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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 1.1905

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Keppler, Paul Wilhelm von: Der Freiburger Münsterturm
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https://doi.org/10.11588/diglit.2395#0020

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von Keppler, Der Freiburger Münsterturm

des romanischen und frühesten gotischen Stils zur welche dem Achteck und seinen Trabanten den
Vorgängerin hat, dass er wohl als eben vollendetes Nebentürmchen, als natürliche Basis dienen kann
Bauwerk in erster Jugendschönheit den Anbruch des Die Galerie scheidet und verbindet zugleich den
14. Jahrhunderts begrüßte, dass er der Erstgeborene quadratischen Unterbau und das Oktogon; sie ist
von den fünf Brüdern ist, welche mit ihm zu einer vergleichbar dem schmucken Gürtel, welcher sich
Familie gehören: den Türmen von Wien, Köln, Ulm, um die Hüften des Helden legt. Und nicht in harten
Straßburg. In ihm hat die deutsche Turmbaukunst Linien stoßen Viereck und Achteck aufeinander; viel-
großen Stils ihr Meisterstück gemacht; mehr als ein mehr ist das Oktogon zunächst auf vier Seiten mit
Jahrhundert herrschte er allein als König über die sehr kräftigen, dreiseitigen Fialentürmchen besetzt
deutschen Gauen, bis er sich mit dem von Wien und verwachsen, auch in seinem unteren Teil, ab-
und dann ,mit den übrigen in die Herrschaft teilte, gesehen von kleinen Schallöffnungen, gleich dem
Machen wir uns seine konstruktive Anlage klar. Unterbau noch ziemlich geschlossen. Erst weiter
Sie ist im Grunde einfach und durchsichtig. Er baut oben öffnet er sich nach allen acht Seiten in gewal-
sich auf in drei Stockwerken oder Hauptteilen, welche tigen Fensteranlagen, so dass vom Mauerbau nur noch
von unten nach oben sich verjüngen und von unten die acht kräftigen Steinpfeiler und durchsichtiges Maß-
nach oben in weise und sorglich berechneter Ab- werk übrig bleibt. Gleichzeitig mit dieser Durch-
stufung den Reichtum der Gliederung und Ornamentik brechung und Lichtung der Mauern lösen auch jene
steigern. Es ist ganz unberechtigt, wenn man aus vier Nebentürme sich in Heiligenhäuschen und schlanke
dem verschiedenen Charakter der unteren und oberen Fialen auf und geben jetzt das Oktogon völlig frei;
Teile auf verschiedene Baumeister schließen zu müssen bloß auf der Nordseite klimmt noch ein Treppenturm
glaubte oder zwei ganz verschiedene Pläne, einen an ihm empor. Oben verklingt das Oktogon in feinen
sehr schlichten und einfachen und einen reichen und Spitzpyramiden und in den reichen Krönungen der
prächtigen während des Baues zusammengeschweißt Wimperge über den großen Fenstern. Es trägt mit
werden ließ. Es waltet ein einheitlicher Plan, der jauchzender Lust und spielender Leichtigkeit die un-
absichtlich in den unteren Partien sich größte Maß- vergleichlich schöne Pyramide mit dem köstlichen
haltung auferlegt, um nach oben eine immer reichere Filigranschmuck zwischen den acht Rippen, welche
Fülle und immer freiere und feinere Durchgeistigung oben sich zusammenstemmend die große Kreuzblume
walten zu lassen. Höchstens soviel ist richtig, dass zum Himmel heben.

im Laufe der Bauzeit auch der gotische Stil sich
weiter entwickelte und immer reichere und freiere
Formen zur Verfügung stellte.

Der Unterbau bis zur unteren Galerie repräsen-
tiert das solide, massige Fundament des Ganzen.

So erreicht in dreimaligem Ansetzen, in drei
Etappen der Bau die enorme Höhe von 116 Metern.
Aber wie fein und klug sind diese drei Hauptteile
selbst gegeneinander abgemessen und abgewogen!
Sieht man eine Zeichnung oder Abbildung des Tur-

Sein Kern ist quadratisch und seine Mauern sind mes, misst man die einzelnen Teile mit dem Zirkel,
verstärkt und versteift durch sehr kräftige, an den so könnte man versucht sein, die Richtigkeit der
Ecken angestemmte Strebepfeiler, welche allein in die Verhältnisse derselben in Zweifel zu ziehen; es könnte
sonst ruhende, nur wenig gegliederte und durch- der Sockel, der quadratische Unterbau im Vergleich
brochene Masse ein Aufstreben bringen, indem sie zur Höhe des Überbaues zu niedrig bemessen er-
in mehreren Absätzen sich verjüngen; diese Absätze scheinen; man könnte bemängeln, dass die Pyramide
sind sehr glücklich mit kleinen Tabernakeln für Sta- fast zwei Fünftel der ganzen Höhe für sich beansprucht,
tuen besetzt; die obersten Tabernakel schwingen sich volle 43 Meter von den 116, gegen 37 Meter des
in freiragenden Fialentürmchen noch über die Galerie Viereckbaues und 36 Meter des Achtecks. Aber ge-
hinaus. So schlicht und fast nüchtern dieser Unter- rade in diesen Verhältnissen beruht die unvergleich-
bau sich präsentiert, er ermangelt der Schönheit und liehe Harmonie des Ganzen; sie hat ein Auge an-
Pracht durchaus nicht, nur verschließt er sie ab- geordnet, welches ganz genau abwog, wieviel die
sichtlich ganz in sein Inneres. Seine Mauermassen oberen Teile gestreckt werden mussten, um in dieser
bergen die schönste Vorhalle der Welt mit ihrem Höhe noch die gewünschte Wirkung hervorzurufen,
wunderbaren Reichtum von Skulpturen -- eine er- Dieser erstaunliche perspektivische und optische
greifende Vorrede und würdige Einleitung zu der Scharfblick des unbekannten Meisters und nicht ein
Predigt des Innern des Domes. glücklicher Zufall war es wohl auch, welcher der
In ganz genialer Weise wird der viereckige Unter- Pyramide zu einer ganz besonders guten Wirkung
bau ins Achteck übergeleitet. Schon unterhalb der verhalf. Sie ist darin begründet, dass ihre Rippen
Galerie fängt er an, seine Ecken einzuziehen und zu nicht ganz geradlinig zulaufen, sondern in sanft ge-
brechen, sich zu gliedern, eine Gestalt anzunehmen, wellten, ausgebogenen Kurven. Daher kommt es,


 
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