wulk Jverkens kinder
HIov»Il» von Nilrl» rl>r»t»nl,»i'g
Es war im achten Iahre seiner Ehe, da Wulf Iversen sich in eine andere Frau
«erliebte. Er meinte zunächst, «S handele sich mn nicht» weiter alS um elne Der-
liebtheit, wie sie einem reifen Manne »on «o Iahren wohl widerfahren mag,
wenn «r nach Berufikämpfen und vielen Enttäuschungen in seiner Ehe noch e!n-
mal einec liebenSwerten Frau begegnet, aber bald merkt« «r, daß auS seiner an-
fänglich unbeschwerten Bewunderung «ine Neigung wurdc, die tief und bedeu-
tungsvoll in sein Leben eingriff.
Die Frau war nicht mehr jung, nur wenige Iahre jünger alS er, aber sie schien
viel jünger zu sein. Ihre dunkelbraunen Augen waren ungeheuer lebhaft, ihr Laar,
daS so schwarz wie Ebenholz war, lag in lockiger Fülle um ihr auSdrucksvolleS
Gesicht, ihr Mund «ar prächtig, beim Sprcchen erschienen zwischen ihren schünen
volten Lippen zwei Reihen ebenmäßiger weißer Iähne. Von Gestalt war si« klein,
sie reichte Wulf Iversen eben über die Schultcr, — aber si« war schlank und leb-
haft und anmutig in ihren Bewegungen. Wulf Iverscn geriet in eine seltsam
jugendliche Derwirrung, als er sie zum «rsten Male sah, — sie war in ihrer süd-
ländischcn Schönheit genau dai Geaenteil seiner Rasse, die blond und blauäugig
und schwerfällig im Denken, Empfinden und Handeln war. Sie kam in seine
Sprechstunde m!t einem verstauchten Fuß und erbat seine Lrztliche Hilfe. Während
er ihren Fuß betrachtete, »Frsuchte er sich m!t ihr zu uMerhalten, aber sie wich ihm
auS und sprach nur dai, waS für die Behandlung ihrei Fuße« notweichig war,
war höflich und freundlich, aber vSllig verschlossen. Mit leisem Bedauern ließ er
sie gehen uich wünschte inSgeheim, diese Fußverlctzung mSchte sich in di« Länge
ziehen. Dieser Wunsch erfüllte sich indesscn nicht, — Maria Dornhofcr kam noch
cinmal wieder und dann war ihr Fuß gesund.
Wulf Iversen hoffte, da sie den gleichen Kreisen angehörte wi« «r, ihr auf
ciner Gesellschaft in der kleinen Stadt oder im Thcater zu begegnen, aber er sah
sie nie. Irgend jemand enählte ihm eine« TageS, daß sie sich künstlerisch betätige,
sie hab« im Hause ihrer Eltern eine große Wcrkstatt und webe Teppich«, GobelinS,
Deckcn und Aissen. Da entschloß «r sich, sie zu besuchcn.
Sie war «rstaunt und verbarg e« nur schlecht, alr er vor ihr stand und m!t
leisem Rot auf seinen schmalen Wangen sagte, er habe im Nachbarhause «inen
Arankenbesuch machen müssen und hätte sich nicht versagen mögen, snh nach ihrem
kranken Fuß zu erkundigen.
Sie lächelre ungläubia und schüttelte «in wenig den Aopf. „Mein Fuß ist längst
wieder gesund", sagte sie.
