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Stehlin, Ober die alten Baurisse des Freiburger Münsterturms

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Einzeltürme mit einem Portal im Erdgeschoss, beide
haben an den viereckigen Untergeschossen Strebe-
pfeiler und am achteckigen Obergeschoss, das die
gleiche Breite hat wie das Viereck, hohe dreiteilige
Fenster mit Wimpergen. Allein diese generellen
Verwandtschaftsmerkmale haben sie mit noch man-
chem andern Turme gemein. Dagegen fehlen in der
Zeichnung fast gänzlich die individuelleren Züge des
bestehenden Turmes. Das einzige, was man etwa
als solchen bezeichnen kann, sind die Ziergiebelchen
an den Fenstern des Obergeschosses; aber diese
reichen doch wohl kaum hin, um eine engere Zu-
sammengehörigkeit zu beweisen. Im Übergang zum
Achteck erkennt man nichts von den charakteristi-
schen Eigenheiten des Freiburger Turmes; das Ge-
schoss über der ersten Galerie scheint noch vier-
eckig zu sein, bloß dass die Ecken des kommenden
Achtecks durch leichte Rücksprünge der Wandflucht
markiert sind; über der zweiten Galerie, wo die Eck-
türmchen sich vom Achteck lösen, scheinen sie ihres-
teils die Gestalt von achteckigen Tabernakeln an-
zunehmen. Die Zugehörigkeit des AloZZerschen Auf-
risses zum Turm des Freiburger Münsters muss
daher wohl, solange bloß die beiden Objekte zur
Vergleichung vorliegen, als sehr zweifelhaft bezeich-
net werden. Wir werden im weiteren Verlaufe auf
einem Umwege zu dem Ergebnis gelangen, dass ein
gewisser Zusammenhang dennoch vorhanden ist.

Der Rahnsche Aufriss.

Wir reproduzieren die Zeichnung des zu Frei-
burg in der Schweiz befindlichen Blattes nach der
Abbildung bei Rahn (Fig. 10). Obgleich diese nicht
durch direkte mechanische Verkleinerung des Per-
gamentrisses hergestellt ist, gibt sie alle Einzelheiten
mit einer für unsern Zweck hinreichenden Genauig-
keit wieder. Eine willkürliche Zutat ist lediglich die
oberste Turmspitze; die Vorlage endigt oberhalb der
dreizehnten Krabbe.

Der Pergamentriss selbst ist ohne Zweifel keine
Originalzeichnung, sondern eine Kopie. Schon das
Vorhandensein eines zweiten, ganz heterogenen Turm-
risses auf der Rückseite deutet darauf hin, dass wir
es mit Studienmaterial zu tun haben, welches ent-
weder von der Bauverwaltung der St. Nikolaskirche
oder privatim von einem Steinmetzen gesammelt
worden war. Es kommt hinzu, dass die Ausfertigung
der Zeichnung, wie Rahn zutreffend erörtert, eine
ungeübte Hand verrät. Noch deutlicher aber als der
bloße Mangel an Gewandtheit der Federführung
spricht der Mangel an Verständnis für die Bauformen,
der an bestimmten Stellen zutage tritt. An den
Tabernakeln unmittelbar über der unteren Galerie
zeigt sich eine völlig missverständliche Verrückung

Freiburger Münsterblätter IV, 1.

aller Linien nach rechts. Das Tabernakel auf dem
vorderen Strebepfeiler, (c») muss natürlich auf der
Pfeilermitte stehen, das auf dem seitlichen (c1) darf
nicht über die Pfeilerkante vorkragen. Ähnliche Ver-
schiebungen bemerkt man an den Fialen am Fuße
des Helmes. Es ist nicht unwichtig, diese Unvoll-
kommenheiten der übertragenen Darstellung zu kon-
statieren, weil sie bei der Deutung der einzelnen
Formen mit in Betracht fallen.

Rahn hält die Zeichnung für ein in Anlehnung
an den ausgebauten Freiburger Turm entworfenes
Projekt. Wir müssen gestehen, dass uns diese Er-
klärung von vornherein nicht sehr wahrscheinlich
vorkommt. Sie mutet dem Verfertiger der Zeich-
nung zu, dass er einerseits manche Partien sklavisch
kopiert, und daneben anderseits gerade das Beste,
die Überleitung ins Achteck, unglaublich verballhornt
hätte. Wir versparen unsere Hypothese über die
Entstehungsgeschichte des Risses und wollen den-
selben zuerst analysieren.

Die Verwandtschaft des Entwurfes mit dem Turme
des Freiburger Münsters offenbart sich zunächst im
Unterbau, der bis oberhalb des St. Michaelsgeschosses
in allen Hauptstücken und mit durchschnittlich rich-
tigen Abmessungen die getreue Wiedergabe des be-
stehenden Baues darstellt1. Die Öffnungen des Por-
tales und des St. Michaè'lsfensters, die Folge der
horizontalen Gesimse, die Absätze der Strebepfeiler
und die Tabernakel an ihren Rückenflächen stimmen
Punkt für Punkt. Bloß in der dekorativen Aus-
gestaltung zeigen sich Unterschiede: Die Ver-
dachungen an den Tabernakeln der Strebepfeiler sind
jedesmal durch eine lange Fiale in die Höhe ge-
streckt, der Wimperg über dem Portal trägt Krabben
und eine hohe Kreuzblume, an den nach dem Por-
tal gerichteten Seitenflächen der Strebepfeiler sind
Konsolen und Baldachine angebracht, das St. Michaels-
fenster hat ein anderes Maßwerk und endlich zeigt
das Portal an Gewänden und Bogen ein gleichmäßig
durchlaufendes, von keinen Kapitalen unterbrochenes
Profil; dasselbe setzt sich aus vielen schmalen Glie-
dern zusammen und könnte mit dem Bogenprofil,
nicht aber mit dem Gewändprofil des ausgeführten
Portales übereinstimmen.

Über dem St. Michaëlsgeschoss beginnen die Ab-
weichungen in den großen Baukörpern. Das Uhr-
geschoss fehlt, an der Stelle seines Fußgesimses
zieht sich eine Galerie um das Turmviereck und
die Strebepfeiler. Von den oberen Teilen stimmt
das Achteck in seinen Grundformen, so viel sich
erkennen lässt, mit dem bestehenden überein. Es

1 Die einzige erheblichere Maßdifferenz besteht darin, dass
das dritte Gesimse samt dem St. Michaelsfenster um nahezu
2 m (1 Klafter?) höher sitzt als am ausgeführten Turm.

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