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Geiges, Das St. Annen-Fenster im jetzigen Alexander-Chörlein

quantum zugeführt werden könnte, da fand vor dem
strengen Richterstuhl der herrschenden Mode nur
unser St. Annenfenster volle Gnade, und wenn glück-
licherweise auch der größere Teil der übrigen Glas-
malereien dem drohenden Geschick der Vernichtung
entging, so haben wir
das in erster Linie
dem Umstand zu dan-
ken, dass zur Ver-
wirklichung des vor-
schwebenden Ideals
der blanken Vergla-
sung die erforder-
lichen Mittel man-
gelten.

„Sonder die Fen-
ster, die in dem
St. Alexanderchörle
seind", so schrieb
der damalige Pfarrer
von Buchholz, Jos.
Felician Geißinger, in
seinen 1787 verfass-
ten, oft angeführten
Aufzeichnungen —
„bleiben ganz unbe-
rührt, weil sie weiß
sind und die schön-
sten im Münster
sind" u.

Auch Marmon
spendet dem Fenster
der St. Annakapelle
in seinem vor 30 Jah-
ren erschienenen
Münsterführer15 mit
den Worten Lob: „Die

hier befindlichen
Glasgemälde, deren
Farben aber ganz ver-
schwunden sind, so
dass sie in Grau er-
scheinen, gehören zu
den schönsten aus
dem Anfange des 16.
Jahrhunderts."

Wenn das Fenster
im übrigen in der einschlägigen Literatur, soweit ich
diese übersehe, kaum erwähnt, geschweige denn ge-
bührend gewürdigt wurde, so mag das teilweise dem
Umstand zuzuschreiben sein, dass die Kapelle mit
ihrem Reliquienschatz ständig unter Verschluss ge-
halten wird. Selbst TV. H. J. Westlake, der im
IV. Bande seines Werkes „A History of Design in

18. Ausschnitt aus dem St. Annenfenster.

Painted Glass" den Freiburger Renaissancefenstern
fünf Spalten widmet, gedenkt desjenigen der St. An-
nenkapelle auffallenderweise mit keiner Silbe. So-
weit sich die Spezialforschung damit befasste, galt
das weniger der Arbeit des Glasmalers, und erst die

von unserm verstor-
benen Mitbürger Pri-
vat K. Günther gefer-
tigte und verschiede-
nen Orts veröffent-
lichte photographi-
sche Aufnahme,
welche leider das
Fenster in der ver-
stümmelten Verfas-
sung wiedergibt, in
welche es durch die
vor etwa zwei Jahr-
zehnten vorgenom-
meneRestauration ge-
raten war, hat das-
selbe einem größeren
Kreis bekannt ge-
macht10.

Die Vorstellung
Marmons, das St. An-
nenfenster sei früher
farbiger gewesen und
nur infolge mangel-
hafter Technik all-
mählich verblasst, ist
jedenfalls auf eine
Äußerung H. Schrei-
bers in seinem 1826

edierten Münster-
büchlein zurückzu-
führen, wo er sagt:
„... Das Glas ist nicht
mehr selbst gefärbt,
sondern weiß, und
die Farben sind nur
auf beiden Flächen

eingebrannt. Der
größte Nachteil hie-
von ist, dass gegen
die Wetterseite ganze
Teile schon abgefallen
sind, oder noch abfallen, und diese Gemälde des-
halb von Jahr zu Jahr mehr Beschädigung erleiden." 17
Diese schon von falschen Voraussetzungen aus-
gehende Darlegung beruht, soweit sie Veränderungen
in der Farbgebung des Fensters annimmt, auf einer
eigentümlichen Selbsttäuschung, die uns zeigt, wie
leicht eine vorgefasste Meinung dazu führen kann,

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