Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Fassadenfläche vorragen, fassen sie diese doch kraftvoll
zusammen. Sie besitzen die Breite eines Joches und bringen
damit dem Betrachter klar zu Bewußtsein, daß das Grund-
metrum der Fassadengliederung mit dem breiten durch-
fensterten Mittelabschnitt und den schmaleren Seitenab-
schnitten Albertis rhythmischer Travee angenähert ist.
Dabei ist es bezeichnend für die Sensibilität des Architekten,
daß er ebensowenig wie im Hof an starren Maßeinheiten
festhielt, sondern die Seitenabschnitte der Risalitjoche
gegenüber jenen der übrigen Joche unmerklich verbrei-
terte und damit die Wirkung der Risalite als abschließende
und zusammenfassende Eckakzente unterstrich.
Etwa 16 Jahre später, um 1501, versuchte der erste Ar-
chitekt des Pal. Giraud-Castellesi, das Fassadenschema der
Cancelleria auf einen wesentlich kürzeren und niedrigeren
Palast zu übertragen (T. 82 a). Er verzichtete auf die Eck-
risalite, drängte die Fensterjoche enger zusammen, so daß
sich die Pilaster zu Doppelpilastern vereinigten, und ließ
die Geschoßhöhen nach oben spürbar abnehmen. Doch
obwohl das Piano Nobile um etwa 1,30 m niedriger als jenes
der Cancelleria bemessen ist, überragen die Ädikulen ihre
Prototypen an Größe. Damit gerät aber die kunstvolle
Relation zwischen Ordnung und Ädikulen wieder aus dem
Gleichgewicht. Die Ädikulen des Piano Nobile treten
weder zu ihrem Geschoß noch zu den Fenstern der beiden
anderen Geschosse in organische Beziehung. Sie sind nicht
einmal in die Piedestalzone der Ordnung miteinbezogen,
sondern stehen als Fremdkörper zitathaft und unpropor-
tioniert in der Fläche. Damit verhält sich der Pal. Giraud
aber letztlich ähnlich zur Cancelleria wie der Pal. Piccolo-
mini in Pienza zu Albertis Pal. Rucellai: Das Piano Nobile
verlangt nach eindeutigerer Vormachtstellung, obwohl
seine flach gedeckten Innenräume eine geringere Höhe be-
anspruchen als das stets gewölbte Erdgeschoß.
Daß die Neuerungen der Cancelleria-Fassade auch auf
den kleineren Maßstab eines hoflosen Palazzetto übertragen
wurden, zeigt der wenig frühere Palazzetto Turci (voll-
endet um 1500)4. Sind auch seine Geschosse weniger
hierarchisch gestaffelt, so wird hier doch erstmals ein
rustiziertes Bottegengeschoß den durch dorische Pilaster
nobilitierten Wohngeschossen konfrontiert. Den Übergang
stellt ein niedriges Mezzanin her, dessen abstrakte Lisenen
aus Quadern verschiedener Höhe aufgeschichtet scheinen.
Nicht nur die Erdgeschoßbottegen und die vermittelnde
Mezzaninzone, sondern auch die Obergeschosse, deren
feines Backsteinmauerwerk durch Travertinpilaster rhyth-
misiert wird, erinnern an die Bottegenfront der Cancelleria
zur Via del Pellegrino.
4 Let.,T. 13; Giovannoni 1935, Abb. 24.

Die Architekten der drei Fassaden sind unbekannt. An
der Vollendung der Cancelleria und des Pal. Giraud wirkte
Bramante mit, ohne daß man seinen Anteil im einzelnen
nachweisen könnte. Doch sie waren ohne Zweifel die
wichtigsten Vorläufer von Bramantes erster gesicherter
Palastfassade: der Fassade des Pal.Caprini (um 1501 ff.)
(T. 32aff.). In der Breite von zunächst zwei mal fünf
Jochen und in der Höhe von zwei vollen und zwei halben
Geschossen gehörte er eher der Größenordnung des Pal.
Turci als jener des Pal. Giraud oder gar der Cancelleria an.
So steht denn auch das rustizierte, in Arkaden geöffnete
Sockelgeschoß dem Pal. Turci typologisch am nächsten.
Bramante faßt jedoch die vielen kleinen zu zwei monumen-
talen Geschossen zusammen, die jeweils ein volles und ein
halbes Wohngeschoß einschließen. Er verzichtet sogar auf
das zweite Wohngeschoß, um den Kontrast zweier Fassa-
dengeschosse künstlerisch voll auswerten zu können, und
kehrt damit zu Brunelleschis Pal. di Parte Guelfa zurück.
Doch während Brunelleschis große Ordnung den großen
Festsaal im Inneren widerspiegelt, korrespondiert die
Fassade von Bramantes Piano Nobile in keiner Weise mit
den Erfordernissen eines Palazzetto, dessen Wohnapparte-
ment ja nicht auf wenige große Räume beschränkt bleiben
konnte. Die hinter dem dorischen Gebälk verborgenen
Mezzaninkammern waren nur eine Notlösung in diesem
Dilemma.
Um so eindrucksvoller brachte Bramante den repräsenta-
tiven Anspruch des Piano Nobile zur Geltung. Obwohl der
Bau insgesamt viel zierlicher als der benachbarte Pal.
Giraud bemessen war, besaßen doch die Fenster des Piano
Nobile nahezu die gleiche lichte Weite, erfuhren im Ver-
hältnis zum Gesamtbau also eine weitere Steigerung. Im
Gegensatz zum Pal. Giraud geschah dies nun allerdings
nicht auf Kosten der übrigen Fassade. Vielmehr gelang es
Bramante, auch die Geschoßhöhe des Piano Nobile zu
steigern und zwar zu nahezu der gleichen Höhe wie das
Piano Nobile der Cancelleria. Damit erhielt er aber die
Möglichkeit, die monumentalen Ädikulen auch durch eine
monumentale Ordnung zu rahmen. Wenn er die Glieder
seiner Ordnung verdoppelte und auf hohe Piedestale hob,
mag er wiederum von dem Vorbild des Pal. Giraud ausge-
gangen sein. Und wenn er die schmächtigen Pilaster in
schwellende Halbsäulen verwandelte, so mag er damit
wiederum bewußte Kritik an der Fassade des Pal. Giraud
geübt haben, ja Kritik nicht nur an den unglücklichen Ver-
hältnissen der Fassade des Pal. Giraud, sondern an der ge-
ringen Monumentalität der gesamten Cancelleria-Gruppe.
So wie einst Alberti „die Augen aufgegangen“ waren, so
müssen auch Bramante die Augen aufgegangen sein, als er
kurz vor 1500 nach Rom überwechselte und Gelegenheit

94
 
Annotationen