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Hinsicht der Inflation der Adelstitel seit dem späten Mittel-
alter vergleichbar ist. Neue Bevölkerungsschichten streben
nicht nur nach Reichtum, Titeln und Ämtern, sondern auch
nach einem Lebensstil, der vorher wenigen privilegierten
Adelsgeschlechtern vorbehalten gewesen war. Eine Defi-
nition des Begriffes Palazzo während der Renaissance kann
daher über die Umschreibung eines anspruchsvollen,
architektonisch gestalteten Profanbaus kaum hinausgehen.
Ist dennoch der Palazzo von dem sozialen Anspruch sei-
nes Bauherren nicht völlig zu trennen, so gewinnen auch
die Bauherren selbst für unseren Zusammenhang besonde-
res Interesse. Im Florenz des 15. Jahrhunderts waren die
bedeutenderen Paläste fast ausnahmslos von reichen Kauf-
leuten wie den Medici, Pitti, Rucellai, Pazzi oder Strozzi
gebaut worden, in Rom fast ausnahmslos von Kardinälen.
Seit dem Pontifikat Alexanders VI. mehrten sich nun in
Rom Neubauten weniger mächtiger Herren wie die Häuser
des päpstlichen Skriptors G. B. Turci aus Novara (um 1500)
und des päpstlichen Zeremonienmeisters Burchardus (1503)
oder die Paläste der apostolischen Protonotare Adriano
Castellesi und Adriano Caprini (beide um 1501 ff.). Keiner
dieser Bauherren entstammte einem vornehmen Geschlecht,
einer alteingesessenen oder besonders vermögenden Fa-
milie. Kraft ihrer Begabung und ihres höfischen Geschickes
gelangten sie zu Reichtum, den sie oft bis an die Grenzen
ihrer Möglichkeiten in die Neubauten investierten: Selbst
nachdem Castellesi Kardinal geworden war, gelang es ihm
in vieljähriger Bauzeit nicht, seinen Palast zu vollenden.
Und Caprinis bescheidenerer Bau blieb wohl ebenfalls un-
fertig liegen. Damit erging es ihnen nicht viel besser als den
mächtigen Kardinälen Barbo, Riario, Pucci oder Farnese,
deren Paläste selbst nach jahrzehntelangen Anstrengungen
nicht zu Ende geführt werden konnten. Es scheint somit,
als habe sich auch in der kirchlichen Hierarchie Roms der
Anspruch auf einen Palast auf breitere Schichten auszu-
dehnen begonnen. In der Tat befinden sich unter den be-
deutendsten Neubauten der ersten Hälfte des 16. Jahrhun-
derts die Kardinalspaläste weit in der Minderheit. Nur die
Pal. Pucci, Farnese und Capodiferro wurden von Kardinä-
len neu begonnen, die Pal. Doria Pamphili, Fieschi, del
Monte (Braschi) und della Valle von Kardinälen erweitert.
Ihnen stehen etwa achtzehn bedeutende Neubauten von
Bischöfen, Prälaten, päpstlichen Beamten und Ärzten, etwa
acht von römischen Patriziern, drei von Bankiers und etwa
vier Palazzetto-artige Künstlerhäuser gegenüber. Bankiers
wie die Chigi, Gaddi oder Altoviti gehörten den gleichen
Kreisen wie die Florentiner Bauherren des 15. Jahrhunderts
an, Patrizier wie die Pichi, Alberini, Stati, Caffarelli oder
Massimo wiederum einer breiteren Bürgerschicht und
nicht der eigentlichen Aristokratie der römischen Barone.

Zu diesen Stadtpalästen, die sich noch um eine Reihe
kunstgeschichtlich weniger hervorragender Bauten ver-
mehren ließen, kommen zahlreiche bedeutende Villenpro-
jekte als Ausdruck der individuellen Baulust unserer
Epoche hinzu. Hier sind vor allem die Villa Madama des
Kardinals Giulio de’Medici, die Villa Lante des päpstlichen
Datars Baldassare Turini da Pescia, die Villa des Kardinals
Agostino Trivulzi am Salone, die begonnene Villa des
Kardinals Antonio del Monte in Valle Giulia, die befestigten
Farnesevillen in Capodimonte und Caprarola, Sangallos
Entwürfe für die Villa des Kardinals Marcello Cervini in
Vivo oder die Villa-,, Arx“ Pauls III. bei Araceli zu nennen14.
Im Villenbau überwiegen eindeutig die Kardinäle als Bau-
herren und zwar auch dann, wenn sie wie Giulio de’ Medici,
Agostino Trivulzi, Antonio del Monte oder Marcello Cer-
vini keinen eigenen Stadtpalast errichtet hatten. Dies erklärt
sich einmal aus der neuen Aktualität, die das Villenleben
während des frühen 16. Jahrhunderts in Rom erhielt, zum
andern aber wohl auch aus dem Wunsch der Bauherren wie
-Meister, die Fesseln des engen Stadtzentrums zu sprengen
und freiere, grandiosere und damit auch antikischere
Architekturen realisieren zu können. Das heißt jedoch nicht,
daß sich damit der Schwerpunkt vom Stadt- auf das Land-
leben, vom Palastbau auf den Villenbau verlagert hätte14a.
Obwohl nicht nur die Barone, sondern auch römische Pa-
trizier wie die Pichi, Alberini, Caffarelli, Massimo oder
Stati große Teile ihres Vermögens in Landbesitz investier-
ten, lebten sie meist in der Stadt, bauten in der Stadt und
verzichteten auf villenartige Herrensitze, wie sie durch
Palladio im Veneto Mode wurden. Trotz gelegentlicher
Verherrlichung antikischer Naturidylle bleibt der Römer
der Renaissance im wesentlichen Stadtmensch und zieht
sich vor allem während der heißen Sommermonate aufs Land
zurück. Die Großgrundbesitzer Mittelitaliens begnügten
sich dabei meist mit den mittelalterlichen Burgen, die kli-
matisch günstig gelegen waren und sich ohne größeren
Aufwand den zivilisatorischen Bedürfnissen der Renais-
sance anpassen ließen. Noch heute stehen die meisten Adels-
sitze in Latium der Burg näher als der Villa. Daß aber auch
die Künstler weniger an einer Verlagerung vom Palast- auf
den Villenbau als an einer Erneuerung der Stadt interessiert
waren, lehren schon die Traktate Albertis und Filaretes.
Im gleichen Zeitraum zwischen 1500 und 1550 wurden
lediglich zwei öffentliche Profanbauten begonnen, die sich
14 Frommei, La Villa Madama e la tipologia della villa romana nel
Rinascimento, in: Boll. Centro Internaz. Studi Archit. A. Palladio
11 (1969), 47 ff.
14a Vgl. B. Rupprecht, Villa. Zur Geschichte eines Ideals,in: Probleme
der Kunstwissenschaft, II, Berlin 1966, 210ff.; R. Bentmann und
M. Müller, Die Villa als Herrschaftsarchitektur, Frankfurt 1970.

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