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scheint ebenso nicht mehr wie noch nicht unter dem Stilzwange der Periode zu
stehen. Seine Sprache ist zu Beginn in geringem Grade die Sprache der Zeit, eher
die Sprache des Ortes und des Blutes. Die Wohlgestalt der Gotik ist überwunden,
die Wohlgestalt der Renaissance wird noch nicht geahnt. Zeitgemäß sind freilich
Originalitätssucht und Gefühlszartheit.
Die frühesten Regungen sagen über die individuelle Begabung aus, verraten
aber auch, was Lucas der heimatlichen Erde verdankt. Der Sinn für Raum, Licht
und Luft, für landschaftliche Natur, die geringe Neigung für Repräsentation, die
Schwerblütigkeit und Innerlichkeit: etwas von bodenständiger Art gibt sich darin
kund. Der bewegte Bühnenboden, der Episoden Platz gewährt, wobei das Früher
und Später, durch Hüben und Drüben ersetzt wird, ist der holländischen Erzäh-
lung willkommen. Der Ausdruck „Raumepik" könnte eingeführt werden. Die un-
endlich oft dargestellte Anbetung der Könige wird im Süden der Niederlande vor-
nehmlich aufgefaßt als eine höfische Zeremonie, ein Versammelt-Sein, während
die Holländer an die Reise der Könige denken, an das Herbeieilen und Anlangen.
Und Abrahams Opfer: Der Holländer begleitet den Patriarchen auf seinem schwe-
ren Gang. Oft weist die gegenwärtige Situation auf ein Vorher oder Nachher.
Das Ärgste droht oder zittert nach. Der Meister wählt eine Station im Verlaufe
des Geschehnisses.
Die selbständige Deutung der Bibel und der Legenden drängte zum Bilddrucke,
zum Buchholzschnitte, der in Holland früh erblühte, und wurde für Lucas Hin-
lenkung zum Kupferstiche. Seine Kunst ist mehr illustrativ als repräsentativ oder
monumental, mehr episch als dramatisch.
Der noch immer lesenswerte Aufsatz, den Alois Riegl 1902 im österreichischen
Jahrbuche dem holländischen Gruppenportrait gewidmet hat, läuft aus in den
Satz: „der holländischen Auffassung ist es eigen, Handlung in Gefühl und Auf-
merksamkeit umzusetzen". Von Lucas ist dort nicht die Rede, weil ja keine Grup-
penportraits von ihm bekannt sind, nichts desto weniger kann Riegls These erfolg-
reich vor den frühen Stichen gerade dieses Holländers kontrolliert werden, dessen
Geschöpfe nicht so sehr sich selbst genug und mit sich beschäftigt sind, wie vielmehr
aufmerkend Anteil nehmend, sich mimisch äußernd, in seelischem Kontakte mit
anderen Geschöpfen.
 
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