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V. DIE FASSADEN

1. PAL. CAPRINI
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts hatte sich die
Fassadengestaltung der römischen Paläste meist auf den
Putz, die Fensterrahmen und die Gesimse zwischen den
einzelnen Geschossen beschränkt. Zinnen und asymme-
trisch aufragende Türme unterstrichen noch ihre Nähe zum
mittelalterlichen Wehrbau (Pal. Venezia, dei Penitenzieri,
SS. Apostoli)1. Nur die Profilierung der Kreuzsprossen-
fenster oder ein reiches Portal gaben zu erkennen, daß die
Architekten der Antike nicht gleichgültig gegenüberstan-
den. Erst mit der Cancelleria (um 1485 ff.) trat die Palast-
fassade in Rom gleichberechtigt neben die Kirchenfassade,
die bereits in S. Maria del Popolo (um 1477) oder S.Ago-
stino (1479-1483) den Vorsprung der Toskana aufgeholt
hatte2 (T. 161a).
Die Vorstufen der Cancelleria finden sich jedoch nicht
im Sakralbau, sondern in der Antike, in Florenz und insbe-
sondere im Albertikreis. Wie am Pal.Pazzi (vor 1473) ist
das rustizierte Sockelgeschoß den beiden Wohngeschossen
untergeordnet. Wie am Pal.Rucellai (um 1450 ff.) und am
Pal. Piccolomini in Pienza (1459 ff.) geht in den beiden
Obergeschossen die Schnittsteinquaderung eine enge Ver-
bindung mit der zierlichen Pilasterordnung ein3. Und wie
am Pal.Ducale zu Urbino (1465 ff.) werden die Fenster des
Piano Nobile von antikischen Ädikulen gerahmt, die im
Falle der Cancelleria unmittelbar von der Porta Borsari in
Verona inspiriert sind. Wenn die Ordnung des Oberge-
schosses eine große und eine kleine Fensterreihe zusammen-
faßt, so mag Brunelleschis Pal. di Parte Guelfa die Anregung
gegeben haben. Und wenn die einfache Pilasterordnung der
Pal.Rucellai und Piccolomini im Sinne der rhythmischen
1 Magnuson 1958,241 ff.
2 Urban 1961/62,155,274ff.; zur Cancelleria s. zuletzt Schiavo 1964,
69 ff.; Bruschi 1969, 842ff.; vgl. Anm. 18. Der von Vasari (VasMil,
IV, 155) als ausführender Baumeister genannte Antonio Monte-
cavallo könnte mit jenem „Antonius Flosinus Architector“ iden-
tisch sein, dem Evangelista Maddaleni Capodiferro folgendes
Epigramm widmet (Cod.Vat.Lat. 3351,fol 91r):,,D.M. Antonij
Flosinj Architectoris. Coelum gessit Atlas: arcesque laresque
deorum/Quod struis Antoni, non leviora paras./Cura eadem et
Studium sequitur tellure repostum;/Ex animo fulcris corpore
templa deum./At tibi pro tanto debetur pondere coelum :/Te lau-
dare homines; dij daredignaquaeunt./Curtibicrudeles renuerunt
parcere parcae./Aemula Vitruvio ne foret ulla manus.“ Demnach
war Antonio an bedeutenden Sakralbauten tätig gewesen und früh
verstorben.
3 Sanpaolesi 1963,145ff.

Travee kompliziert und bereichert ist, so mag sogar ein
direkter Einfluß von S. Andrea in Mantua vorliegen. Selbst
das Detail läßt sich von Alberti oder unmittelbar von der
Antike ableiten.
Das heißt jedoch nicht, daß sich der Architekt der Can-
celleria mit einer Kompilation prominenter Vokabeln oder
Motive begnügt hätte. Er bringt vielmehr ein System in
Vorschlag, das allen bisherigen Fassaden mit antikischem
Anspruch überlegen ist. Alberti hatte am Pal. Rucellai mit
seinen drei gleichwertigen Pilasterordnungen die Kon-
traste zwischen den Geschossen weitgehend aufgehoben
und damit dem sozialen Anspruch einer Palastfassade zu-
wider gehandelt. Indem er am spätgotischen Biforienfenster
als nobilitierendem Element der beiden Wohngeschosse
festhielt, brachte er es in dualistischen Konflikt zur ohnedies
zierlichen Ordnung. Und da die Fenster eine viel engere
Bindung mit der Schnittsteinquaderung eingehen als die
Pilaster, bleibt letztlich der Eindruck bestehen, Alberti habe
dem traditionellen Florentiner Fassadentypus das starre
Gitter seiner Ordnungen von außen appliziert. Schon Ros-
sellino hatte im Pal. Piccolomini in Pienza versucht, den
Gegensatz von Sockelgeschoß und Piano Nobile wieder
stärker zur Geltung zu bringen, indem er die Erdgeschoß-
ordnung in die Schnittsteinfugung einbezog und dem Piano
Nobile mehr Höhe und größere Fenster zugestand als dem
dritten Geschoß. Doch der Konflikt mit der Ordnung
wurde damit nur noch evidenter. Der Cancelleriameister
verzichtete nun auf die Erdgeschoßordnung und ersetzte
die Biforienfenster durch Ädikulen, die der Ordnung zu-
gleich ähnlicher und subordinierter waren als bei Alberti
und Rossellino. Und da die Ädikulen des Piano Nobile nicht
nur größer sind als in den beiden anderen Geschossen, son-
dern zugleich eine Synthese zwischen den rundbogigen
Rahmen des Erdgeschosses und den rechteckigen Ädikulen
des Obergeschosses darstellen, ist die Vorherrschaft des
Piano Nobile vollends gesichert. Dabei weichen die
faktischen Höhen der drei Geschosse sogar noch gering-
fügiger voneinander ab als in den Pal.Rucellai und Pic-
colomini.
Trotz dieser höchst differenzierten Geschoßfolge war
auch bei der Cancelleria-Fassade die Gefahr der Monotonie
gegeben - und das schon wegen ihrer ganz ungewönlichen
Länge. Dieser Gefahr begegnete der Architekt durch Um-
wandlung des wehrhaften Eckturms in den der Renaissance
bis dahin noch nicht geläufigen Eckrisalit. Obwohl diese
Eckrisalite nur um eine Schaftbreite über die übrige

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