Cr tat, als nähme er eine solche Sache, die ihm einmal anvertraut war, nicht
leicht und versuchte glaubhaft zu machcn, daß man mit solchen Verstauchungen
oftmalt lange und schwierig zu tun haben könne. Sie lächelte, al« halte si« ihn
für einen übertrieben vorsichtigen Mann, — den wahren Beweggrund seine» Be-
sucher «rkannte si« nicht. Sie sprachen, da Maria gcradc cin ländlichei Moti«
webte, «in wenig über Gärten und ParkS, über Bäume und Blumen, und Wulf
Iversen erzählt« »on seinem elterlichen GutShof«, der am Meere lag und von
seinem älteren Bruder bewirtschaftet wurd«. „Ich habe zuweilen «!n gräßliches
Heimwch", sagte er. „Mein Beruf ist schön und wohl den Cinsatz aller Äräfte
wert, aber der Hof ist Heimat nicht nur für mcine Erdenzeit. Immer, wenn Ich
dort bin, «mpfinde ich eS alr ein großeS Glück, daß ich auS Crde bin und wieder
zu Erd« werden muß."
Maria sah ihn nachdenklich an, und zum ersten Male interessierte si« sich fllr
den Mann. Aber sie wunderte sich inSgeheim, daß er svlche Dinge zu ihr sprach, —
sie lehnte sich innerlich auch ein wenig grgen LieS Vertrauen auf, da sie «S in
kciner Weis« zu erwidern gedachte. Sie vcrsuchte durch leichte und belanglose
Worte sein« Reden dcr Crnstei zu entkleiden, lächclte freundlich und wechselte
schließlich in «in heiterei und oberflächliches Thema. Er fühlte wohl, daß ihre
Rcden nickt ihrem wahren Wescn entsprachen und daß sie bcstrebt war, thn in
keiner Wcise an sich heran zu lassen, aber er »erbiß sich nur eigensinniger in seinr
Wünsche.
Später kam er mit irgendwelchen fadenschei'nigen Begründungen öfter zu Ma-
ria und bcgann, si« m!t klcinen Aufmerksamkeiten zu b-denken, so daß s!e nun den
wahrcn Grund seiner Besuche zu ahnen anfing. Src lächelte dazu, leise und lieb-
lich, «i« Frauen tun, wenn sie merken, daß ein Mann ihnen huldigt, aber s!e
nahm ei leicht. Sie stand allein und «ar es gewohnt, Freunde und Derehrer zu
haben, und sie war begabt, diese !n der notwendigen Cntfernung »on sich zu
halten. Deihalb hatte auch diese neue Liebe, die ihr geboten wurde, nicht« Äe-
unruhigendeS für s!e, — allein, diei sollte bald anderi werden.
Wulf Iversen kam an einem Vormittag zu ihr und brachte ihr «in Buch über
die VolkSkunst !n seiner Heimat am Meer, sie hattcn am Tage zuvor lang« mit-
einandcr über diesc Dinge gesprochen. Nun saßcn sie nebencinander auf der langen,
mit vielen bunten Aissen belegten Baick und betrachteten die Aunstgegenstände,
di« vergangene Generationen geschaffen hatten, freuten sich an den cigenwilligen
Formcn und den seltsam schwermlltigcn Farben. Dor ihnen auf dem Tisch stand
cin Tonkrug mit kupferroten Wintcrastern, sie rückten ihn heran und »erglschen
ihn mit den altertümlichen Dasen, die in dem Buche abgebildet waren, gerieten
ein wenig in« Streiren und lächelten sich dann wieder friedlich zu. Wulf Iversen
stand schließlich auf, sagte, er habe seinen Wagen draußen und müsse nun un-
bedingt fort. Maria fragt« ihn nach seinem Vorhaben, und «r gab ihr AuSkunft.
Cr müsse Krankenbesuche auf dem Landc nrachen, sagte er.
Sie sah in den hellen Vormittag hinau«, — draußen hing da» Sonnenltcht
zwischen dick bereiften Sttäuchern und Bäumen. „Wre schön muß «S sei^, sagte
si« versonnen, „in diesen rosig-weißschimmernden M-rgen hinaur zu sahren."
Lr zögcrt« unt sah auf sein« Hände, während «r seine Handschuhe dreht« und
»on «iner Hand leicht schlagend in die andere gab. „Aommen Si- mit", bat er
dann, „zu Mittag bin ich wieder zurück."
