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Frommel, Christoph Luitpold
Der Römische Palastbau der Hochrenaissance (Band 1): Text — Tübingen: Wasmuth, 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.59325#0012
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VORWORT

Das Interesse an den römischen Palästen der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts ist so alt wie die Bauten selbst. Die
Skizzenbücher niederländischer, französischer und deut-
scher Künstler, die Skizzen und Aufnahmen Aristotele da
Sangallos, Palladios, Dosios oder die Stiche können noch
heute bezeugen, daß ihre Wirkung nicht auf Rom be-
schränkt blieb. Auch im 17. Jahrhundert behielten sie ihre
exemplarische Bedeutung und wurden durch die Stich-
werke Ferrerio-Faldas und Specchis in ganz Europa be-
kannt. Vielleicht waren sogar schon Dosios zahlreiche Maß-
aufnahmen für ein zusammenfassendes Stichwerk ge-
dacht1. Hatte Vasari die römischen Paläste nur im Zusam-
menhang mit den Künstlerviten erwähnt und hatte sich die
reiche Guidenliteratur auf mehr oder minder knappe
Notizen beschränkt, so begann mit Milizias „Memorie
degli architetti“ (1768) eine kritischere Auseinander-
setzung. Milizia legte seinem Urteil eine klassizistische
Norm zugrunde, und so blieb kein Meister von seiner zu-
weilen schulmeisterlichen Kritik verschont. Peruzzis Far-
nesina und Raffaels Marstall seien trocken und fehlerhaft,
die Säulen des Pal. Caffarelli zu schwer, das Portal des Pal.
Massimo alle Colonne zu dekorativ und die Obergeschoß-
fenster der Fassade des Pal. Farnese monströs. Nichtsdesto-
weniger kam die Hochrenaissance den Vorstellungen
dieser Jahrzehnte so viel näher als das Barock, daß Cipriani
und Navone in ihre Sammlung ,,de’ piü cospicui esemplari
di Roma“ von 1794 fast ausschließlich Paläste unserer
Epoche aufnahmen. Ihre Stiche der Grund- und Aufrisse,
Schnitte und Details sind an Genauigkeit und Anschaulich-
keit bis heute unerreicht. 1798 folgten Percier und Fontaine
mit einer breiteren Auswahl römischer Paläste, deren
Grundbestand wiederum die Paläste der Hochrenaissance
darstellen. 1818 manifestierte sich der Geschmack des
Empire in einem lediglich den beiden Pal. Massimo gewid-
meten Band von Suys und Haudebourt. Diese Reihe bedeu-
tender Stichwerke gipfelte in Letarouillys „Edifices de
Rome moderne“ (1849 ff.). Auch seine erklärte Absicht, „de
rendre plus rare le retour periodique de ces temps de
decadence et d’anarchie“, zielt primär auf eine unmittelbare
Wirkung in der Zeit. Obwohl sein Werk das gesamte
christliche Rom umfaßt, stehen die Renaissancepaläste-allen
voran der Pal. Farnese - im Mittelpunkt. Doch die Kunst-
geschichtsforschung war zu weit fortgeschritten, als daß
sich Letarouilly auf seine „exempla“ hätte beschränken
1 Wurm 1965, 53, Anm. 87.

können. Wohl als erster machte er von dem reichen Fundus
der Architekturzeichnungen in den Uffizien Gebrauch. Da-
bei gelang es ihm bereits, zahlreiche Entwürfe Sangallos für
den Pal. Farnese ausfindig zu machen und in maßstabge-
rechten Umzeichnungen vorzuführen. Wenige Jahre später
gab Burckhardt in seinem Cicerone (1855) eine erste gültige
Charakteristik des Stiles der Epoche und ihrer einzelnen
Künstlerindividuen. 1867 ließ er mit seiner „Geschichte der
Renaissance in Italien“ eine Systematik der italienischen
Renaissancearchitektur folgen, die bis heute unübertroffen
geblieben ist und weniger grundsätzlicher als faktischer
Ergänzungen bedarf. Zahlreiche Aspekte der vorliegenden
Arbeit sind in Burckhardts Systematik zumindest als Frage-
stellung enthalten. Letarouilly und Burckhardt hatten den
Weg für den wohl bedeutendsten Erforscher der römischen
Hochrenaissance geebnet: Heinrich von Geymüller. Doch
für Geymüller standen die großen Künstlerpersönlich-
keiten Bramante, Raffael und Michelangelo und ihr be-
deutendstes Projekt, der Neubau von St. Peter, im Vorder-
grund - nicht so sehr die einzelnen Typen und ihre Funk-
tion, der Stil und seine Entwicklung. Immerhin lieferte er
in seinem Raffaelbuch (1884) die ersten systematischen Bau-
geschichten einiger der wichtigsten Paläste. Zu den Stich-
werken, den Skizzen und Nachzeichnungen und der Kunst-
literatur traten nun die Archivalien als vierte wichtige
Quelle hinzu. In Rom hatte ihre Erforschung mit Adinolfi,
der Zeitschrift „II Buonarroti“ und deren Autor Amati
(Momo) einen neuen Aufschwung genommen, nachdem
schon Marini (1784), Cancellieri und Fea auf Archivalien
zurückgegriffen hatten. Amatis Eifer blieb allerdings nicht
ohne bittere Folgen für den heutigen Forscher: Zahlreiche
der von ihm bearbeiteten Dokumente sind unauffindbar,
sei es, daß er sie sich aneignete, sei es, daß er sie fälschte2.
Das Vorbild Heinrich von Geymüllers und die Fülle neuer
Archivnotizen mögen Domenico Gnoli, den Direktor der
Nationalbibliothek des neuen Königreiches, zu seinen vor-
trefflichen Studien über die Cancelleria und den Pal. Giraud,
die Pal. Caprini, Regis und Sacchetti oder Pietro Rosselli
angeregt haben, die in großen Teilen noch heute unentbehr-
lich sind. In seiner Studie über das Zeitalter Leos X. gelang
ihm eine der eindringlichsten, konkretesten Schilderungen
unserer Epoche. Die Erschließung der Archivalien er-
reichte in Lancianis vierbändiger „Storia degli scavi“
(1902 ff.) rein quantitativ ihren Höhepunkt. Dieses Laby-
2 s. Bd. II, S. 108, Anm. 43, S. 198, Anm. 4,12, S. 213.

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