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Krebs, Maria mit dem Schutzmantel

„ihm: ,Damit du sie aufrichtig liebest und eifriger
„für sie betest, will ich deiner Liebe meine Brüder
„und Söhne empfehlen.' Als jener freudig zustimmte
„und nicht anders meinte, als dass dies die Brüder
„seines Ordens wären, sagte ihm die hl. Jungfrau:
„,Ich habe auch andere Brüder, die ich hegend und
„schirmend als Patronin umarme.' Und bei diesen
„Worten öffnete sie den Mantel und zeigte ihm dar-
unter dichtgedrängt die Brüder des Predigerordens
„und fügte hinzu: ,Diese sind's, die in besonderer
„Weise der Aufgabe sich widmen, dass Christi Blut
„nicht unnütz vergossen sei1.'"

Man kann sich des Gedankens kaum erwehren,
dass wir hier eine ursprünglich scherzhafte Umdich-
tung der Geschichte des Heisterbachers vor uns
haben. Wer in Ordenskreisen bekannt ist, wird oft
genug Gelegenheit haben, zu beobachten, wie die
Söhne verschiedener Orden sich gegenseitig in harm-
loser Weise necken und ihren Spässen dabei ein
geistlich Gewändlein umtun. Im Mittelalter, wo der
Besitz des katholischen Glaubens und die Mitglied-
schaft der Kirche dem einzelnen viel selbstverständ-
licher war, und wo ein Scandalum pusillorum viel
weniger als heutzutage gefürchtet werden musste,
mögen diese neckenden Scherze wohl noch zahl-
reicher und unbefangener weitererzählt worden sein
Nun denke man sich einen Dominikaner, der die
Zisterziensergeschichte, wie sie Zaesarius berichtet
hat, kennt, im Gespräche mit einem vielleicht jüngeren
Zisterzienser, der hierin noch unbewanderter ist;
und die plötzliche unerwartete Wendung im Fortgang
der Erzählung, wo dem erstaunten Zisterzienser nicht
seine Ordensbrüder, sondern die Dominikaner unter
Mariens Mantel gezeigt werden, wird uns nicht mehr
schwer verständlich scheinen. Was vielleicht ur-
sprünglich ein Scherz, ward später ernsthaft weiter-
erzählt, und dass Thomas von Chantimpre nicht der
vorsichtigste Anekdotensammler gewesen, ist bekannt2.
Indes, wie dem auch sei, diese Erzählung des Thomas
zeigt, wie die andern, dass die ursprünglich zister-
ziensische Legende bald vom Dominikanerorden für
sich übernommen und überall in der verschiedensten
Weise erzählt wurde. So konnte es nicht fehlen,
dass der schon einmal genannte Dietrich von Apolda
in seinem an Wundern reichen Dominikusleben,
das von der einfach frommen Vita Dominici des
ersten Nachfolgers des Stifters sich merkwürdig ab-
hebt, nun endlich die Legende vom hl. Ordensvater
selbst erzählt und zwar mit der ganzen Breite eines
behaglichen Schilderers. Er berichtet zunächst, dass
Dominikus, als er einst im Schlafsaal seines Klosters

1 Thomas Cantimpretanus 1. c.

2 Vgl. A.Kaufmann, Thomas von Chantimpre. Erste Vereins-
schrift der Görresgesellschaft für das Jahr 1899. S. 28.

wachend die Nacht verbrachte, plötzlich die hl. Jung-
frau mit St. Zäzilia und St. Katharina gesehen und
von der Himmelskönigin die Versicherung erhalten
habe, sie lege für die Prediger jedesmal ihre Für-
bitte bei Gott dem Sohne ein, so oft die Brüder das
Eja ergo advocata nostra sängen. Dann fährt Diet-
rich fort: „Der hl. Mann kehrte zu dem Platze zu-
rück, wo er zuvor gestanden, und wollte beten. Und
siehe, plötzlich kam die Hand des Herrn über ihn
und entrückte ihn im Geiste vor Gott, und er sah
den Herrn auf dem Throne und seine Mutter zur
Rechten sitzend, die glorreiche Jungfrau bekleidet
mit einem saphirfarbenen Mantel. Und als er um-
her sah, erblickte er rings geistige Väter jeder Na-
tion, die aus ihren hl. Ordensgenossenschaften
Christo geistige Söhne und Töchter gezeugt hatten;
unzählige Scharen, die im Anblick des Allerhöchsten
jubelten; und als er nun dort keinen von seinen
Söhnen sah, errötete er und wurde im Innersten
verwirrt und begann bitterlich zu weinen. Erschreckt
durch die Herrlichkeit und Majestät des Herrn stand
er von ferne und wagte nicht, dem Antlitz der Glorie
und der Hoheit der Jungfrau zu nahen. Aber un-
sere Frau winkte ihm mit der Hand, dass er zu ihr
komme. Doch er erzitterte und bebte, und nahm
sich nicht heraus, vorzutreten, bis ihn auf gleiche
Weise der Herr der Herrlichkeit rief. Verwirrt
und demütigen Sinnes, mit zerknirschtem Herzen
und ganz von bittern Tränen übergössen, warf er
sich andachtsvoll und demütig dem gnadenvollen
Sohne und seiner Mutter zu Füßen. Und der
Tröster der Weinenden, der Herr der Glorie, sagte
zu ihm: ,Stehe auf!' Und als er vor dem Herrn
stand, frug er ihn: ,Warum weinst du so bitterlich?'
Er antwortete: ,Weil ich in der beseligenden An-
schauung der Glorie Menschen jedes Ordens er-
blicke; von den Söhnen meines Ordens aber -- o
des Schmerzes - keinen einzigen sehe.' Darauf
der Herr: ,Willst du deinen Orden sehen?' Und
jener: ,Danach verlange ich, mein Herr und Gott.'
Da legte Gottes Sohn seine Hand auf die Schulter
seiner jungfräulichen Mutter und sprach zu ihm:
,Deinen Orden hab ich meiner Mutter anvertraut.'
Und da er nun mit herzlichem Sehnen noch immer
seinen Orden zu sehen verlangte, da sagte der Herr
abermals: ,Willst du ihn wirklich sehen?' Und er
erwiderte: ,Das wünsche ich, o Herr!' Und siehe,
die jungfräuliche Mutter schlug auf einen Wink
ihres Sohnes den Mantel, der sie kostbar umhüllte,
auseinander und öffnete ihn und breitete ihn weit
vor ihrem tränenvollen Knecht Dominikus. Und der
Mantel war ein Gewand von solcher unermesslichen
Ausdehnung, dass er das ganze himmlische Vater-
land in süßer Umschlingung fassen konnte. Unter

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