„Ia, darf ich wi'rklich?" fragte sie, und die Freud« hatt« ihr Gesicht s« sehr
verändert, daß «r si« gan, «ntrllck« ansah.
Später fuhren sie über di« bereift« Landstraße, — lange sprachen sie beide
nicht. Wuls Iversen war mit dem Wagen und der Sttaße beschäftigt, und Maria
war ganz !n daS Leuchten der Landschaft versunken. Cinmal fragte fi«, ob «r sein«
Frau manchmal auf diesen Fahtten miMähme.
,,Ncin", sagt« «r, „sie interessiert sich nicht für Landschaft und auch nicht für
meinr Kranken."
Sie hört« an seiner Stimme, daß die» zu den Bitterkeiten seineS LebenS ge-
hörte und schwieg. Danach begann er von selbst >u «rzählcn, daß «r »llein sei
und sein« Ehe ihm außrr drei Kindcrn nichti riebenSwerteS zu biettn hab«. Er
sagte di«S in sehr verhaltenen Worten, aber Maria spütt« doch daS ganze Clend
scine» Herzen». Trotzdem runzclte sie die Stirn und äußertt keinerlei Derständ-
nii, — sie wußtt zu gut, daß solchen Gcständnissen meistenZ eine LiebeSerklärung
zu folgen pflegte, und si« war nicht gewillt, als Trösterin in seinem Lcben wirk-
sam zu werden. Cr wurde hart und bitter, alS er fühltt, daß si« sich zurückzog,
und so fuhren sit wieder eine lange Zeit schweigend.
Während «r sein« Kranken besuchte saß sie still im Wagen und wartet«. Einmal
stieg si« auS und ging ein Stück an einem Anick «ntlang, betrachtete die Bllschel
roter Pfaffenhütchcn und d!« wildwuchcrnd«n Brombeerranken, die, von glitzern-
den Krlstallen aesäumt, herrlich in der Sonn« funkelten, — stand andächttg stau-
nend vor dein feinen Filigran der »ielen Spinnennetze, die zwischen d«n Sttäu-
chern hingen und über di« Grairändcr gebreitet waren, und die vom Rcif üb«r-
zogen wie auS Silber gewirkt erschienen, — pflückte hier und da «inen letzten
buntbclaubten Zweig od«r eine »om Nachtfrost arg zerfttztt späte Blum«. AlS
Wuif Iversen aui dem Haus« kam, ging sie rasch zu ihm und hi«lt ihen freudig
bcwegt ihren winterlichen Stauß hin, damit cr ihn bewundere. Aber cr sah den
Skrauß nicht an, er stand ganz still und ranz seine Errrgung nieder. „Maria"-
sagte er, „Sie müssen nun einen Spazi«rgan>g machen und hcrnach im Arug «in
wenig «ssen, — ich kann da drinnrn jetzt nicht fort, — sie stirbt."
Maria ließ ihren Strauß si'nken und sah den Mann verwundrrt an. „Ist «S
denn fllr eincn Arzt «ine solch« Lrschüttkrung", dachtr si-, „wenn «in« Patirntin
stirbt?" ^
Ei war, al« läse «r ihr« verwunderte Frage in ihren Augen. ,,E» ist ein Kind",
sagte «r.
Eine Sekunde lang fühlt« sie sich im innersten Hcrzrn angerührt von s«in«m
Blick, — seltsam llberrascht lauscht« sie dem G«fühl, das in ihr zu weben be-
gann. „Ia", antwortcte sie nur und stand und sah auf ihren Strauß.
Cr wandte sich hastig ab. „BiS späker", sagte er.
Maria nicktc und sah ihm nach, dann legte sie ihren Strauß in den Wagen
und ging die Landstraß« entlang.
