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wesen unkritisch weitergegeben worden sind. Man hat mit schwachen Argumenten
feststellen zu können geglaubt, daß der eine der großen Leidener Altäre, nämlich
der mit der Kreuzigung Christi um 1506, der andere beträchtlich später, etwa um
1526, entstanden wäre. Von diesen Daten aus wurde jedoch keinerlei Einsicht in
den Weg des Meisters gewonnen. Stilkritisch betrachtet, stehen die beiden Tripty-
chen auf ein und derselben Stufe. Anhaltspunkte für eine zuverlässige Chronologie
finden wir, indem wir die, freilich spärlichen, Formen des Ornaments und des
Bauwerks ins Auge fassen, da zu erwarten steht, daß ein zwischen 1490 und 1533
in Holland tätiger Meister sich allmählich, oder etwa auch stoßweise, von der
spätgotischen Überlieferung gelöst und etwas vom südlichen Schmuckwerk aufge-
nommen habe. In der Tat ist dieser Prozeß zu verfolgen. Ein inschriftlich 1518
datiertes Werk, das Portraitpaar im Museum zu Brüssel6, bietet sich als ein sicherer
Ausgangspunkt. Selbst wenn ich diese Tafeln irrtümlich dem Meister gegeben
hätte: in Leiden sind sie entstanden7. Sie zeigen mit willkommener Deutlichkeit,
wie weit man dort um 1518 in der Aufnahme renaissancehafter Bauformen vorge-
schritten war. Eine runde Nische, oben muschelförmig abgeschlossen, eine kanel-
lierte Halbsäule mit antikischem Kapitäl. Auf dem Kapitäle sitzt eine nackte mon-
ströse Gestalt. Und dieses Motiv, ein unbekleideter Putto, oder ein tierisches Wesen,
hockend auf einer Säule oder einem Pfeiler, wird viermal wieder angetroffen,
nämlich in dem Berliner Gemälde, der Berufung des Apostels Matthäus, in dem
Amsterdamer Bilde Christus mit Maria und Martha, dann in den Stifter-Flügeln
im Besitz des Grafen Limburg-Stirum, endlich in dem Brotwunder-Altare, der
in die Berliner Galerie gelangt ist (1945 verbrannt). Keinem Zweifel kann es unter-
liegen, daß beide Leidener Hauptwerke, die in der gemalten Rahmung rein goti-
schen, gut verstandenen Steinschnitt, reich ausgebildetes Maßwerk aufweisen, vor
1518 entstanden sind. Beide Altäre sind Stiftungen Jacobs Martenszoon, der 1526
im Alter von 50 Jahren starb, der seit 1508 Kaplan, seit 1512 Regent des Klosters
Marienpoel war. Kontrollieren kann ich diese Angaben nicht. Da er doch wohl
erst als Regent in den Altären an erster Stelle abgebildet werden konnte, mögen
die Stiftungen in die Periode zwischen 1512 und 1518 fallen, wahrscheinlich in die
Zeit bald nach 1512. Eine Schöpfung der Spätzeit, die sich scharf absetzt von den
Leidener Altären, ist der Brotwunder-Altar8, und zwar nicht allein mit seinem
Bauornament, auf dessen Bedeutung als das eines Kriteriums ich Nachdruck lege,
sondern auch mit der relativ freien Gruppierung und der kräftigen Bewegung der
menschlichen Gestalten.
Nach den Altären in Leiden, aber vor dem Brotwunder-Triptychon scheint
dem Stile nach der Altar entstanden zu sein, von dem Flügel in der Sammlung
Graf Limburg-Stirum erhalten sind. Abgesehen von Stilkritik hat die Familienge-
schichte der Stifterinnen Indizien hergegeben zur zeitlichen Fixierung des Werkes,
wie Em. Gavelle in seinem rührend und selbst komisch gelehrten Buche über

6 Max J. Friedländer, Altniederländische Malerei Bd. X, Tafel 57.

7 E. Pelinck, Oud Holland 1949.

8 Max J. Friedländer, Altniederländische Malerei Bd. X, Nr. 69, Tafel 39 u. 40.

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