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Schuster, Der Lettner

die Behauptung aufgestellt, dass die Fassade der
Heiliggrabkapelle und der Lettner einen gemeinsamen
Urheber haben.

Sichere Nachrichten über den Erbauer brachte
Karl Schaefer in dem Aufsatz „Die Baukunst des
XVI. Jahrhunderts in Freiburg" in der Zeitschrift
für die Geschichte des Oberrheins, Neue Folge,
Bd. IX Heft 4, durch Auszüge aus den Ratsproto-
kollen im Stadtarchiv (siehe Beilage 1). Wir lernen
hier zuerst den Namen des
Erbauers kennen, Hans Bö-
ringer, der dem Rate am
6. Juni 1575 von den Pflegern
zum Werkmeister am Münster
vorgeschlagen und am 9. Ok-
tober desselben Jahres für
diese Stelle angenommen
wurde. Als Ort seiner Her-
kunft wird sowohl Dinkels-
bühl als auch Rottweil ge-
nannt; vermutlich bezeichnet
die eine Stadt den Ort seiner
Geburt, die andere den seiner
damaligen Tätigkeit. Sein Vor-
gänger war wahrscheinlich
Georg Kempf der Jüngere.

Kurz vor dem 6. Juni
hatte ein schwerer Blitzschlag
die Turmspitze getroffen,
nachdem erst 14 Jahre vorher
eine gleiche Beschädigung
weitgehende Reparaturen er-
fordert hatte. Die Wieder-
herstellung der Pyramide war
jedenfalls Böringers erste Tä-
tigkeit am Münster, zu deren
Erinnerung er sein Meister-
zeichen an der Kreuzblume
des Turmes anbrachte. Sein
Zeichen mit der Jahreszahl
1577 findet sich auch an dem
Maßwerkgeländer der St. Mi-
chaelskapelle.

Im Januar 1578 beschloss der Rat, die Heilig-
grabkapelle, deren Innenarchitektur und Figuren
aus früherer Zeit stammen, ausbauen, d. h. mit einer
Fassade gegen den Münsterplatz versehen zu lassen.
Dieses zierliche Werk, das noch im gleichen Jahre
beendet wurde, zeigt uns Böringer als einen Gotiker,
der dem ausgearteten Stil der Spätzeit abhold war
und durchaus korrekte, elegante Formen zu schaffen
verstand; nur die Engelsköpfe unter den Fialen
weisen auf die Vertrautheit des Meisters mit der
Renaissancekunst.

Hans Böringer.

Gleichzeitig mit dem Ausbau der Heiliggrab-
kapelle war beschlossen worden „das portal auch dem
muster gemeß, darunder man die kinder insegnet, für-
nemen zu lassen", sobald die andere Arbeit erledigt
sein würde. Die Ausführung dieses Projekts unterblieb
aus unbekannten Gründen, auch wissen wir nicht, ob
Böringer überhaupt einen Entwurf anfertigte; erst
1615 und 1616 ist wieder in den Ratsprotokollen von
der Sache die Rede und in den folgenden Jahren

wurde die Vorhalle vor je-
ner Türe wirklich ausgeführt.
Sie hat zwar in der ganzen
Anordnung eine auffallende
Ähnlichkeit mit dem Lettner,
doch verrät namentlich das
Ornament eine andere, schwä-
chere Hand; ihr Urheber hat
sich entweder den Lettner
zum Vorbild genommen, oder
einen Entwurf Böringers unter
eigener, freier Gestaltung der
Einzelformen ausgeführt. Das
Werk trägt an der südöst-
lichen Ecke der Brüstung ein
Meisterschild mit den Buch-
staben M. G. W. D. B. und
die Jahreszahl 1620. Gegen
die von Geiges vorgeschlagene
Deutung dieser Inschrift als
„Michel Glück, Werkmeister
dieses Baus" erhob Schaefer
den Einwand, dass der Meister
Michel Glück erst seit 1624
festgestellt sei. In der 1903
veröffentlichten Geschichtli-
chen Ortsbeschreibung der
Stadt Freiburg wird jedoch
schon 1613 Michel Glück
als „Werkmeister an U. 1. F.
Hütten" und Besitzer des
Hauses zurMulden, jetzt Kon-
viktstraße 19, und 1621 zur
Granaten, jetzt Eisenbahn-
straße 32, bezeichnet; es liegt somit kein Grund
mehr vor, die Vorhalle dem Michel Glück abzu-
sprechen. Eine rege Bautätigkeit in den Jahren
1598 und 1599, die Schaefer als möglicherweise auf
die Vorhalle bezüglich erwähnt, betrifft wahrschein-
lich den Ausbau eines Gemaches über der Sakristei,
der 1597 durch Ratsbeschluss den Pflegern auf-
getragen wurde; der Schlussstein des Gewölbes in
jenem Raum trägt die Jahreszahl 1598.

An den Geländerpfosten der Vorhalle sind die
Wappen und, nur zum Teil noch erkennbar, die
 
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