Der Nachmitkag sank bereit« dahin. al« sie zuc Heimfahtt starttten. Wcich
lagen dic Nebelwolken um di« im blauen Schatten träumenden Gehöftt, die
Landstraße war milchig weiß.
„Ich sehe eS Ihittn an, Maria", sagtt Wulf Iv«rsen, „Sie wund«rn sich. Si«
glaubcn — übttgenS wie di« meisten — «inem Lrzt mach« ei uxnig au«, «inen
Menschen sterben zu sehcn. Aber e« geht da dem Arzt doch nicht anderS ali an-
dern Menschen auch, — er sieht den Tod als Freund wie als Schergen, j« nach
dem Opfer, daS dieser sich auSers«hen hat. DieS war «in .stind —. Cs hatte all«
Hoffnungcn und all« Möglichkeittn d«S tausendfältigen LebcnS noch fllr sich, —
«S war außerdem" — cr zögerte cin wenig und fuhr dann cntschlossen fott: ,^wei
Menschen ein« Aufgabe, durch die sie unlöSlich miteinander »erbunden wattn."
Maria wandte vorsichtig daS Gesicht und sah den Mann, der crnst und ruhig
seinen Blick auf die Straße gerichtet hiclt, prüfend an. Plötzlich seufzte sie tief
und senkte den Blick in ihren Schoß, — sie fühlte, daß-sie einander bedcnkli'ch
nah« gekommcn war«n. Lr sah sie an und lächilte ttaurig, — während der Abend
ferneher kam, fuhren si« schwcigend heimwärt«.
Danach vergingen vi'ele Wochen, in drnen sie «inander nicht zu Gesichtc be-
kamert, eine seltsame Sckeu verwchrte dem «iittn, den andern zu suchen. Abcr dann
begegneten sie «inander in den Straßen der Stadt, cS war kurz vor Wrihnachtcn,
und um sic herum brandete dai fröhliche Treiben der Aaufenden. Sie wurden
beide von dieser hciteren Unruhc «rgriffen, gingen miteinantxr in di« Läden imd
waren beim Betrachten llbermlltig wie Ainder. Mit viettn Päckchen und Paketen
schritten sie dicht nebeneinander durch di- bettbten Straßeir, trennten sich unter
Scherzen vor MariaS Wobnungitür. „Fahrcn Si« wieder mit mir nach draußen",
bat er, und sie sagt« «S ihm mit heiterem Gesicht zu.
Diele gcmeinsame Fahrten, viele «rnsthaftt Gespräch« und manchen Gang zwi-
schen Hecken und HnickS dahin hatten sie binter sich, al« sie an einem grauen,
warmen Vorfrllhlinaitage ain Rande eine« AiefernwaldeS ruhtcn und in dai
Dorf im Tal hinabsahcn. Am Wcgrand blitzten an langen roten Zweigen silber-
blanke WeidenkShch«n, in den zerzausten Kronen der Aiefern sang d«r WinL.
Maria hockt« am Hang, Wulf Iverttn lag neben ihr, hatt« den Kopf in di«
Arme gestützt und sah zu ihr auf. „Maria", sagre er langsam und versonnen,
„wie schön dein Name zu dir paßt."
Sie ISchelte und fuhr ihm lcicht mit der Hand über sein eig«nwillig abstehendrS,
blondci Haar.
„Weißt du noch", fuhr «r läckelnd fort, ,,wi« sehr du dich gegen mich gcwchrt
hast,"
Sie nickte. „Ei ist mir auä) beute noch schwe^, sagte sie leis«.
„Aber du liebst mich doch?"
„2a."
