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Geiges, Das St. Annen-Fenster im jetzigen Alexander-Chörlein

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gruppen. Die Schrift in dem Buch ist nur andeutend
wiedergegeben; die mit miniaturartiger Sorgfalt be-
handelte Illustration stellt Moses mit der ehernen
Schlange dar, das bekannte alttestamentarische Vor-
bild von Christi Kreuzestod.

Hinter der Bankrückwand stehen, etwas erhöht
und von ersterer bis zur Brust verdeckt, auf ge-
mustertem Grunde der Nährvater Jesu sowie die drei
Ehemänner der Mutter Anna; der hl. Joseph über
Maria, Joachim über Anna, Salomas und Cleophas
über ihren Töchtern. Nachdenklich lauscht, auf die
Brüstung gelehnt, das Haupt auf die Linke gestützt,
Salomas, gleichwie der in seiner Lektüre gestörte
aufmerksam aufblickende Joachim, dem von ent-
sprechenden Gesten begleiteten Gedankenaustausch
zwischen dem hl. Joseph und Cleophas, dessen
leitende Ideen sich wohl in den prophetischen Aus-
sprüchen konzentrieren, welche auf den dekorativen
über den Häuptern angebrachten verschlungenen
Spruchbändern in markiger gotischer Minuskelschrift

nung lag nicht vor, da angesichts der getroffenen
Anordnung wenigstens hinsichtlich der erwachsenen
Personen irgend welche Zweifel ausgeschlossen ge-
wesen wären. Der hl. Joseph ist auch durch das
über die Schulter gelegte Zimmermannsbeil charak-
terisiert. Die den Kindern beigegebenen Spielgeräte
sind dagegen keine stereotypen Attribute. Sie kom-
men auch auf andern Sippenbildern vor, aber nicht
immer in gleicher Verteilung.

Im Kostüm der Figuren herrscht die übliche
Verquickung von traditioneller Gewandung und zeit-
genössischer Tracht. Einzelne Untergewänder sind
mit Pelz verbrämt und zur Belebung als Brokat-
stoffe behandelt oder durch Schrift dekoriert.

„SUCURRE • NOBIS • MARIA"
stehtauf dem Miedersaume der Gottesmutter gewisser-
maßen als Fortsetzung der Umschrift des Nimbus. Die
an hebräische Bildungen gemahnenden Schriftzeichen
auf dem Brustlatz des Salomas (Abb. 13) entziehen
sich meiner Deutung1", ebenso wie die Buchstaben auf

9. —12. Musterung des Fliesenbodens. (1/s Originalgröße.)

verzeichnet sind. Diese lauten von. rechts beginnend
ungekürzt:

„Egredietur virga de radice Jesse,
Et flos de radice ejus ascendet. ESAYE 11."
(Ein Sprosse wird aus Jesses Wurzel hervorgehen
Und eine Blume wird aus seiner Wurzel erblühen.)
„Sedes tua Deus in seculum seculi. PS. 44."
(Dein Thron, o Gott, währt in Ewigkeit)
„Sedes super domum David. PS. 121" (?).
(Dein Thron wird sein im Hause Davids.)

In den Nimben der Figuren sind, mit Ausnahme
des Jesukindes, dessen Nimbus mit dem üblichen
Kreuzzeichen geschmückt ist, deren Namen, teils mit
Zusätzen, wie folgt, eingeschrieben:

SALOMAS. -- IOACHIM.
S • IOSEPH • SPONSVS • MAR. - CLEOPHAS. -
MARIA • SALOME. - SANCTA • ANNA.
O • VIRGO • ET • MATER • PVRA • SVCVR.

MARIA- CLEOFE • ORA • PRO ■ N.
IACOBVS • MAIOR • — S • IOHANES • EW-
S • IVDAS • TATH • — S ■ IOSEPVS • IVSTVS •
S • IACOBVS • MINOR ■ - SANCTVS • SIMON •

Diese Namensbeifügung hat mehr dekorativen
Wert; die Notwendigkeit einer solchen Kennzeich-

dem Vasenhals im ersten Maßwerksfeld (Abb. 14).
Sie haben vielleicht, wie damals öfter, nur dekora-
tiven Wert. Die fünf Vokale der Kugelinschrift in
der zweiten Bahn (Abb. 15) bilden die verschieden
ausgelegte Devise des Hauses Habsburg:

Austria Est Imperare Orbi Vniverso.

Eine wechselnde Ornamentierung in etwas schwul-
stig phantastischen Formen deutscher Renaissance,
zusammengesetzt aus Muscheln, Vasen, Delphinen,
Füllhörnern und Festons, füllt die Bogenschlüsse der
einzelnen Bahnen sowie die Maßwerkszwickel. Die
Granatschnüre könnten unter Bezugnahme auf das
alte Freiburger Wahrzeichen, die Paternosterschnur,
gedacht sein, das auch Sebastian Münster in seiner
Kosmographie dem Kapitel über die Stadt Freiburg
als Charakteristikum beifügt11.

Als Ganzes betrachtet ist die Komposition von
einem glücklichen Aufbau, von klarer Silhouettierung
und von harmonischem Rhythmus in Verteilung der
Massen, die Behandlung im einzelnen trotz mancher
reizvoller intimer Züge einfach und breit. Dabei
soll nicht verkannt werden, dass sich Konzeption
und Einzeldurchbildung nicht durchgehend auf der
 
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