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Relief von der Brüstung der Kapelle Kaiser Karls V. und Ferdinands I.

Das

St. Annen-Fenster im jetzigen Alexander-Chörlein.

Von

Kunstmaler Professor Fritz Geiges.

as Maß der Verehrung, welches die Kirche
den einzelnen Heiligen angedeihen lässt,
ist nicht allein örtlich, bedingt durch
deren Patronate, ein verschiedenes, son-
dern es ist ebenso auch zeitlich, unter
dem Einfluss der wechselnden Kulturverhältnisse und
der daraus entspringenden ungleich gearteten Re-
gungen der Volksseele, mehr oder weniger dem steten
Wandel unterworfen. Welche bevorzugte Rolle spielte
nicht, um nur auf zwei durch lokale Erscheinungen
belegte Beispiele hinzuweisen, im Mittelalter die hl.
Katharina von Alexandrien, welche in und am Frei-
burger Münster über einhalbdutzendmal im Bild ver-
herrlicht ist, während sie im Darstellungsgebiet der
neueren kirchlichen Kunst fast ganz verschwindet;
und das gleiche Los ist dem ursprünglichen, sagen-
haften Patron der Stadt Freiburg, dem Ritter Georg,
widerfahren, welcher durch den hl. Alexander, dessen
Gebeine Stadtrat Georg Schächtelin im Jahre 1650
auf seinem Rücken von Rom nach Freiburg brachte,
vollständig aus Rang und Würden verdrängt wurde.
Eine der bemerkenswertesten Erscheinungen auf
diesem Gebiete ist jedoch die ungewöhnlich gestei-
gerte Verehrung, welche die hl. Anna, die Mutter
Mariens, im ausgehenden Mittelalter genoss.

Zurückgeführt wird diese eigentümliche Strö-
mung im Glaubensleben dieser Zeit, welche um die
Wende des 15. Jahrhunderts ihren Höhepunkt er-
reichte, auf die Vision der Reformatorin des Klarissen-
ordens, die selige Coleta Boylet (geb. um 1388, gest.
zu Gent 1447), welcher im Jahre 1406 die hl. Anna

Freiburger Münsterblätter IV, 2.

mit ihren drei Töchtern und deren sieben Kindern
erschienen war, worüber ihr Biograph Stephanus
Julianus eingehend berichtete. Diese Annahme ist
jedoch nur bedingt zutreffend. Am augenfälligsten
zeigt sich die ganze Entwicklung in den Äußerungen
der zeitgenössischen Kunst. Während vor dem
14. Jahrhundert in der römisch-katholischen Kirche
Darstellungen der Mutter Anna äußerst selten sind
und wenn wir von solchen absehen, bei welchen die
Heilige nicht um ihrer selbst willen behandelt ist,
sondern nur in Verbindung mit einem biblischen
Vorgang auftritt, gleichwertig allen übrigen Figuren
der Szene, mehren sich Einzeldarstellungen bezw.
Bilder, bei welchen sie den Mittelpunkt des Ge-
dankens bildet, nach genannter Zeit verhältnismäßig
rasch. Diese Erscheinung kann aber nur aus einem
gesteigerten Bedürfnis erklärt werden, auch wenn
man in Rechnung zieht, dass der erhaltene Bilder-
schatz an sich ein merklich reicherer ist. Ich ver-
mag mir die im ausgehenden Mittelalter einsetzende
Huldigung, welche das Volk der Mutter Mariens ent-
gegenbrachte, nur in Verbindung mit der begeisterten
Verehrung der jungfräulichen Mutter selbst zu er-
klären, gleichsam als eine natürliche Reflexwirkung
derselben. Dafür spricht schon der ganze Ideengang
der Dichter und die Dialektik, welche die späteren
Rechtfertigungsschriften beherrscht. Jedenfalls fehlt
es nicht an unabweisbaren Belegen dafür, dass in
manchen Gegenden und Volkskreisen die St. Annen-
verehrung früher auftritt, als gemeinhin angenommen
wird. Schon die Tatsache, dass Papst Urban VII.

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