,D>ann ist doch alle« gut —"
„Alle«? Wulf, llnrecht bleibt Unrecht, wie sebr wir e« auch biegen. In den
Augen unsercr Mitmenschen bleibt dai allei eine Schuld, die wir verbergen
müsscn. Fällt dir dai so leicht?" <z»rts«h>>ng aus Seit« itt)
141
HIov»Il» von Nilrl» rl>r»t»nl,»i'g
Es war im achten Iahre seiner Ehe, da Wulf Iversen sich in eine andere Frau
«erliebte. Er meinte zunächst, «S handele sich mn nicht» weiter alS um elne Der-
liebtheit, wie sie einem reifen Manne »on «o Iahren wohl widerfahren mag,
wenn «r nach Berufikämpfen und vielen Enttäuschungen in seiner Ehe noch e!n-
mal einec liebenSwerten Frau begegnet, aber bald merkt« «r, daß auS seiner an-
fänglich unbeschwerten Bewunderung «ine Neigung wurdc, die tief und bedeu-
tungsvoll in sein Leben eingriff.
Die Frau war nicht mehr jung, nur wenige Iahre jünger alS er, aber sie schien
viel jünger zu sein. Ihre dunkelbraunen Augen waren ungeheuer lebhaft, ihr Laar,
daS so schwarz wie Ebenholz war, lag in lockiger Fülle um ihr auSdrucksvolleS
Gesicht, ihr Mund «ar prächtig, beim Sprcchen erschienen zwischen ihren schünen
volten Lippen zwei Reihen ebenmäßiger weißer Iähne. Von Gestalt war si« klein,
sie reichte Wulf Iversen eben über die Schultcr, — aber si« war schlank und leb-
haft und anmutig in ihren Bewegungen. Wulf Iverscn geriet in eine seltsam
jugendliche Derwirrung, als er sie zum «rsten Male sah, — sie war in ihrer süd-
ländischcn Schönheit genau dai Geaenteil seiner Rasse, die blond und blauäugig
und schwerfällig im Denken, Empfinden und Handeln war. Sie kam in seine
Sprechstunde m!t einem verstauchten Fuß und erbat seine Lrztliche Hilfe. Während
er ihren Fuß betrachtete, »Frsuchte er sich m!t ihr zu uMerhalten, aber sie wich ihm
auS und sprach nur dai, waS für die Behandlung ihrei Fuße« notweichig war,
war höflich und freundlich, aber vSllig verschlossen. Mit leisem Bedauern ließ er
sie gehen uich wünschte inSgeheim, diese Fußverlctzung mSchte sich in di« Länge
ziehen. Dieser Wunsch erfüllte sich indesscn nicht, — Maria Dornhofcr kam noch
cinmal wieder und dann war ihr Fuß gesund.
Wulf Iversen hoffte, da sie den gleichen Kreisen angehörte wi« «r, ihr auf
ciner Gesellschaft in der kleinen Stadt oder im Thcater zu begegnen, aber er sah
sie nie. Irgend jemand enählte ihm eine« TageS, daß sie sich künstlerisch betätige,
sie hab« im Hause ihrer Eltern eine große Wcrkstatt und webe Teppich«, GobelinS,
Deckcn und Aissen. Da entschloß «r sich, sie zu besuchcn.
Sie war «rstaunt und verbarg e« nur schlecht, alr er vor ihr stand und m!t
leisem Rot auf seinen schmalen Wangen sagte, er habe im Nachbarhause «inen
Arankenbesuch machen müssen und hätte sich nicht versagen mögen, snh nach ihrem
kranken Fuß zu erkundigen.
Sie lächelre ungläubia und schüttelte «in wenig den Aopf. „Mein Fuß ist längst
wieder gesund", sagte sie.
