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52

Geiges, Das St. Annen-Fenster im jetzigen Alexander-Chörlein

gleichen Höhe halten. Dem ganzen Werke haftet in
letzterer Hinsicht bei aller Flottheit des Charakters
eine etwas handwerkliche Mache an, der sichtliche,
bei dem großen Maßstab noch mehr hervortretende
Mangel einer ausreichenden Beherrschung der Form.
Trotzdem beeinflussen die verschiedenen Schwächen
solcher Art, die sich ebensowohl in der Propor-
tionierung der Figuren wie in der Unbeholfenheit bei
Gestaltung ihres Details verfolgen lassen, angesichts
der wohltuenden Frische des ganzen Vortrags nicht
störend fühlbar den Genuss des Gesamteindrucks,
sofern wir nicht mit einem Maßstab an die Beurteilung
des Werkes herantreten, der angesichts der ganzen
Natur desselben nicht am Platze ist.

Wenn sich einerseits bei der ungewöhnlichen
Nähe, in welche das Fensterbild dem Beschauer ge-
rückt ist, die mancherlei zeichnerischen Schwächen
unserer Kontrolle nicht zu entziehen vermögen, so
werden uns anderseits dadurch bei prüfendem Ein-
gehen auf das Kleine auch
verschiedene reizvolle
Einzelheiten zu Genuss
gebracht, die bei größe-
rem Abstand vom un-
bewaffneten Auge nicht
mehr erfasst werden könn-
ten. Die liebevolle Durch-
bildung aber, welche wir
überall da wahrnehmen
können, wo das Können
dem Wollen die Wage
hielt, beeinflusst uns, an-
gesichts der Überzeugung, dass der Künstler sein
Bestes eingesetzt, unbewusst versöhnend und stimmt
uns nachsichtig auch in der Beurteilung des Ganzen,
und solche ausgleichende Momente machen sich auch
geltend angesichts einzelner nicht geringer Verstöße
gegen unser geschärftes ästhetisches Empfinden.

Anders verhält es sich mit den augenfälligen
Fehlern in der Perspektive, welche die Komposition
aufweist. Der fraglos in quadratischer Teilung ge-
dachte Fliesenboden konnte ja schließlich auch dem-
entsprechend projiziert sein, aber eine Richtigstellung
der falschen Linienführung in der Zeichnung der
Bankrückwand, welche den Eindruck erweckt, als
ob diese als die Brüstung einer beiderseits ansteigen-
den Rampe gedacht wäre, läge kaum im Interesse
eines befriedigenden Aufbaues. Der Künstler hatte die
aufsteigenden Linien der Bankrückwand benötigt, und
er hat sich jedenfalls nicht den Kopf darüber zer-
brochen, ob das, an der Wirklichkeit der Dinge ge-
messen, korrekt wäre. Wenn die gewählte Linien-
führung auch nicht den unwandelbaren optischen
Gesetzen entspricht, so genügt sie doch jenen wohl-

13. Hebräische (?) Inschrift auf dem Miedersaum des Salomas.
C/j Originalgröße.)

verstandener dekorativen Kunst, und das ist für die
Beurteilung allein ausschlaggebend. Dieser Tatsache
gegenüber käme der Frage nur rein akademische
Bedeutung zu, ob der Meister bei anderem Wollen
eine perspektivisch fehlerlose Konstruktion auch ge-
funden hätte. An solchen Problemen ist oft genug
selbst die Kraft größerer Zeitgenossen gescheitert,
so einfach deren Bewältigung uns auch heute er-
scheinen mag.

Viel mehr als in der Form, die immer nur der
Träger der Farbe ist, liegt bei der Kunst des Glas-
malers der Schwerpunkt der künstlerischen Qualität
seines Werkes in der richtigen Behandlung der Licht-
und Farbwerte, ein Satz, der in allen Fällen uneinge-
schränkt Geltung behält. Damit soll jedoch natürlich
nicht gesagt sein, dass die Form an sich gegenstandslos
wäre und ohne Beeinträchtigung der künstlerischen
Vollkommenheit vernachlässigt werden dürfe. Der ge-
reifte Meister wird in allem die gleiche Vollendung er-
streben und auch zu er-
reichen wissen, aber die
beste Zeichnung wird uns
kalt lassen, wenn die Farb-
gebung verfehlt ist, wäh-
rend umgekehrt immer
noch ein wohltuender Ef-
fekt erzielt werden kann.
Drastisch wird das durch
die Wahrnehmung belegt,
dass ein Glasbild formal
selbst völlig aus dem
richtigen Zusammenhang
gerissen sein kann, ohne dass es — zumal wenn uns
das bei größerem Abstand nicht zum unmittelbaren
Bewusstsein gelangt — einen unkünstlerischen, reiz-
losen Eindruck weckt, sofern nur zufällig eine glück-
liche Verteilung der Licht- und Farbwerte gewahrt
bleibt. Und das ist ein weiteres gewichtiges Moment,
was die geschilderten Mängel in der Wirkung des
Ganzen zurücktreten lässt. Der Reiz der Farbe über-
wiegt im durchfallenden Lichte jenen der Form. Der
prickelnde, blendende Glast lässt das Auge nicht ent-
fernt mit der Ruhe haften auf der Zeichnung an sich,
wie das unter allen Umständen bei dem ungleich
schwächeren, opaken Lichte, in dem sich jede an-
dere Malerei darbietet, möglich ist. Immer bleibt es
aber zweierlei, ob wir unbefangen die Reize des
dekorativen Werkes auf uns einwirken lassen, oder
ob wir dasselbe, in seine einzelnen Teile zerlegt, als
kritische Beobachter prüfend unter die Lupe nehmen.
Im ersteren Falle werden wir die normalen in der
Eigenart der Technik begründeten konstruktiven Ele-
mente des Bildes, die dunkeln Durchschneidungen
des Steinrahmens, das Eisengerippe der Sturmstangen
 
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