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Geiges, Das St. Annen-Fenster im jetzigen Alexander-Chörlein

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im Gotteshaus sich geltend machte, die man außer-
dem auch begehrte, um die reichen Schnitzwerke
und die herrlichen, lebensvollen Tafelbilder un-
eingeschränkt genießen zu können, mit welchen eine
fortgeschrittenere Kunst die neuen Altarschreine
schmückte. Zu einem völligen Verzicht auf den alt-
gewohnten Schmuck bunter Fenster vermochte man
sich in seiner immer noch lebendigen Farbenfreude
darum aber doch noch nicht zu entschließen. Den
veränderten Ansprüchen suchte man vielmehr zu-
nächst vorwiegend in der Weise gerecht zu werden,
dass man, gleich der im Wohnbau üblich gewordenen
Anordnung, nur einen Teil der Fensteröffnungen mit
farbigem Bildschmuck versah, die restierende Fläche
hingegen durch Rauten oder, wie das ja auch bei
sämtlichen Chorfenstern geschah, durch farblose
Nabelscheiben schloss1-'.

Dieses sichtlich gesteigerte Lichtbedürfnis kommt
auch in einer Rechnungsnotiz der Münsterhütte von
1512 zum Ausdruck, der zufolge man die bunte
Maßwerksverglasung zweier Lichtgadenfenster gegen-
über der neuen 1503 an Meister Grünbach von Ulm
verdingten Orgel durch einfache Nabelscheiben er-
setzte13: der erste verhängnisvolle Schritt auf dem
Wege, der schließlich aus den gleichen Erwägungen
zur Beseitigung und Vernichtung eines nennenswerten
Bestandes der ursprünglichen farbenprächtigen Schiff-
fenster führte.

Es ist ein glänzendes Zeugnis für die Originalität
unseres Meisters, dass er bei Durchführung der ge-
stellten Aufgabe den ausgetretenen Pfad vermied, der,
angesichts der gegebenen Verhältnisse des Bildfeldes,
für das darzustellende Sujet kaum eine gleich monu-
mentale Lösung ermöglicht hätte. Es war aber zu-
gleich auch ein kühner, ungewohnter Griff, in einen
Raum von solch bescheidenen Ausmessungen Figuren
von nahezu Lebensgröße zu stellen. Ergibt sich doch
bei einer Grundfläche der Kapelle von nur etwa 4'/2
auf 578 m Seitenlänge für den Beschauer ein Abstand
von höchstens 4 m, was nicht einmal der Diagonale
der figuralen Partie des Fensterbildes gleichkommt.
Wenn uns das in keiner Weise störend zum Bewußt-
sein kommt, so ist solches eben allein der wenig auf-
dringlichen Farbgebung zuzuschreiben.

Der hierin begründete wunderbare Reiz des
Fensters ist übrigens nicht nur allzeit erkannt und
gewürdigt worden, demselben bezw. der damit ver-
knüpften relativen Farblosigkeit verdanken wir auch
allein dessen Erhaltung. Als man nämlich zu Aus-
gang des 18. Jahrhunderts unter dem Drang eines
gedankenlosen, unbegrenzten Lichtverlangens die
ernste Frage erwog, inwieweit dem Münsterinnern
durch Entfernung eines Teils seiner bereits nicht mehr
lückenlosen, farbigen Verglasungen das begehrte Licht-

17. Ausschnitt aus dem St. Annenfenster.
 
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