Cr tat, als nähme er eine solche Sache, die ihm einmal anvertraut war, nicht
leicht und versuchte glaubhaft zu machcn, daß man mit solchen Verstauchungen
oftmalt lange und schwierig zu tun haben könne. Sie lächelte, al« halte si« ihn
für einen übertrieben vorsichtigen Mann, — den wahren Beweggrund seine» Be-
sucher «rkannte si« nicht. Sie sprachen, da Maria gcradc cin ländlichei Moti«
webte, «in wenig über Gärten und ParkS, über Bäume und Blumen, und Wulf
Iversen erzählt« »on seinem elterlichen GutShof«, der am Meere lag und von
seinem älteren Bruder bewirtschaftet wurd«. „Ich habe zuweilen «!n gräßliches
Heimwch", sagte er. „Mein Beruf ist schön und wohl den Cinsatz aller Äräfte
wert, aber der Hof ist Heimat nicht nur für mcine Erdenzeit. Immer, wenn Ich
dort bin, «mpfinde ich eS alr ein großeS Glück, daß ich auS Crde bin und wieder
zu Erd« werden muß."
Maria sah ihn nachdenklich an, und zum ersten Male interessierte si« sich fllr
den Mann. Aber sie wunderte sich inSgeheim, daß er svlche Dinge zu ihr sprach, —
sie lehnte sich innerlich auch ein wenig grgen LieS Vertrauen auf, da sie «S in
kciner Weis« zu erwidern gedachte. Sie vcrsuchte durch leichte und belanglose
Worte sein« Reden dcr Crnstei zu entkleiden, lächclte freundlich und wechselte
schließlich in «in heiterei und oberflächliches Thema. Er fühlte wohl, daß ihre
Rcden nickt ihrem wahren Wescn entsprachen und daß sie bcstrebt war, thn in
keiner Wcise an sich heran zu lassen, aber er »erbiß sich nur eigensinniger in seinr
Wünsche.
Später kam er mit irgendwelchen fadenschei'nigen Begründungen öfter zu Ma-
ria und bcgann, si« m!t klcinen Aufmerksamkeiten zu b-denken, so daß s!e nun den
wahrcn Grund seiner Besuche zu ahnen anfing. Src lächelte dazu, leise und lieb-
lich, «i« Frauen tun, wenn sie merken, daß ein Mann ihnen huldigt, aber s!e
nahm ei leicht. Sie stand allein und «ar es gewohnt, Freunde und Derehrer zu
haben, und sie war begabt, diese !n der notwendigen Cntfernung »on sich zu
halten. Deihalb hatte auch diese neue Liebe, die ihr geboten wurde, nicht« Äe-
unruhigendeS für s!e, — allein, diei sollte bald anderi werden.
Wulf Iversen kam an einem Vormittag zu ihr und brachte ihr «in Buch über
die VolkSkunst !n seiner Heimat am Meer, sie hattcn am Tage zuvor lang« mit-
einandcr über diesc Dinge gesprochen. Nun saßcn sie nebencinander auf der langen,
mit vielen bunten Aissen belegten Baick und betrachteten die Aunstgegenstände,
di« vergangene Generationen geschaffen hatten, freuten sich an den cigenwilligen
Formcn und den seltsam schwermlltigcn Farben. Dor ihnen auf dem Tisch stand
cin Tonkrug mit kupferroten Wintcrastern, sie rückten ihn heran und »erglschen
ihn mit den altertümlichen Dasen, die in dem Buche abgebildet waren, gerieten
ein wenig in« Streiren und lächelten sich dann wieder friedlich zu. Wulf Iversen
stand schließlich auf, sagte, er habe seinen Wagen draußen und müsse nun un-
bedingt fort. Maria fragt« ihn nach seinem Vorhaben, und «r gab ihr AuSkunft.
Cr müsse Krankenbesuche auf dem Landc nrachen, sagte er.
Sie sah in den hellen Vormittag hinau«, — draußen hing da» Sonnenltcht
zwischen dick bereiften Sttäuchern und Bäumen. „Wre schön muß «S sei^, sagte
si« versonnen, „in diesen rosig-weißschimmernden M-rgen hinaur zu sahren."
Lr zögcrt« unt sah auf sein« Hände, während «r seine Handschuhe dreht« und
»on «iner Hand leicht schlagend in die andere gab. „Aommen Si- mit", bat er
dann, „zu Mittag bin ich wieder zurück."
