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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Editor]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 8.1912

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Kreuzer, Emil: Der leitende Grundgedanke des Bilderschmucks am Münsterhauptportal
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https://doi.org/10.11588/diglit.2636#0070
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Kreuzer, Der leitende Grundgedanke des Bilderschmucks am Münsterhauptportal

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In welchem engeren Zusammenhang nun stehen
die hier an den Postamenten abgebildeten heiligen
Personen mit der Grundidee des Bilderschmuckes
der Vorhalle?

Bei Johannes dem Täufer ist dieser Zusammen-
hang ohne weiteres durch das früher Gesagte klar.
Alleandern hier dargestellten Heiligensind Apostel und
zwar die Erstberufenen unter den Aposteln, deren
Berufung das Evangelium genau schildert. Sie sind
es gewesen, die vor allen die Ankunft des Messias
erkannten und keinen Augenblick zögerten, alles zu
verlassen und sich ihm anzuschließen. „Nachdem
aber Johannes (der Täufer) überliefert war", erzählt
Mk. 1,14 ff. (und fast mit denselben Worten Mt. 4,12ff.)
„kam Jesus nach Galiläa, predigte das Evangelium
vom Reiche Gottes und sprach: erfüllt ist die Zeit,
und das Reich Gottes hat sich genaht, tuet Buße
und glaubet dem Evangelium! Als er nun längs des
galiläischen Meeres hinwandelte, sah er Simon und
Andreas, dessen Bruder, welche eben ihre Netze in
das Meer auswarfen (denn sie waren Fischer).
Da sprachJesus zu ihnen: Folget mir nach und ich
werde machen, dass ihr Menschenfischer werdet.
Alsogleich verließen sie ihre Netze und folgten ihm.
Als er nun von dort ein wenig weiter gegangen war,
sah er den Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und
Johannes, seinen Bruder, die eben auch im Schiffe
ihre Netze zurichteten. Und alsogleich rief er sie.
Und sie ließen ihren Vater Zebedäus in dem Schiffe
und folgten ihm." Aus dem Johannes-Evangelium
(1, 35 ff.) erfahren wir, dass Andreas einer der beiden
Jünger Johannes' des Täufers war, die bei diesem
standen, als er Jesus umherwandeln sah, zu denen er
sprach: „Sehet das Lamm Gottes" und die, als sie
ihn das sagen hörten, Jesus nachfolgten, ferner, dass
Andreas seinem Bruder Simon (Petrus) sagte: „Wir
haben den Messias gefunden", und ihn dem Herrn
zuführte. Gleich am folgenden Tage führt dann
Philippus den Nathanael (Apostel Bartholomäus) zu
dem Herrn. Von ihm bezeugt der Herr: „Siehe, ein
wahrer Israelit, in welchem kein Falsch ist", und
dieser Mann ohne Falsch bekennt: „Rabbi, du bist
der Sohn Gottes, du bist der König von Israel".
(Joh. 1,47ff.) „Du bistChristus"(Mk.8,29)undweiter:
„Wir haben geglaubt und erkannt, dass du Christus
der Sohn Gottes bist" (Joh. 6,70), bekennt Petrus.
Petrus, Jakobus und Johannes sind die Lieblings-
jünger des Herrn, Zeugen seiner Verklärung auf
Tabor (Mk. 9, 1 ff.) und seines Leidens am Ölberg
(Mk. 14,33). Johannes ist der Verfasser des Evan-
geliums, dessen grandioser Anfang die Perikope der
dritten Messe des Weihnachtsfestes bildet, von der
Ankunft des ewigen Wortes auf dieser Erde und der
Sendung Johannes' des Täufers redend. Thomas

endlich legt nach der Auferstehung des Herrn auf
Grund unmittelbarer körperlicher Prüfung sein Zeug-
nis für diese und damit für die Besiegelung der
Messiaswürde Christi ab, indem er ausruft: „Mein
Herr und mein Gott." So haben wir in den an
den Postamenten dargestellten Persönlichkeiten den
Propheten des Advents, Johannes den Täufer, und
diejenigen Apostel, von deren Mehrzahl die Heilige
Schrift berichtet, dass sie so sehr von der Advents-
hoffnung erfüllt waren, dass keine Rücksicht irdischer
Art sie abhalten konnte, sofort beim Erscheinen des
Herrn ihn als Messias anzuerkennen und ihm auf
den ersten Ruf zu folgen: Andreas, Petrus, Jakobus,
Johannes Evang., Matthäus und Bartholomäus, damit
aber auch nebst Thomas diejenigen Apostel, von denen
die Heilige Schrift teils eigene kanonische Bücher,
teils wenigstens bestimmte Erklärungen über Christi
Gottheit enthält, und von denen wir wissen, dass sie
sämtlich für ihr Zeugnis vom Messias dem Martyrium
sich preisgaben. Sie sind also nicht bloß Zeugen für
die erste Ankunft des Herrn, sondern auch leuchtende
Vorbilder für die Befolgung der Adventspredigt.

Dass die Darstellung, wie Jesus dem Apostel
Thomas seine Wundmale zeigt, gerade unter der
Darstellung der Gottesmutter in der Verkündigungs-
gruppe sich findet, enthält offenbar eine Anspielung
auf Maria, die „verschlossene Pforte"1, insofern der
Herr „bei verschlossenen Türen" in der Versamm-
lung der Apostel erschien und sich Thomas zeigte.

Das Fest des hl. Andreas (30. Nov.) fällt sehr
häufig in den Advent: früher, solange mit dem
St. Katharinentag der Advent begann, war dies stets
der Fall. Das Fest Johannes' des Evangelisten fällt
(27. Dezbr.) in die Weihnachtsoktav, also in den
engeren Festkreis, dessen Gedanken den Bilder-
schmuck der Vorhalle beherrschen.

Wenn gerade unter der Synagoge die Kreuzigung
des Apostelfürsten Petrus dargestellt ist, des ersten
Oberhauptes der Kirche, so liegt darin eine Andeu-
tung, dass unter ihm und durch seinen Martyrertod
Rom an Stelle von Jerusalem, die Weltkirche statt
der Synagoge die Führung in religiösen Dingen antrat.

Damit sind wir am Schlüsse unserer Darlegungen
über den Grundgedanken angelangt, der für die
plastische Ausschmückung der Vorhalle und damit
auch für deren Verständnis leitend ist, aus dem alles
sich ungezwungen erklären lässt.

Der Nachweis dürfte damit erbracht sein, dass
es sich bei dem Bilderschmuck der Vorhalle wie
bei einer guten Predigt im wesentlichen nur um
die weitere Ausführung eines sehr einfachen, leicht
verständlichen und naheliegenden Themas handelt:

1 Vgl. Münsterblätter 2. Jahrg. S. 59f.; Ezech. 43, 1 ff.,
44, 1, 2.
 
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