wußt wai kommt. Und ei hätte sich so leicht »erhüten lassen. Aber
nicht auf diese albrrne und abscheuliche Manier, die sie mir zuttauen. Nun, si«
haben mich »or eincm schweren Iwiespalt behütet. Wenn sie mich in Freiheit
gelassen HStten, hätte ich nicht» andere» tun können, ali mein Land zu verttidigen,
mein Leben zu opfern, in der festen Itberzeugung, daß die» Opfer nuhlo» und sinn-
loi wäre. Dai haben sie mir erspart."

„Ab«r du hast sich«r Furchtbare» durchgemacht." Tooi tiefe Stimme bebt.

„Ach, dai ist dai wenigstt. Virlleicht kaim man in einer solch«n Lage »erzwei-
feln, weim man allein ist. Aber wir waren ein paar hundert. Märmer, Fraucn,
Greise. Frauen, die sich auf dem nackten Sttinbodcn auistrccken mußten, weim sie
vor Müdigkeit umsanken ... keine Pritsche, kein Stuhl, kein Stroh ... man muß
sich recht zusammenreißen, wenn man die anderen ein bißchen «rmuntern will.
Nun, und heute sind wir ganz freundlich »on unseren Wärtern geschiedcn. Recht
geheuer war ei ihnen auch nicht in diesen Tagen ... ei wätt ein NichtS genttsen,
wenn man vorhrr gewußt bätte,-daß ei so bald vorbei ist. Aber wir mußten uni
schließlich auf einige Wochen oder Monatt gefaßt machen ... und wie dai hätt«
geh«n sollen ..." Sein Ton wechselt. „Dorbei ist vorbei."

Alle Müdigkeit vcrflogen. Während TooS den Tisch deckt und die Mutter in
d«r Küch« dai Csscn herrichtei^ geb« Ehrista mit Dirk hinauf in sein altei Zim-
mer, holt ihm eifrig herbei, wai «r braucht. Und zwischendurch sitzt sie auf dem
Bekttand und sttht zu, w»e au» der »erwahrlosten Hülle wieder der alte Dirk
berauiwächst — nein, «in neuer, schönerer, strablender Dirk!

Und di'esem Dirk braucht si« nichti zu »erbergen und zu »erschweigen.

,D Dirk, ich bin ja so selig, daß du wieder da bistl"

,^Hast du mich vermißt, wirklich? Hast du Angst um mich gehabt?"

„Frag riicht so dumml Natürlich hab' ich Angst um dich gehabt, auch wrnn
du'i gar nicht »erdienst. Denn eigentlich hast du mich fträflich »ernachlässigt ...
in der letzten Zeit ... «nd beinah« in unserer ganzen Eh« ..."

1L4

„Ach Kind, dai hat allei sein« guten Gründ« gehabt ..."

„Ia, ich weiß, deine Arbeit ..."

„Nein, nichr nur die Arbeit. Mein« Arbeit wird mich auch weiter in Anspruch
nehmen, aber ich bin Uberzeugt, daß du dich nkcht mehr vernachlässigt fühlen wirst.
Ich habe dich ja von mir weggetrieben, absichtlich — auch wenn mir'i weh tat. Ich
hatte Angst um dich -— tausendmal mehr ali um mich. E» sollte nicht daS Gerede
aufkommen, daß du mich beeinflußt ... «ch habe gewußt, wai kommen wird.
Und siehst du, die Tage, die ich jetzt hinter mir habe — für mich war eß «in«
Rttinigkeit — aber ich hätte nicht gewollt, daß du sie durchmachcn mußt..."

„Abcr warum, Dirk, warum dai alleil Warum die Hauisuchung? Warum ha-
ben sie dich festgenommen?"

„Warum? Nicht weil ich ein Hochverräter bml Dai glaubst du mir doch,
Christal Ich habe mein Land und mein Volk nicht »«rrattn, nicht für Millionen
hätt' ich «S getan, und nicht einmal aui Liebe zu dir ..."

Ci ist sonderbar, wenn jemand im ernsten Ton so große Worte spricht, wäh-
ttnd ihm di'e Seife in dicken Flocken um» Gesicht schäumt, und Chn'sta lacht mit
nassen Augen.