„Ia, darf ich wi'rklich?" fragte sie, und die Freud« hatt« ihr Gesicht s« sehr
verändert, daß «r si« gan, «ntrllck« ansah.
Später fuhren sie über di« bereift« Landstraße, — lange sprachen sie beide
nicht. Wuls Iversen war mit dem Wagen und der Sttaße beschäftigt, und Maria
war ganz !n daS Leuchten der Landschaft versunken. Cinmal fragte fi«, ob «r sein«
Frau manchmal auf diesen Fahtten miMähme.
,,Ncin", sagt« «r, „sie interessiert sich nicht für Landschaft und auch nicht für
meinr Kranken."
Sie hört« an seiner Stimme, daß die» zu den Bitterkeiten seineS LebenS ge-
hörte und schwieg. Danach begann er von selbst >u «rzählcn, daß «r »llein sei
und sein« Ehe ihm außrr drei Kindcrn nichti riebenSwerteS zu biettn hab«. Er
sagte di«S in sehr verhaltenen Worten, aber Maria spütt« doch daS ganze Clend
scine» Herzen». Trotzdem runzclte sie die Stirn und äußertt keinerlei Derständ-
nii, — sie wußtt zu gut, daß solchen Gcständnissen meistenZ eine LiebeSerklärung
zu folgen pflegte, und si« war nicht gewillt, als Trösterin in seinem Lcben wirk-
sam zu werden. Cr wurde hart und bitter, alS er fühltt, daß si« sich zurückzog,
und so fuhren sit wieder eine lange Zeit schweigend.
Während «r sein« Kranken besuchte saß sie still im Wagen und wartet«. Einmal
stieg si« auS und ging ein Stück an einem Anick «ntlang, betrachtete die Bllschel
roter Pfaffenhütchcn und d!« wildwuchcrnd«n Brombeerranken, die, von glitzern-
den Krlstallen aesäumt, herrlich in der Sonn« funkelten, — stand andächttg stau-
nend vor dein feinen Filigran der »ielen Spinnennetze, die zwischen d«n Sttäu-
chern hingen und über di« Grairändcr gebreitet waren, und die vom Rcif üb«r-
zogen wie auS Silber gewirkt erschienen, — pflückte hier und da «inen letzten
buntbclaubten Zweig od«r eine »om Nachtfrost arg zerfttztt späte Blum«. AlS
Wuif Iversen aui dem Haus« kam, ging sie rasch zu ihm und hi«lt ihen freudig
bcwegt ihren winterlichen Stauß hin, damit cr ihn bewundere. Aber cr sah den
Skrauß nicht an, er stand ganz still und ranz seine Errrgung nieder. „Maria"-
sagte er, „Sie müssen nun einen Spazi«rgan>g machen und hcrnach im Arug «in
wenig «ssen, — ich kann da drinnrn jetzt nicht fort, — sie stirbt."
Maria ließ ihren Strauß si'nken und sah den Mann verwundrrt an. „Ist «S
denn fllr eincn Arzt «ine solch« Lrschüttkrung", dachtr si-, „wenn «in« Patirntin
stirbt?" ^
Ei war, al« läse «r ihr« verwunderte Frage in ihren Augen. ,,E» ist ein Kind",
sagte «r.
Eine Sekunde lang fühlt« sie sich im innersten Hcrzrn angerührt von s«in«m
Blick, — seltsam llberrascht lauscht« sie dem G«fühl, das in ihr zu weben be-
gann. „Ia", antwortcte sie nur und stand und sah auf ihren Strauß.
Cr wandte sich hastig ab. „BiS späker", sagte er.
Maria nicktc und sah ihm nach, dann legte sie ihren Strauß in den Wagen
und ging die Landstraß« entlang.
