Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
I. DIE VORAUSSETZUNGEN

Die Suche nach den Ursprüngen des Begriffes „Palazzo“
führt zu der „Domus Augustiana“, den antiken Kaiser-
palästen auf dem Palatin. Bis zur Kaiserzeit war „Palatium“
der eigentliche Name des römischen Hügels1. Als sich dann
die kaiserlichen Bauten mehr und mehr ausbreiteten und
der Name Palatium vom Ort auf die Gebäude überging,
suchte man den Hügel durch die Umschreibung „mons
palatinus“ von der Residenz zu unterscheiden. Der nächste
Schritt, die Verwendung des Namens Palatium für andere
Kaiserresidenzen, läßt sich schon im 2. Jahrhundert nach-
weisen2. Um 337 endlich schreibt Firmicus Maternus „... in
palatiis regum vel in potentium virorum domibus“ und
deutet damit an, daß das Wort Palatium nicht mehr auf die
Kaiserresidenzen beschränkt wurde, daß es also bereits im
4. Jahrhundert zu einem Begriff im Sinne der Renaissance
geworden war3.
In vorkarolingischer Zeit hießen die Residenzen der
merowingischen Könige „palatium“, zuweilen aber auch
„villa“ - ein deutlicher Hinweis darauf, daß man dabei auf
den altrömischen Sprachgebrauch zurückgriff4. Auch in
Rom blieb der Begriff bis ins 11. Jahrhundert auf die ver-
schiedenen Kaiserresidenzen und den päpstlichen Sitz beim
Lateran beschränkt5. Im 11. und 12. Jahrhundert begann er
sich dann auch auf den Sitz kleinerer Mächte wie regierender
Fürsten, Volkskapitäne und bürgerlicher Kommunen aus-
zudehnen6. Dabei scheint er weniger den Umfang und die
Gestalt des Gebäudes als den Rang des Hausherrn zu be-
zeichnen. Wenn Dante sich im untersten Höllenkreis be-
klagt, ,,... non era caminata di palagio/lä, v’eravam“, spielt
er allerdings bereits auf den Glanz eines prunkvollen Fest-
saals und damit auf das Anschauliche an7. Im 13. Jahrhun-
dert war der Begriff Palazzo wohl noch meist den fürstlichen
und öffentlichen Gebäuden vorbehalten8. Im 14. Jahrhun-
dert wurde er bereits auf mehr oder minder anspruchsvolle
Patrizierhäuser wie einen der Vorgängerbauten des Pal.
1 D. Ziegler, Palatium, in: Pauly-Wissowa 18,3(1949),5ff.
2 Schon Ovid, Met. V, 176 bezeichnet den Olymp als „palatia caeli“
und nimmt damit eine erste Trennung zwischen Örtlichkeit und
Funktion vor (B. Tamm, Aula Regia, Aule and aula, in: Opuscula
Carolo Kerenyi dedicata, Stockholm Studies in Classical Archeo-
logy, Stockholm 1969, 189ff.).
3 J. Firmicus Maternus, Mathematica, III, 6, 19.
4 Du Cange, VI, 98ff.
5 Liber Pontificalis ed. L. Duchesne, Paris 1886-92,1, 395; II, 71 ff.;
Ehrle-Egger 1935, 15ff.
6 Paul 1963, 41 ff.
7 Dante, La Divina Commedia, XXXVI, 97.
8 Burckhardt ed. Holtzinger 1904, 192.

della Valle übertragen9. In Ferrara unterschied man noch
im 15. Jahrhundert streng zwischen „palazzi“, „palazzetti“
und „case“, und im demokratischen Venedig wollte man
den Ehrentitel eines Palazzo sogar nur dem Sitz des Dogen
zugestehen10. In Florenz galten um die Mitte des 15. Jahr-
hunderts nicht nur fürstliche Anlagen wie der Pal. Medici
oder der Pal. Pitti, sondern auch kleinere Neubauten wie der
Pal. Spinelli als „palagio“11. Ja, Benedetto Varchi erkennt
um 1530 dem Begriff „palazzo“ einen höheren Rang zu als
etwa Benedetto Dei 50 Jahre zuvor, wenn er schreibt:
„... e ben vero, ehe alcuni di quegli ch’egli (B. Dei) mette
per palazzi, sarebbono tenuti oggi piü tosto grandi ed agiati
casoni, ehe palazzi.. .“12. Wieweit der Begriff gefaßt wurde,
zeigt auch die Notiz vom Jahre 1478, in der das Castello
Orsini in Bracciano als „Palast oder Festung“ bezeichnet
wird13. Im übrigen kann sich der römische Sprachgebrauch
nur wenig von dem der anderen Städte unterschieden haben.
Im frühen 16. Jahrhundert werden jedenfalls nicht nur
Repräsentationsbauten wie der Vatikan, der Justizpalast
oder die Cancelleria, sondern auch zierlichere Anlagen wie
Chigis hoflose Farnesina oder die Pal. Caprini und dell’
Aquila von vorneherein als Palazzo bezeichnet. Es scheint,
als habe der architektonisch-künstlerische Wert der Ge-
staltung die Bedeutung des Hausherrn und des äußeren
Umfangs verdrängt. In der Folgezeit wurde der Sprachge-
brauch vollends verflacht, so daß heute nüchterne Miets-
häuser den gleichen Namen führen, der einst nur der Resi-
denz der römischen Imperatoren zustand. So wohnen wir
hier einer Entwicklung vom Öffentlichen zum Privaten,
vom Hierarchischen zum Ästhetischen bei, die in mancher
9 s. Bd. II, 336, Dok. 1; Boccaccio läßt um 1350 die Gesellschaft seines
Decamerone in einem „palagio con bello e gran cottile nel mezzo,
e con logge e con sale e con camere, tutte ciascuna verso de si
bellissima e di liete dipinture ragguardevole ed ornata“ wohnen,
der außerhalb der Stadtmauern auf einem Hügel liegt (Boccaccio,
II Decameron, ed. C. Salinari, Bari 1966, I, 24, Einleitung zum
1. Tag).Und ähnlich nennt schon um 1300 Piero de’ Crescenzi vor-
nehme Landhäuser Paläste (P. de’ Crescenzi, Opus ruralium com-
modorum, in: P. de’ Crescenzi, Studi e documenti, Bologna 1933,
315ff.).
10 Burckhardt ed. Holtzinger 1904, 192f.
11 H. Saalman, Tommaso Spinelli, Michelozzo, Manetti, and Rosse-
lino, in: JSAH 25 (1966), 160ff., 164. Um 1427 darf in Florenz
nur die Arte della Lana ihren Sitz als „palazzo“ bezeichnen; die
anderen Zünfte residieren in einer „casa“ (A. Doren, Studien aus
der Florentiner Wirtschaftsgeschichte, Bd. II, Stuttgart/Berlin
1908, 436).
12 Varchi ed. Milanesi, II, 76.
13 Gregorovius, VII, 252.

1
 
Annotationen