„... aber siehst du, Chrii, weil ich nicht» andetti wolltt ali da» Wohl meinei
Volkei, darum haben si« mich gehaßt, verdächtigt — und b«spitz«lt. Ich liebe diest»
Land und habe nicht dulden wollen, daß ei »erkauft und verraten wird — für
dtt Inttressen einiger weniger. E» kommt ein« neue Zeit, Christa, da» srnd kcin«
leeren Phrasen ... «ir sind mitten in einer Revolution, dtt weit gewaltiger ist
ali die vor anderthalb Iahrhunderten. E» bricht «ine neue Zeit an — ein« Z«it,
in d«r kein Rind mchr hungern wird, kem Kranttr ohne Hilf« sein, kcm Alttr ohne
Obdach — «ine Ieit, da keine Frücht« mehr in den Slotcn d«» Westland» faulen
wtrden und keine Blumen m«hr in den Kanälen »on AalSmcer schwimmen ...
Wenn du erst einmal «rkannt hast, daß dai millionenfach« Slend dieser Welt
keine gottgcwolltt und naturgegebene Notwendigkeit ist, daß e» sich bcseitigen
läßt, wenn man nur den fosten Willcn hat und den richtigen Weg wciß — dann
mußt du diesen Weg gehen, du mußt gegen jedei Hindernii Sturm rennen, dai
sich dir «ntgegenstellt. Dcr Smrm, der über uni hingebraust ist, hat allcs zer-
schlagen und weggefegt, wai alt und morsch und verrottet war ... ab«r nun sieht
e» aus wie in einem Obstgarten, in dem der Sturm gewütet hat. Aufgeräumt muß
wcrd«n, Plah geschafft, dann wird unsec Garten «in« Erntt bri'ngen wie m'e zu-
»or ..."

„Und daran glaubst du?" „Daran glaube ich fest."

„O Dirk, wie schön wäre das. Ich will mir auch für mein Teil Mühe geben,
und ich will mir vor alttm nicht mehr mit Cifersucht das Leben schwer machen

„Mit Eifersucht?" Cr faßt sie bei d«n Armen und drängt sie «twai von sich
ab, um ihr bcsser inS Gesicht sehen zu können. „Eifcrsucht auf meine Arbcit?
mernst du?"

„Ach nein!" Si« schüttelt mit gcscnkten Augcn den Kopf. „Ich meine schon ganz
richtige Eifersucht... auf ein« Frau ... auf Mevrouw Hattogh zum Beispiel..."

„Bist du auf die «ifersüchtig gewescn?" Dirk lacht schalttnd auf. „Ach, mein
armei Kindl Und warum hast du mir da» nicht gesagt? Allerding» — viclleicht
HStt' ich dir doch keine Antwort darauf geben können. Sie war bcauftragt, mich
auizuhorchcn — wenigsteni bin ich davon überzeugt, und uingekehrt habe nach
Möglichkeit ich si« auigehorcht. Ei war «in Katz- und Mauispielen, ganz amüsant
manchmal, und sehr anstrengend. Gott sei dank wird dai in Iukunft nicht mehr
nötig sein. Ich muß sagen, daß sie mir bei all ihrer Klugheit schon recht »erächt-
lich war ... «cit verächtlicher al» Kraneveld zum Beispiel. Kraneveld hat wic «in
Löwe für sein« Ideatt gekämpft. Ich glaube auch nicht «inmal, daß seine Absicht
schlecht war — nur seine Ansicht war falsch."

„Weißt du, daß er fott ist?"

„So! Ist «r fort? Ich habe ei nicht anderi «rwartet. Umstellen kann der si<b
nicht ... er hat kei'ne Kinder, an deren Zukunft «r dcnkcn müßt« ... er ist der
letztt eiittr au»st«rbend«n Rasse, «r lebt in der Vergangenheit und von der Vcr-
gangenheit. Wir aber wollen für di« Zukunft leben! Von unten ruft dic Stimme
der Mutter zum Essen. Ch« sich Dirk nach der Tür wendet, küßt er Christa zätt-
lich. Da hält sie ihn noch einen Augenblick am Armel fest:

„Aber von j«tzt an ..." drängt si« lcisg, „darf ich aller sein, dein Kamerad —
und dein Mitarbeiter — und ganz deine Frau ..."

„Mein Allei", sagt er dicht an ihrer Wang«. „Mein Altts bist du... und
sollst du ftin ... und so Gott will, auch die Mutter m«iner Ainder Und mein
Mitarbeiter, wenn du den Mut dazu hast ..."

„Ich habe Mut zu alttm, wai ich mit dir zusammen tun und tragen kann.

Dirk reckt sich hoch und legt den Arm fest um ihre Schulttr.

„Und jetzt beginnt der Kampf für die neu« Ordnungl"

End«
 
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