Der Nachmitkag sank bereit« dahin. al« sie zuc Heimfahtt starttten. Wcich
lagen dic Nebelwolken um di« im blauen Schatten träumenden Gehöftt, die
Landstraße war milchig weiß.
„Ich sehe eS Ihittn an, Maria", sagtt Wulf Iv«rsen, „Sie wund«rn sich. Si«
glaubcn — übttgenS wie di« meisten — «inem Lrzt mach« ei uxnig au«, «inen
Menschen sterben zu sehcn. Aber e« geht da dem Arzt doch nicht anderS ali an-
dern Menschen auch, — er sieht den Tod als Freund wie als Schergen, j« nach
dem Opfer, daS dieser sich auSers«hen hat. DieS war «in .stind —. Cs hatte all«
Hoffnungcn und all« Möglichkeittn d«S tausendfältigen LebcnS noch fllr sich, —
«S war außerdem" — cr zögerte cin wenig und fuhr dann cntschlossen fott: ,^wei
Menschen ein« Aufgabe, durch die sie unlöSlich miteinander »erbunden wattn."
Maria wandte vorsichtig daS Gesicht und sah den Mann, der crnst und ruhig
seinen Blick auf die Straße gerichtet hiclt, prüfend an. Plötzlich seufzte sie tief
und senkte den Blick in ihren Schoß, — sie fühlte, daß-sie einander bedcnkli'ch
nah« gekommcn war«n. Lr sah sie an und lächilte ttaurig, — während der Abend
ferneher kam, fuhren si« schwcigend heimwärt«.
Danach vergingen vi'ele Wochen, in drnen sie «inander nicht zu Gesichtc be-
kamert, eine seltsame Sckeu verwchrte dem «iittn, den andern zu suchen. Abcr dann
begegneten sie «inander in den Straßen der Stadt, cS war kurz vor Wrihnachtcn,
und um sic herum brandete dai fröhliche Treiben der Aaufenden. Sie wurden
beide von dieser hciteren Unruhc «rgriffen, gingen miteinantxr in di« Läden imd
waren beim Betrachten llbermlltig wie Ainder. Mit viettn Päckchen und Paketen
schritten sie dicht nebeneinander durch di- bettbten Straßeir, trennten sich unter
Scherzen vor MariaS Wobnungitür. „Fahrcn Si« wieder mit mir nach draußen",
bat er, und sie sagt« «S ihm mit heiterem Gesicht zu.
Diele gcmeinsame Fahrten, viele «rnsthaftt Gespräch« und manchen Gang zwi-
schen Hecken und HnickS dahin hatten sie binter sich, al« sie an einem grauen,
warmen Vorfrllhlinaitage ain Rande eine« AiefernwaldeS ruhtcn und in dai
Dorf im Tal hinabsahcn. Am Wcgrand blitzten an langen roten Zweigen silber-
blanke WeidenkShch«n, in den zerzausten Kronen der Aiefern sang d«r WinL.
Maria hockt« am Hang, Wulf Iverttn lag neben ihr, hatt« den Kopf in di«
Arme gestützt und sah zu ihr auf. „Maria", sagre er langsam und versonnen,
„wie schön dein Name zu dir paßt."
Sie ISchelte und fuhr ihm lcicht mit der Hand über sein eig«nwillig abstehendrS,
blondci Haar.
„Weißt du noch", fuhr «r läckelnd fort, ,,wi« sehr du dich gegen mich gcwchrt
hast,"
Sie nickte. „Ei ist mir auä) beute noch schwe^, sagte sie leis«.
„Aber du liebst mich doch?"
„2a."
,D>ann ist doch alle« gut —"
„Alle«? Wulf, llnrecht bleibt Unrecht, wie sebr wir e« auch biegen. In den
Augen unsercr Mitmenschen bleibt dai allei eine Schuld, die wir verbergen
müsscn. Fällt dir dai so leicht?" <z»rts«h>>ng aus Seit« itt)
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