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von Keppler, Der Freiburger Münsterturm

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nicht aus Eitelkeit und Großtuerei, sondern weil sie
damit der Idee, für welche allein sie lebte und arbeitete,
zu einem monumentalen Triumph verhelfen, ein
grandioses Symbol christlichen Glaubens und christ-
licher Hoffnung schaffen konnte; Hochwarten, welche
den Blick mächtig nach oben ziehen, von welchen
der Menschengeist Ausschau halten kann ins Reich
des Unendlichen.

Der erste großartige Versuch dieser Art schuf
der Stadt Freiburg ihr Wahrzeichen, ist ihr Schmuck,
ihr Stolz und Ruhm geworden. Was wäre Freiburg
ohne seinen Münsterturm? Wohl bliebe ihm noch
seine bevorzugte Lage, der Ringwall der Berge, die
Pracht der Wälder. Aber das Stadtbild würde ohne
diesen Turm sich auflösen in ein regelloses Gewirre
von Häusern und Gebäuden. Die Kathedrale ohne
Turm, sie würde wie eine Witwe trauern um den
Gemahl und wäre für sich allein nicht imstande,
das Flachbild wirksam zu beleben, so wenig wie die
andern Türme, auch nachdem ihre Zahl jetzt durch
die an der äußersten Peripherie aufstrebenden edel-
gestalteten Türme der Herz-Jesukirche und Johannis-
kirche, näherher durch die Martins- und Schwaben-
tortürme vermehrt worden. Freiburg ohne seinen
Münsterturm — mit einem Schlag wäre die Stadt auf
das Niveau der Gewöhnlichkeit herabgedrückt; sie
hätte ihren Charakter verloren, die Krone wäre ihr
geraubt, das Haupt abgeschlagen.

So viel bedeutet der eine Bau für das Ganze:
er erst gibt ihm Mittelpunkt, Zusammenfassung,
Gliederung, den Adel und die Weihe hoher Kunst.
Das empfinden wir wie eine uns persönlich zu gut
kommende Wohltat, wie eine Bereicherung unseres
eigenen Lebens, in das die Silhouette des Turms
sich ebenso kräftig einzeichnet wie ins Bild der Stadt.
Warme Pietät gegen dieses Denkmal mittelalterlicher
Kunst lebt daher in unser aller Herzen und hat in
der letzten Zeit reiche Förderung erfahren durch die
großartige Publikation des Münsterbauvereins, welche
auch unserem Turm manch herrliche Kunsttafel und
begeisterte Worte widmet1. Wenn ich von ihm rede,
so bin ich des allgemeinen Interesses sicher, auch
wenn ich zum voraus auf jeden Versuch verzichte,
die schwierigen Fragen zu lösen nach dem Ursprung,
nach dem Vater, nach den Hauptdaten seines Lebens.

Für unsere mehr ästhetische Betrachtung genügt
es zu wissen, dass unser Münsterturm die erste
Blüte und zugleich die reifste Frucht der Turmbau-
kunst der deutschen Gotik ist, welche die in viel
bescheideneren Verhältnissen lebende Turmarchitektur

1 Unser Lieben Frauen Münster zu Freiburg im Breisgau.
68 Lichtdrucktafeln nach Aufnahmen von Karl Günther, mit
begleitendem Text von Fritz Geiges. Herausgegeben vom
Freiburger Münsterbauverein. Freiburg i. Br. 1896. Imp.-Folio.



Westansicht des Hauptturms.
 
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